ETH Zürich lanciert 3R-Hub für Methoden zur Verbesserung von Tierversuchen
Der neue Hub ist die Anlaufstelle für Forschende in Fragen zu 3R – den drei Tierversuchs-Prinzipien, denen sich auch die ETH verpflichtet: Ersetzen, Reduzieren und Verfeinern. Der 3R-Hub soll Forschende und die Öffentlichkeit für das Thema Tierversuche mit kleinstmöglicher Belastung sensibilisieren.
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Der 3R-Hub ist im März gestartet: Er wird die Aktivitäten der ETH Zürich rund um die 3R-Prinzipien bei Tierversuchen bündeln sowie bestehendes und neues Wissen über 3R-Methoden zusammenführen. Durch die Fokussierung an einer Anlaufstelle sollen effektive und schnell umsetzbare Techniken innerhalb der ETH Zürich bekannt gemacht und etabliert werden. Dazu gehört auch die Schulung von Forschenden. Alle Aktivitäten und Massnahmen des 3R-Hubs sollen dem Tierwohl zugutekommen.
Geleitet wird der Hub von Oliver Sturman. Der Brite forscht am Institut für Neurowissenschaften. Die letzten Jahre hat er als Postdoktorand eine grosse Kollaboration mit Roche geleitet und dort moderne und tierfreundliche Methoden zur Verhaltensforschung eingeführt.
Synergien und konsolidiertes Wissen nutzen
Angegliedert ist der 3R-Hub an die Forschungsgruppe für Molekulare Neurowissenschaften und Verhaltensforschung von Professor Johannes Bohacek. Das kommt nicht von ungefähr: Die Forschungsgruppe am Institut für Neurowissenschaften hat breite Erfahrung mit 3R – zurzeit arbeiten die Hirnforscher:innen an drei Projekten, die vom Schweizer Kompetenzzentrum für 3R, externe Seite Swiss 3RCC, unterstützt werden. Eines davon ist ein externe Seite modernisiertes, auf künstliche Intelligenz gestütztes Verfahren für die Erstellung von Verhaltensprofilen bei Nagern.
Mit diesem Projekt, einer effizienteren Verhaltensanalyse via Videoüberwachung (siehe Box), wird die Durchführung eines Versuchs zugunsten des Tierwohls weiterentwickelt – und es werden Synergien genutzt. «Wir brauchen diese Verhaltensanalysen für unsere eigene Forschung.», sagt Bohacek. «Warum also nicht anderen zugänglich machen?»
Und genau das soll das Prinzip des 3R-Hubs sein: neue Methoden, die Versuchstiere weniger belasten oder die Anzahl Tiere in einem Experiment verringern, auch anderen Forschungslaboren zur Verfügung zu stellen.
Die 3R-Prinzipien sind kein Novum an der ETH Zürich – die Hochschule setzt seit Jahren auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Tierversuchen und forscht selbst zum Thema. «Mit dem neuen Hub stärken wir aber den Austausch, bündeln und vermitteln Wissen und Knowhow zu 3R. Und wir finden individuelle Lösungen, um Forschung in verschiedenen Bereichen für die Versuchstiere so erträglich wie möglich zu machen», erläutert Bohacek. Bisher war jede Forschungsgruppe selbst für die Einhaltung der Prinzipien verantwortlich und musste sich individuell um das Thema kümmern. «Mit dem Hub haben wir nun eine Stelle, die 3R-Methoden weiterentwickelt, die Erkenntnisse öffentlich zugänglich macht und aktiv ohne administrative Hürden in anderen Labors etabliert.»
Ein Gewinn für Forschende und für Tiere
Die Forschenden haben mit dem neuen Hub nun eine Anlaufstelle, um sich über 3R-Standards und -Methoden zu informieren und sich Unterstützung bei der Anpassung neuer 3R-Methoden auf ihre Forschungsbedürfnisse zu holen. Der Hub ist auch eine Plattform für den Austausch von Know-how und Best Practices. «Forschende, die bereits eine 3R-Technik anwenden, die auch für andere Forschende interessant sein könnte, sollen sich unbedingt bei uns melden», sagt Hub-Leiter Oliver Sturman.
Gleichzeitig dient der 3R-Hub dem Tierwohl: Für die Versuchstiere sollen die Bedingungen insgesamt verbessert werden. «Mit unserem hervorragenden Forschungsstandard und unseren hohen Ansprüchen möchten wir Techniken etablieren, welche Tiere so wenig belasten wie möglich», betont Bohacek. «Zudem sollen die Zahlen von Versuchstieren reduziert werden – indem man aus einem Versuch möglichst viele Daten rausholt.»
Gewiss sollen Tiermodelle ganz ersetzt werden, wo und wann immer dies möglich ist. Aber für viele Forschungsfragen bleiben Tierversuche unabdingbar (mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Artikel «Rückhalt für die tierexperimentelle Forschung und Stärkung der 3R-Prinzipien»).
Wertvolles Wissen bleibt erhalten
In der Pilotphase konzentriert sich der 3R-Hub auf die Verhaltensforschung – und um die vereinfachte Verhaltensanalyse per Video, wie sie Bohaceks Forschungsgruppe anbietet (siehe Box). Für den 3R-Hub wird am UZH-Campus Irchel ein grosses Labor als Werkstatt eingerichtet, um die Apparaturen für die automatisierten Verhaltensanalysen produzieren zu können und zu testen, bevor sie in anderen Labors aufgebaut werden. Auch neue Techniken aus anderen Forschungsgebieten können dann dort ausprobiert und reproduziert werden.
Über die Pilotphase hinaus ist das langfristige Ziel des Hubs, die unterschiedlichen 3R-Ansätze an der ETH Zürich zu sammeln und die Technik und Erfahrung anderen zugänglich zu machen, sagt Bohacek. «Vielleicht meldet sich dereinst eine Gruppe, welche zum Beispiel die Blut-Hirn-Schranke auf einem Chip modellieren kann. Dann brauchen wir keine Mäuse mehr, um zu testen, ob ein Medikament durch die Blut-Hirn-Schranke ins Gehirn vorstossen kann oder eben nicht.» Für diese «Replacement»-Strategie – also den Ersatz von Tierversuchen – könnte dann im Rahmen des Hubs eine Person geschult werden, um dieses Verfahren zu etablieren und das Knowhow anderen Laboren zu vermitteln.
Durch den 3R-Hub kann wertvolles Wissen geteilt werden – und bleibt den Forschungsgruppen der ETH Zürich auch längerfristig erhalten. «Wegen befristeten Arbeitsverträgen vieler Mitarbeitenden gibt es im Labor viel Personalwechsel. Wenn die Forschenden weggehen, ist auch das Wissen oder zumindest ein Teil des Wissens weg», sagt Bohacek. Vor diesem Hintergrund mache es Sinn, wenn die ETH Zürich einen solchen Hub finanziert sowie Expertinnen und Experten ausbildet, um die Technologie längerfristig und möglichst vielen Leuten zur Verfügung zu stellen.
Ausweitung der Plattform
Mittelfristig soll der Webauftritt des 3R-Hubs erweitert werden – mit weiteren Informationen zu 3R und laufenden Projekten . «In den nächsten Monaten verschaffen wir uns einen Überblick, was es bei der ETH Zürich zum Thema schon alles gibt», sagt Bohacek.
Der 3R-Hub startet mit Oliver Sturman als «One-Man-Show». Nach einer zweijährigen Pilotphase wird Bilanz gezogen. Das mittelfristige Ziel sei Wachstum, so Bohacek. «Wenn unser Modell Erfolg hat, werden wir dereinst ein oder zwei Technikerinnen oder Techniker anstellen, welche die einzelnen Forschungsprojekte verstehen, testen, umsetzen und in die Labors raustragen können.»
Dass der 3R-Hub sukzessiv wächst, entspricht den Vorstellungen von Christian Wolfrum, dem Vizepräsidenten für Forschung: «Wir wollen an der ETH Zürich die 3R-Methoden verstärkt fördern. Das geschieht am wirksamsten, wenn die Forschenden selbst neue Methoden entwickeln und verbreiten. Das Ziel des 3R-Hubs ist es, eine zunehmende Zahl von Forschenden für dessen wertvolle Ansätze zu gewinnen.»
Weniger Versuche, tierfreundlichere Methoden
In einem ersten Schritt konzentriert sich der 3R-Hub vor allem auf «Reduce» (Reduzieren) und «Refine» (Verfeinern) – also möglichst viele Daten aus einzelnen Versuchen zu generieren und die Belastungen der Tiere so minim wie möglich zu halten. Die Integration von «Replace» (Ersetzen), das dritte R von 3R, bleibt ein Ziel – allerdings eines, das in den nächsten Jahren nur sehr schwer zu erreichen ist. «Es gibt bereits zahlreiche Bestrebungen, Tierversuche, wenn möglich, zu ersetzen, aber dies ist in der Grundlagenforschung oft kein gangbarer Weg», sagt Wolfrum. «Darum setzen wir uns ein, dass die Versuchsanlagen und -methoden verbessert und zumindest die Anzahl eingesetzter Tiere reduziert werden.»
Aus einem Versuch viele Daten gewinnen
Die Hirnforscherinnen und -forscher in der Forschungsgruppe für Molekulare Neurowissenschaften und Verhaltensforschung untersuchen psychische Störungen wie stressbedingte Angststörungen – und sind dabei auf Beobachtungen von Versuchstieren angewiesen: «Die Untersuchung von Verhalten ist komplex. Eine Angststörung zum Beispiel lässt sich nicht molekular diagnostizieren», sagt Johannes Bohacek. «Einem Menschen gibt man einen Fragebogen, ein Tier muss man mittels Verhaltenstest beurteilen.» Diese Verhaltensanalysen werden heute meistens noch sehr konventionell durchgeführt: «Wir nehmen eine Maus, setzen sie in eine Box, beobachten sie und halten dann ein, zwei Dinge fest – zum Beispiel, wie schnell sie sich bewegt, ob sie in einer Ecke sitzen bleibt oder neugierig die Arena erkundet.» Das sei ein verschwenderischer Umgang mit Tierversuchen, sagt Bohacek. Mit moderner Technik liessen sich aus einem einzigen Versuch viel mehr Daten über das Verhalten des Versuchstiers gewinnen, betont Bohacek.
Die Lösung der Forschungsgruppe ist ganz im Sinne der 3R-Prinzipien «Reduce» und «Refine»: Existierende Werkzeuge aus den Bereichen Computer Vision und Machine Learning, also künstlicher Intelligenz, werden zur detaillierten Verhaltensanalyse eingesetzt. Demnach werden Mäuse in ihrer Box von oben mit einer Kamera gefilmt. Die Software analysiert, wie sich das Tier allgemein und wie sich einzelne seiner Körperteile wie Kopf oder Schwanz bewegen. Daraus lässt sich zum Beispiel erkennen, dass die Maus in einer Ecke sitzt und sich das Gesicht putzt - das kann bedeuten, dass sie nervös ist. Oder das System erkennt, dass die Maus an der Wand steht, sich umschaut und den Kopf dabei schnell oder langsam bewegt. Dieses Verhalten musste man bisher, wenn man es überhaupt erkennen konnte, mühsam per Hand annotieren, was ineffizient, ungenau und fehleranfällig ist. «Da gibt es viele kleine Nuancen, die man mit maschinellem Lernen aus diesen Daten rausziehen kann», sagt Bohacek. «Wir gehen davon aus - zum Teil ist das noch eine Hypothese, die wir auch testen - , dass sich viel mehr über den Zustand des Tiers sagen lässt als durch die minimalistischen Analysen, die derzeit noch in den meisten Forschungslaboren gang und gäbe sind.»
«Molecular and Behavioral Neuroscience» am UZH-Campus Irchel gehört zu weltweit wenigen Gruppen, die sich mit solchen automatisierten Verhaltensanalysen beschäftigen. «Wir hören immer wieder von anderen Laboren, dass auch sie ihre Verhaltensanalysen gerne automatisieren möchten, anstatt vor der Mausbox zu sitzen und mit dem Bleistift Striche zu machen, wenn das Tier das eine oder das andere Verhalten zeigt.»
Kontakt
Weitere Informationen
- ETH-Webseite zu Tierversuchen
- Webseite 3R Hub
- 3R-Prinzipien bei Tierversuchen
- externe Seite Swiss 3R Competence Centre (3RCC)
- externe Seite Swiss Transparency Agreement on Animal Research (STAAR)
- externe Seite Institut für Labortierkunde (LTK)
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