«Der Lockdown hat eine Vertrauenskultur gefördert»
Der Notbetrieb hat viel verändert. Homeoffice, Online-Unterricht, virtuelle Veranstaltungen: Was wir vor ein paar Monaten noch erst in Ansätzen umsetzten, wurde zum Alltag. Lukas Vonesch, Leiter der Abteilung Personal, spricht im Interview über die hektische Zeit der Umstellung, gemeisterte Herausforderungen und darüber, wie der Lockdown für unsere Arbeit neue Möglichkeiten aufzeigt.
Wie haben Sie den Übergang in den Notbetrieb aus Sicht der Abteilung Personal erlebt?
Als sehr dynamische, hektische und schwierige Situation. Innert kurzer Zeit sahen wir uns mit hunderten Anfragen konfrontiert, mussten für viele Einzelfälle eine Lösung finden. Zeitgleich mussten wir sicherstellen, dass wir unter den Bedingungen des Notbetriebs auch selbst effizient arbeiten können. Die Zeit war geprägt von Unsicherheiten. Glücklicherweise waren wir in der Personalabteilung flexible Arbeitsbedingungen gewohnt und unsere Workflows funktionieren bereits digital. Es war anspruchsvoll. Ich habe grossen Respekt vor den Leistungen meines Teams. Ich war aber auch sehr beeindruckt, wie schnell sich die ETH-Angehörigen in der ganzen Hochschule an die Situation angepasst und wie sie zum Teil eigene Antworten gefunden haben.
In welchen Bereichen stellten sich denn die grössten Herausforderungen?
Zu einem grossen Thema wurden der Stellenantritt und die Anstellungsverträge. Gerade die Reisebeschränkungen führten hier zu schwierigen Situationen, etwa, wenn Personen mit einem Vertrag nicht einreisen konnten, um eine Stelle plangemäss anzutreten. Währenddessen konnten andere nicht ausreisen, nachdem ihr befristeter Vertrag beendet war. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sahen und sehen sich auch damit konfrontiert, dass sie im Moment kaum andere Stellen finden können. Weiter stellte sich die Frage, wie wir mit Arbeitszeitfragen umgehen bei Personen, die ihre Arbeit nicht im Homeoffice leisten können.
Wie wurde das gelöst?
Eines unserer höchsten Ziele war zu kommunizieren, dass wir von der finanziellen Sicherheit der ETH profitieren: Verträge werden eingehalten, Löhne werden bezahlt, Arbeitsstellen gehen nicht verloren. Aus personalpolitischen Überlegungen waren hier flexible und grosszügige Lösungen wichtig. Wir haben in dieser aussergewöhnlichen Zeit in Zusammenarbeit mit den Behörden sowie den jeweiligen Führungskräften an der ETH besondere Massnahmen treffen können. Zum Beispiel wurde die Arbeit vom Homeoffice im Ausland ermöglicht, oder es wurden Verträge verlängert.
Waren dazu auch Anpassungen bei den Reglementen notwendig?
Ja, wir verabschiedeten Ende März respektive Anfang April drei Regelungen, welche klare Rahmenbedingungen schafften und gleichzeitig den nötigen Spielraum für individuelle Lösungen gewähren. So war der ETH mitunter wichtig, dass Hilfsassistierende für die vereinbarten Stunden bezahlt werden.
Hat der Lockdown die Art, wie wir arbeiten, langfristig verändert? Beziehungsweise was bleibt vom Lockdown?
Seit 2016 gibt es von der Abteilung Personal einen Leitfaden und ein Merkblatt für Vorgesetzte und Mitarbeitende zu flexiblem und mobilem Arbeiten. Bisher war das Interesse, diese Dinge auszubauen, sowohl bei den Mitarbeitenden wie auch bei den Vorgesetzten überschaubar. Hier hat der Notbetrieb sicher zu einer neuen Offenheit beigetragen: Er hat das Nachdenken über flexiblere Arbeitsformen und über eine noch stärker auf Selbstorganisation und Vertrauen basierende Führungskultur gefördert. Man war gezwungen, gewisse Dinge auszuprobieren, und entdeckte dabei Vorteile wie das Vermeiden langer Arbeitswege. Aus technischer Sicht sowie in Sachen Flexibilität und Vertrauenskultur würde ich den Lockdown also als Triebfeder bezeichnen. Gleichzeitig wurde aber zuweilen die Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben schwieriger. Für Eltern war die Betreuung der Kinder und das Homeschooling besondere Herausforderungen. Natürlich ist das Ganze auch eine individuelle Frage und betrifft jeden und jede ein bisschen anders.
Welche Bedeutung messen Sie dem Homeoffice in Zukunft bei?
Der Lockdown hat aus meiner Sicht sehr viel ausgelöst, aber es braucht noch Zeit, das zu verarbeiten. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass wir weiter über die neu entdeckten Möglichkeiten diskutieren und an ihnen feilen. Dass wir nicht zurückfallen, aber auch nicht stehenbleiben. Die Zukunft der Arbeit sollte breit diskutiert werden.
Haben Sie denn ein Idealbild von der perfekten Arbeitsform?
Nein. Es ist auch gar nicht mein Ziel, ein Modell vorzugeben. Aus unserer Sicht gilt es, zu ermutigen und Möglichkeiten zu schaffen. Und zwar für Arbeitsformen, die neben effektiver Aufgabenerfüllung eine hohe Vereinbarkeit mit der individuellen Situation und den persönlichen Bedürfnissen der Mitarbeitenden bieten. Das umfasst Kinderbetreuung genauso wie die Pflege von Angehörigen, aber auch Weiterbildungen und Sabbaticals. Wir können und möchten hier nichts vorzeichnen, sondern den Dialog in den Forschungsgruppen und Teams fördern, um flexible und individuell gangbare Lösungen zu finden.
Wie gehen Sie persönlich mit Homeoffice um?
Was mich selbst betrifft, so nutze ich schon länger die Möglichkeit verschiedener Arbeitsorte. Ich passe die Arbeitsumgebung der jeweiligen Aufgabe an: Wenn ich an einem Tag nur von Sitzung zu Sitzung eile, so kann ich das auch vor Ort im Büro machen. Für längeres, konzentriertes Arbeiten an einem Projekt bietet es sich für mich an, zuhause zu bleiben.