«Ein Kulturwandel geht nicht auf Knopfdruck»

Die belgische Bewegung «Engagement Arts» setzt sich gegen Sexismus und Machtmissbrauch in der Kunst- und Architekturszene ein. Die Gruppierung hat im Auftrag der Departementsleitung auch einen kritischen Blick auf das Departement Architektur der ETH Zürich geworfen. Departementsvorsteher Tom Emerson erklärt, welche Schlüsse er aus der externen Analyse zieht und wie er damit die Kultur im D-ARCH verbessern möchte.

Tom Emerson hält ein Mikrofon und spricht.
Departementsleiter Tom Emerson diskutierte vergangenen Mittwoch mit Angehörigen des D-ARCH die Ergebnisse der externen Analyse. (Bild: Zeljko Medved / ETH Zürich)

Zu hohe Arbeitsbelastung, unklare Führungsstrukturen, wenig Diversität, Kritik am Curriculum, Fälle von sexuellen Belästigungen: Die von Engagement Arts durchgeführte Analyse (siehe Info-Box) spart nicht mit Kritik am D-ARCH. Ist die Situation an Ihrem Departement so prekär?

Tom Emerson: Nein. Vieles an unserem Departement läuft sehr gut. Das D-ARCH hat national und international einen hervorragenden Ruf und die Loyalität der Mitarbeitenden und der Studierenden gegenüber dem Departement ist überdurchschnittlich hoch. Das zeigt auch der Bericht von Engagement Arts. Trotzdem: Es ist bei weitem nicht alles perfekt und ja, es gibt Problemfelder, die der Bericht anspricht und die wir angehen müssen. Dabei sehe ich vor allem zwei Bereiche: Einerseits müssen wir uns stärker um das Wohlbefinden unserer D-ARCH-Community kümmern und dabei die in der Architekturszene weit verbreitete «Überarbeitungs-Kultur» hinterfragen. Zudem zeigt sich, dass wir im Bereich Sexismus und Mobbing die «Awareness» weiter erhöhen und eine Nulltoleranz-Kultur etablieren müssen.

Das D-ARCH hat diesen Bericht selbst in Auftrag gegeben. Warum?

Im Departement ist die Debatte rund um die Themen Arbeitsbelastung, Chancengleichheit und Diversität schon seit einigen Jahren im Gang. Besonders aktiv sind dabei die Parity Group, eine «Grassroot-Bewegung» der Studierenden und des Mittelbaus, und dann die später gegründete Parity- und Diversity-Kommission (PDK). Gemeinsam organisieren sie unter anderem die sogenannten Parity Talks. An einer dieser Veranstaltung trat auch eine Vertreterin von Engagement Arts auf, einer Bewegung, die sich gegen Sexismus und Machtmissbrauch in der Kunstszene in Belgien einsetzt. Dieser Auftritt war so überzeugend, dass wir Engagement Arts damit beauftragten, das Departement aus einer Aussenperspektive zu analysieren und kritische Dinge beim Namen zu nennen. Dieser Bericht liefert kein Gesamtbild über den Zustand unseres Departements, sondern spricht bewusst die problematischen Punkte an.

Der Bericht stützt sich auf 59 Aussagen von Personen und Gruppierungen aus dem Departement ab. Ist das repräsentativ genug?

Natürlich nicht, aber das war auch nicht das Ziel. Dieser Bericht ist nur eines von vielen Instrumenten, auf die wir uns für die Weiterentwicklung des Departements stützen wollen. Während beispielsweise die Studierendenumfrage «#wiegehts» oder auch die Mitarbeitendenbefragung der ETH Zürich ein breit abgestütztes Bild abgeben, soll dieser Bericht bewusst einen kritischen und unausgewogenen Blick auf unsere Kultur werfen. Probleme, von denen wir zwar zum Teil vom Hörensagen schon wussten, werden hier auf den Punkt gebracht. Zudem ist mir etwas besonders wichtig: Bei Themen wie Sexismus oder Mobbing spielt Repräsentativität keine Rolle. Da ist jeder einzelne Fall einer zu viel.

Die aufgegriffenen Themen sind nicht neu. Man hörte in den vergangenen Jahren immer wieder kritische Stimmen. Hat das D-ARCH diese zu wenig ernst genommen?

Wir befinden uns in einem Prozess der Kulturveränderung und die braucht Zeit. Wir haben aber bereits sehr viel unternommen. Die regelmässig stattfindenden Parity Talks habe ich bereits erwähnt. Zudem haben wir beispielsweise unseren Berufungsprozess angepasst. So konnten wir die Diversität erhöhen. Und der Fakt, dass wir über Schwierigkeiten sprechen und auch einen kritischen Bericht über das Departement zulassen, spricht dafür, dass die Sensibilität für die Themen stark gestiegen ist. Aber ja, wenn wir wollen, dass unsere aktuellen Studierenden von diesen positiven Entwicklungen etwas spüren, dann müssen wir unsere Anstrengungen noch verstärken.

Was sind für Sie die wichtigsten Schlüsse, die Sie aus dieser externen Sicht auf das Departement ziehen?

Für mich gibt es im Wesentlichen die drei Themenbereiche Studieninhalt, respektvolles Miteinander und Arbeitskultur. Beim Studieninhalt müssen wir unseren Curriculum an die gesellschaftlichen Realitäten anpassen. Themen wie Klimawandel und Diversität sollen stärker im Studium verankert werden. Beim zweiten Thema zeigt der Bericht, dass wir am Departement noch nicht allen ein respektvolles und sicheres Umfeld bieten können. Es ist unsere Pflicht, dies zu ändern. Und als drittes geht es um eine Kulturveränderung. Wir wollen den Gedanken etablieren, dass ein gesundes Arbeitsumfeld, bei dem es nicht nur um möglichst viele geleistete Stunden geht, auch positiv auf die Qualität und die Leistung auswirken wird. Als wir beispielsweise während des Lockdowns die Leistungsanforderungen etwas lockerten, hat die Qualität der abgegebenen Arbeiten nicht gelitten, sie war zum Teil sogar höher.

Gibt es Aussagen im Bericht, denen Sie widersprechen?

In der Analyse wird nicht ersichtlich, dass viele Handlungsempfehlungen bei uns bereits in Umsetzung oder zumindest auf der Agenda sind. So läuft eine Curriculum-Reform, die dem Thema Diversity mehr Gewicht gibt. Zudem haben wir dieses Jahr zu Semesterbeginn das Thema «Respekt» in allen Einführungsveranstaltungen thematisiert und mit der ETH-weiten Respekt-Kampagne wird im Moment zusätzlich sensibilisiert. Beim Bericht handelt es sich um eine Aussensicht und da ist es klar, dass nicht alle Empfehlungen für uns passen. Aber darum geht es nicht. Die Aussagen im Bericht sind für uns ein weiterer Anstoss, um darüber zu diskutieren, welche Massnahmen wir jetzt prioritär umsetzen müssen, um uns und unsere Kultur zu verbessern. Wenn wir den Bericht nicht als Gebrauchsanweisung lesen, dann wird er ein hilfreiches Instrument werden.

Wie wurden die Ergebnisse von den Professorinnen und Professoren aufgenommen?

Wir haben über den Bericht an einer Professorenkonferenz ausgiebig diskutiert. Grundsätzlich ist viel Offenheit vorhanden. Einige Kolleginnen und Kollegen sehen die Aussagen auch kritisch. Ich kann das gut verstehen. Denn der Bericht schmerzt beim Lesen. Das ging mir auch so. Es tut weh, wenn man sich mit vollem Einsatz für ein Departement engagiert und dann lesen muss, dass nicht alles perfekt ist.

Was sind nun die nächsten Schritte?

Als erstes teilen und diskutieren wir den Bericht im ganzen Departement. Dazu waren alle Angehörigen des D-ARCH zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. In den nächsten Monaten werden die Erkenntnisse in all unsere Gremien wie der «Curriculum-Gruppe», der PDK, dem Mittelbau und dem Fachverein fliessen, damit diese dann konkrete Massnahmen vorschlagen können. Zudem wird im März ein nächster Parity Talk stattfinden. Wir sind auch in engem Kontakt mit dem Bereich VPPL von Julia Dannath, um spezifisch auf das D-ARCH ausgerichtete Angebote zu entwickeln.

Wann werden die Studierenden etwas von den Massnahmen spüren?

Ein Kulturwandel geht nicht auf Knopfdruck und lässt sich auch nicht befehlen. Wir können aber das Wissen und die Sensibilität für die angesprochenen Themen erhöhen. Ich bin überzeugt, dass wir den Kulturwandel nur schaffen, wenn wir transparent und offen über jene Dinge sprechen, die weniger gut laufen. Diese Transparenz und Offenheit sollen die Studierenden und alle Angehörigen des D-ARCH schon heute spüren.

Parity Talks

Seit 2016 finden am Departement Architektur die sogenannten Parity Talks statt. Die ersten drei Ausgaben der Parity Talks wurden von Mitgliedern der Parity Group, einer Bottom-Up Initiative von Assistierenden und Studierenden, organisiert.

Das Ziel der Parity Talks:

  • Öffentliche Debatte über Gleichheit der Geschlechter und Diversität in der Architekturausbildung und der Berufspraxis in der Schweiz und im Ausland.
  • Entwickeln von Strategien und Werkzeuge zur Erzielung der Gender-Parity (Gleichstellung von Mann und Frau), insbesondere zur Anhebung des Professorinnen-Anteils.

Mehr Informationen: https://arch.ethz.ch/parity-diversity/Parity-Talks.html

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