Brauchen wir eine gendergerechte Sprache?
An der Frage, ob die deutsche Sprache gendergerechte Formulierungen braucht, scheiden sich die Geister. Franziska Schmid und Rudolf Friederich, Mitarbeitende der ETH Zürich, stehen für ihre Position ein.
Pro
Student*innen – was soll das? Diese aktuelle Form des sogenannten Genderns, also des geschlechterbewussten Sprachgebrauchs, löst heftige Debatten aus. Warum? Gerade weil Menschen über die Schreibweise mit dem Sternchen stolpern und darüber nachdenken, was es bedeutet. Sprache und Denken beeinflussen sich immer gegenseitig. Wer behauptet, Frauen seien beim generischen Maskulinum mitgemeint, ignoriert die Forschung, die schon längst das Gegenteil bewiesen hat. Kinder zeichnen Wissenschaftler als Männer, nicht als Frauen.
Obwohl ich mich während meines Germanistik-Studiums intensiv mit Sprache und Denken auseinandergesetzt habe, habe ich die geschlechterneutrale Sprache nicht besonders beachtet. Das änderte sich, als Sarah Springman 2015 ETH-Rektorin wurde. Mit dem Hinweis, dass wir als Mitarbeitende des Bundes zu einer geschlechterneutralen Sprache verpflichtet seien, forderte sie uns in der Hochschulkommunikation auf, dies auch umzusetzen. Ich bin ihr sehr dankbar dafür. Seither habe ich Hunderte von Texten geschlechtsneutral geschrieben. Das hat mich geprägt und sensibilisiert. Gendern ist nicht nur eine Frage des Schreibens – es hat einen direkten Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen.
Ich liebe die deutsche Sprache – ihre Klarheit und Differenzierung. Nur leider liegt da auch ihr Problem: Sie hat im Laufe ihrer Geschichte ein System gebildet, das in Bezug auf Personen binär funktioniert und männliche Elemente bevorzugt. Schnell fällt das Argument, das sei schon immer so gewesen und jeder andere Sprachgebrauch deshalb agrammatisch. Wer so argumentiert, verkennt, dass Sprache immer gleichzeitig normiert und lebendig ist. Sprich, wir brauchen Regeln, können sie aber auch ändern. Leider gibt es beim Gendern nicht eine perfekte Lösung, mit der alle Probleme verschwinden. Alle, die das Gendern rundweg ablehnen, und alle, die fordern, das Sprachsystem nun komplett auszuhebeln, offenbaren mehr über ihre Gesinnungen als über ihre Sorge um die Sprache.
Seien Sie Teil der Lösung, nicht des Problems! Gendern Sie munter drauflos, dort, wo es Sie nicht zu viel Überwindung kostet. Spielen Sie mit den Formen in verschiedenen Formaten, wechseln Sie weibliche und männliche Formen ab. Zeigen Sie in Ihren Texten, dass Sie bewusst mit Genderfragen umgehen – egal wie, egal wie konsequent. Ihre Leserschaft mag vielleicht manchmal irritiert sein, aber die hält das schon aus. Sie selber haben mehr an Bewusstsein zu gewinnen, als an Sprache zu verlieren.
Kontra
Liebe Leser, stellen Sie sich Belletristik in geschlechtergerechter Sprache vor, mit Wörtern wie Bürger*innen (Gendersternchen), MitarbeiterInnen (Binnen-I) oder Student_innen (Gender-Gap): So ein Buch – zum Beispiel ein Roman von Thomas Mann mit langen Schachtelsätzen – wäre nicht nur grammatisch falsch, sondern auch unlesbar. Der Lesefluss ginge völlig verloren.
Wer gendert, will nicht wahrhaben, dass das grammatische Geschlecht (Genus) und das biologische Geschlecht (Sexus) nichts miteinander zu tun haben. Der Mann meint den biologischen Mann und die Frau die biologische Frau. Auch ist der Knabe ein männliches Kind. Aber ist das Mädchen eine Sache? Eben. Man merkt es selbst. Genderbefürworter argumentieren, dass Sprache das Bewusstsein prägt, und deshalb soll man die deutsche Sprache von patriarchalischen Erblasten befreien. Gut gemeint, aber trotzdem falsch. Es ist genau umgekehrt: Die Sprache wird vom Bewusstsein geprägt. Mit künstlichem Herumdoktern an der Sprache wurde noch nie eine Gesellschaft verändert.
Früher hat man sich sehr wohl unter dem Begriff die Schriftsteller nur Männer vorgestellt, da dies damals auch ein ausgesprochener Männerberuf war. Aber mit Schriftsteller ist das Handwerk gemeint – und alle Mitglieder dieses Handwerks. Da gehören Männer und Frauen natürlich dazu.
Möchte man Gendersternchen und dergleichen vermeiden, verwendet man gerne das substantivierte Partizip. Es heisst dann, die Studierenden oder die Mitarbeitenden. Das ist grammatikalisch genauso falsch. Studierende sind momentan am Grübeln und Mitarbeitende am Arbeiten. In der Freizeit sind es einfach Studenten und Mitarbeiter. Der Unterschied zwischen beiden Substantiven ist einfach und klar.
Gendern ist ausserdem inkonsequent. Es gibt keinen Konsens darüber, wie, was und wann gegendert wird. Man findet zwar Bürger*innen, aber keine Straftäter*innen, sondern nur Straftäter. Und das soll keine Diskriminierung sein?
Eine Sprache verändert sich im Laufe der Zeit, kein Zweifel. Ausser im Theater spricht niemand wie zu Paracelsus’ Zeiten. Aber eine Sprache ändert sich immer zum Einfachen hin, nie zum Komplizierten, Unleserlichen. Die Leserlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung für die Lust am Lesen und das Lesen wiederum für die Meinungsbildung. Und da das Lesen zum Glück nicht nur den Männern vorbehalten ist, haben Sie sich, liebe Damen, bei meiner Anrede zu Beginn des Textes sicher genauso angesprochen gefühlt – zu Recht!
Dieser Beitrag stammt aus der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins «life».