Weniger fliegen findet Zustimmung
Das Flugreisenprojekt der ETH Zürich stösst in einer Umfrage unter Dozierenden auf Zustimmung. Viele der Befragten haben ihre dienstlichen Flugreisen in den letzten Jahren bereits reduziert. Virtuelle Events könnten eine sinnvolle Alternative sein.
Wissenschaftliche Arbeit bedingt den Austausch mit der internationalen Forschungsgemeinschaft. Auch für die ETH Zürich ist die weltweite Vernetzung ein wichtiger Erfolgsfaktor. Und dazu gehören Dienstreisen der Hochschulangehörigen, etwa um Symposien oder Konferenzen zu besuchen. Gerade Flugreisen schlagen sich jedoch stark auf den ökologischen Fussabdruck nieder. So sorgte der dienstliche Flugverkehr in den letzten Jahren für über die Hälfte des gesamten CO2-Ausstosses der ETH. Gleichzeitig besteht hier das grösste Potenzial, Emissionen einzusparen. Vor diesem Hintergrund lancierte die Schulleitung 2017 das Projekt «Stay grounded, keep connected», um die Emissionen durch Flugreisen an der ETH zu senken.
Kein Einfluss von Corona
Anfang dieses Jahres hat die für die Projektumsetzung zuständige Mobilitätsplattform der ETH nun eine Umfrage an alle Professorinnen und Professoren gesendet, um ihnen in Bezug auf das Flugreisenprojekt den Puls zu fühlen. Können die Resultate standhalten, wenn doch der internationale Flugverkehr seit Monaten ohnehin eingeschränkt ist? Eine solche Verzerrung lasse sich ausschliessen, meint Psychologin Agnes Kreil, die das Projekt wissenschaftlich begleitet und die Umfrage durchführte.
Die Datensammlung wurde vor Inkrafttreten der ersten Massnahmen des Bundesrats Mitte März beendet, und im zeitlichen Verlauf der eingegangenen Antworten, von Mitte Februar bis Mitte März, habe sich keine Veränderung feststellen lassen. Ebenfalls sei Covid-19 in den qualitativen Teilen der Umfrage von den Befragten nie erwähnt worden, sagt Kreil.
Unter dieser Voraussetzung scheint die Reduktion von Flügen unter den Professorinnen und Professoren Rückhalt zu finden. So gaben 81 Prozent der Teilnehmenden an, entweder zu einer Reduktion ihrer Flugreisen bereit zu sein oder diese bereits reduziert zu haben. 32 Prozent gaben an, sie hätten ihre Flugreisen explizit aufgrund dieses Projektes heruntergeschraubt. Auch in die Gesprächskultur findet das Thema Eingang: Nur 20 Prozent hatten in den zwei Monaten zuvor nicht über das Projekt oder das Thema Flugreduktion gesprochen. Insgesamt nahmen 176 Dozierende teil, die Ergebnisse sollen laut Kreil im nächsten Frühling in einer Publikation erscheinen.
Virtuelle Events als Antwort
Wie aber lassen sich die reduzierten Flugreisen im Wissenschaftsbetrieb angemessen ersetzen? Neben traditionellen Alternativen wie Bus, Zug oder Auto haben gerade in Zeiten der Covid-19-Krise virtuelle Veranstaltungen an Popularität gewonnen. Das zeigt sich auch in den Antworten auf eine Anfang März lancierte Umfrage zu virtuellen Veranstaltungen durch die Mobilitätsplattform und Nicole Aeschbach, Leiterin des TdLab Geographie der Universität Heidelberg.
Viele Befragte erwähnten in jener Umfrage digitale Kommunikationslösungen als Alternative zu Flugreisen. Ausgewertet wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Universität Heidelberg Antworten von 71 Teilnehmenden aus dem akademischen Umfeld in einem Zeitraum von Anfang März bis Mitte Juni, die jeweils zu einem bestimmten virtuellen Event ihrer Wahl Auskunft gaben. Erste Resultate wurden am Online-Symposium «Covid-19 als Zäsur?» Anfang Juli präsentiert.
«Dass eine Veranstaltung die Umwelt bedeutend weniger belastet, wenn sie zumindest teilweise virtuell durchgeführt wird, ist unbestritten», meint Görlinger. Die Umfrage zeigt nun weiter, dass die überwiegende Mehrheit der Teilnehmenden gute oder sehr gute Erfahrungen mit dieser Kommunikationsform machte und es begrüsste, wenn es mehr virtuelle Angebote gäbe. Positiv hervorgehoben wurden neben Umweltfreundlichkeit und Kostenreduktion auch die Zeitersparnis. Weiter wurden die Veranstaltungen als besonders familienfreundlich empfunden. Auch der erweiterte Zugang durch die Aufhebung geografischer Grenzen wurde erwähnt.
«Virtuelle Veranstaltungen bieten bei Weitem nicht nur ökologische Vorteile», betont Görlinger, denn sie seien mitunter auch ökonomischer und sozialer: «Zum Beispiel können durch den verbesserten Zugang Regionen und Gemeinschaften, die über ein geringeres Budget für Flüge verfügen, verstärkt in den wissenschaftlichen Prozess integriert werden.» Zudem könnten etwa Forschende mit Familie intensiver am wissenschaftlichen Austausch teilnehmen.
Luft nach oben
Allerdings zeigen sich auch Schwächen dieser Form der Kommunikation. Die Befragten nannten etwa einen Mangel an persönlicher Interaktion und sozialen Signalen oder die fehlende Möglichkeit, auf Einzelpersonen einzugehen. Um optimale Tools und die beste Form für solche Veranstaltungen zu finden, sucht die Mobilitätsplattform dazu Best-Practice-Beispiele, die sie dann auf ihrer Website zur Verfügung stellt. Gerade für grössere Veranstaltungen fehle dies laut Görlinger nämlich noch vielerorts. Hier seien auch die Hochschulen in der Pflicht, schliesst sie: «Mit der richtigen Technologie und einer angepassten Form des Diskurses können virtuelle Veranstaltungen zu einer sinnvollen Alternative werden, die sogar neue Lösungen für bisherige Probleme bietet.»
«Stay grounded, keep connected»
Mehr als die Hälfte der Treibhausgas (THG)-Emissionen der ETH Zürich werden durch Dienstreisen verursacht. Davon fallen wiederum 93% der Emissionen durch dienstliche Flugreisen an.
Das durch die Schulleitung der ETH Zürich im Frühjahr 2017 lancierte Flugreisen-Projekt möchte ETH-Angehörige dazu motivieren, ihre Treibhausgas-Emissionen aus dienstlichen Flugreisen zu reduzieren. Ziel ist es, einen realen Absenkpfad in Angriff zu nehmen, der aber mit der Exzellenz in der Wissenschaft und bestmöglichen Karrierechancen der Forscherinnen und Forscher verträglich ist.
In einem partizipativen Prozess haben sich die Departemente, Schulleitung und Verwaltungsorgane der ETH Zürich zu einer Pro-Kopf-Reduktion um ca. 11% von 2019 bis 2025 gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2016-2018 verpflichtet. Die Emissionsminderung um 11% basiert auf der effektiven Reduktion der Flugreisen durch die ETH-Angehörigen; sie schliesst weder Kompensation noch eine Effizienzsteigerung der Airlines durch technologischen Fortschritt im betrachteten Zeitraum ein.
Mehr Informationen zum Projekt finden Sie auf der Website des ETH Flugreisen-Projekts.