Der Weltraum ist für die Erde unerlässlich
Thomas Zurbuchen, Leiter von ETH Zürich Space, erklärt, wie die Schweiz das Weltall besser nutzen und erforschen kann. Das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft.
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Thomas Zurbuchen, Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Weltall. Spüren Sie immer noch so etwas wie Ehrfurcht vor dem, was da draussen ist?
Ja. Und sie wird immer grösser, je mehr ich darüber weiss. Der Nachthimmel, den ich als Kind anschaute, war viel einfacher als der, den ich heute sehe. Heute weiss ich, dass es zu jedem Stern mindestens einen Planeten gibt. Oder dass der ganze Raum mit Gravitationswellen vibriert. Diese Wellen werden wir nun übrigens mit einer Weltraumantenne messen, die zum Teil an der ETH gebaut wird.
Wie erklären Sie sich die Faszination für die Weltraumforschung?
Wir alle tragen eine natürliche Neugier in uns, wir wollen die Natur verstehen. Schon Kinder fragen sich: Was ist das, warum ist das so, wie funktioniert das? Die Faszination hat aber auch mit dem Überschreiten von Grenzen zu tun. Wenn wir die Gravitation der Erde überwinden, ist das wie eine Art Trotzreaktion. Wir müssen unsere kindliche Neugier wieder neu zum Leben erwecken.
Und trotzdem haben wir auf der Erde genug Probleme, die man mit Geld, das in die Weltraumforschung fliesst, lösen könnte.
Aus meiner Sicht wird nicht genug in die Weltraumforschung investiert, vor allem in der Schweiz. Denn viele der Lösungen kommen aus dem Weltraum. An der ETH motiviert uns eines der grössten Probleme, die wir auf der Erde haben: der Klimawandel. Daten aus dem Weltall helfen uns zu verstehen, wie sich unsere Welt verändert.
Das müssen sie erklären.
Satellitendaten können dazu verwendet werden, heftige Sturmereignisse vorherzusagen. Mittels Daten aus dem Weltall können wir aber auch Bergrutsche besser verstehen, Wälder besser schützen und die Verschmutzung der Ozeane besser erkennen. Diese Daten sind heute für die Erd- und Klimabeobachtung unerlässlich.
«Globe» Eine Reise ins All
Dieser Text ist in der Ausgabe 24/04 des ETH-Magazins Globe erschienen.
Seit August 2023 leiten Sie ETH Zürich Space. Welche Bilanz ziehen Sie?
Wir sind auf gutem Weg – bei der Innovationsförderung, in der Lehre und in der Forschung. Dabei konnten wir auf sehr guter Vorarbeit aufbauen: ESA BIC Switzerland, eine Förderinitiative der Europäischen Weltraumorganisation und der ETH Zürich, ist sehr erfolgreich. Aktuell fördern wir 21 Startups, die sich mit Weltraumtechnologie beschäftigen. Und dass wir diesen Herbst schon den neuen Masterstudiengang für Space Systems starten konnten, begeistert mich.
Was ist Ihre Vision für den Bereich Space?
In den nächsten fünf Jahren wollen wir den neuen Masterstudiengang als einer der besten weltweit etablieren und weitere Unterrichtselemente in der Weiterbildung oder im Grundstudium prüfen. In der Forschung sollten wir bis dann zwei bis drei Grossprojekte haben: Zum Beispiel einen Erdbeobachtungssatelliten, der zumindest teilweise an der ETH gebaut wurde, oder vielleicht einen ETH-Roboter, der auf dem Mond landet. Zudem wollen wir in der Schweiz einen Innovationscluster im Bereich Space aufbauen, indem wir etablierte Firmen zusammenbringen und Gelder finden, um Startups wachsen zu lassen. Ich möchte auch, dass wir uns besser vernetzen. Die Schweiz ist zu klein für einen Konkurrenzkampf unter den Universitäten.
Wieso ist die Weltraumforschung überhaupt wichtig für die Schweiz?
Die Weltraumforschung passt perfekt zur Schweiz: Es geht um hohe Qualität und gutes Engineering – Dinge, für die die Schweiz bekannt ist. Zudem handelt es sich um einen stark wachsenden Markt. Die Schweiz hat hier gute Chancen, sich als Standort für Firmen zu positionieren. Wir wollen sicherstellen, dass die Schweiz diese Chance nutzt, wettbewerbsfähig bleibt und ihre internationale Sichtbarkeit erhöht. So können wir uns die Einzigartigkeit der Schweiz zum Vorteil machen und Dinge tun, die sonst niemand kann. Es gibt jetzt schon viele Bereiche, in denen die Schweiz führend ist, etwa bei der Zeitmessung oder bei der Herstellung von Sensoren. Wir haben hier sehr gut ausgebildete Leute – an den Hochschulen und in den Betrieben. Das ist entscheidend.
Was müssen wir tun, um das Potenzial in der Schweiz voll auszuschöpfen?
Es braucht zum einen mehr Zusammenarbeit zwischen etablierten Firmen, Startups und Hochschulen. Hier wollen wir mit dem Bereich Space einen Beitrag leisten. Zum andern brauchen wir eine neue Fehlerkultur, denn nur mit diesem Ansatz können wir Grosses erreichen. Etwas zu wagen und dabei Fehler zu machen, sollte weniger stigmatisiert werden. Es ist wichtig, dass wir unsere Ziele so hoch ansetzen, dass wir auch mal scheitern und daraus lernen können. Wir brauchen Menschen, die an die Zukunft glauben und grosse Probleme lösen wollen und wir sollten solche Menschen auch finanziell stärker unterstützen. Dazu braucht es die Mithilfe der ETH und auch der Politik.
Welchen Stellenwert hat der Weltraum für die Forschung an der ETH?
Viele Forschungsbereiche an der ETH – von der Physik über die Erdwissenschaften bis zum Bauen – haben immer mehr mit Beobachtungen aus dem Weltraum zu tun. Wir sollten die Daten selbst verstehen können und auch mitbestimmen, wie wir die Erde beobachten. Dafür müssen wir die Experimente rasch vom Labor ins Weltall bringen. Unser Ziel ist daher, die Kooperationen mit Unternehmen aus der Raumfahrt auszubauen und eine führende Rolle bei grossen Missionen der ESA, NASA und weiteren Raumfahrtagenturen einzunehmen.
Der Zugang zum All wird einfacher, vor allem dank kommerzieller Akteure. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Die Kosten, in den Weltraum zu gehen, sinken schon seit einiger Zeit und dieser Trend wird auch in Zukunft anhalten. Dadurch wird es für Forschende einfacher und günstiger, Experimente auf den Mond oder ins Weltall zu bringen. Wir haben heute den Vorteil, dass wir auf bestehenden Systemen aufbauen können und zum Beispiel keinen neuen Satelliten bauen müssen, um ein Experiment im All durchführen zu können.
Würden Sie selbst ins All gehen?
Ja, absolut. Früher musste man sich über fünf Jahre lang vorbereiten, um ins Weltall gehen zu können. Diese Lebenszeit wollte ich nicht opfern. Wenn ich heute nur ein paar Monate trainieren müsste, und dann mit einer Mission ins All gehen könnte, wäre ich sofort dabei. Vor allem, wenn ich dort ein wichtiges Experiment durchführen könnte, zum Beispiel, wenn ich einen Quantensensor der ETH mitnehmen und testen könnte.
Aktuell wird viel über die Rückkehr zum Mond gesprochen. Was versprechen wir uns davon?
In der Regel geht es um drei Dinge: um Forschung, um nationale Interessen und Prestige sowie Innovation, und um Inspiration. In jedem Land sind diese Bereiche etwas anders gewichtet. China zum Beispiel hat starke nationale Interessen, es will Macht demonstrieren, ist aber auch stark in der Forschung. Indien braucht das Mondprogramm zur Inspiration und zur Innovationsförderung. Wenn ich eine Milliarde hätte, würde ich sie teilweise investieren, um auf den Mond zu gehen. Nicht primär, um die Menschen dorthin zu bringen, sondern um die Wissenschaft zu fördern.
Wie weit weg sind wir von einer permanenten Basis auf dem Mond entfernt?
China ist hier am nächsten dran, es möchte diesen Schritt im Jahr 2035 erreichen. Die Amerikaner waren 1969 die ersten Menschen auf dem Mond. Aber der Mond ist nicht mehr dazu da, um Fussabdrücke und Fahnen zu hinterlassen. Wir sollten den Mond als Forschungslabor und allenfalls auch zur Gewinnung von Ressourcen nutzen.
Wenn China zuerst eine permanente Basis auf dem Mond errichtet: Wird es seine Forschungsdaten mit anderen Partnern teilen?
Als internationale Gemeinschaft haben wir noch keine allgemeingültigen Regeln für die Zusammenarbeit auf dem Mond gefunden. Diese müssten die Nutzung von Ressourcen, die wir auf dem Mond finden, gleichermassen regeln wie den freien Austausch von Daten. Wir müssten hier einen Konsens erzielen – unabhängig davon, wer zuerst dort ist. Ich könnte mir vorstellen, dass die Schweiz als neutrales Land eine wichtige Rolle in dieser internationalen Diskussion übernehmen könnte.
Vom Mond zum Mars. Wann werden wir Menschen den Mars erreichen?
Das hat viel mit Geld, Glück und auch mit regulatorischen Dingen zu tun. Der Mars ist eine viel grössere Herausforderung als der Mond, weil es auf dem Mars vielleicht Leben gibt. Wir wollen unbedingt vermeiden, dass der Mars durch uns Menschen unwiederbringlich kontaminiert wird. Wir müssen sicherstellen, dass die nächste Generation unsere Forschung weiterführen kann. Daneben gibt es aber auch noch grosse technische Probleme zu lösen. Wie kann der Mensch über lange Zeit mit der starken Strahlung umgehen und wie kann man die Menschen sicher wieder zurück auf die Erde bringen?
Warum sollten wir zum Mars gehen, ausser, dass uns die Neugier dorthin treibt?
Die Wissenschaft auf dem Mars ist viel interessanter als auf dem Mond. Man kann den Mars als eine Art «kaputte Erde» ansehen. Es hatte dort Ozeane, eine dicke Atmosphäre. Was ist passiert, dass das heute nicht mehr so ist, und was können wir daraus lernen? Wie beim Mond spielen auch hier die nationalen Interessen und die Neugier eine Rolle. Dass Astronauten auf dem Mond waren, hat die ganze Welt inspiriert, hat neue Technologien gebracht, die wir heute nutzen. Das wird beim Mars auch so sein.
Zur Person
Thomas Zurbuchen war von 2016 bis 2022 Wissenschaftsdirektor der Weltraumbehörde NASA. Im August 2023 übernahm der schweizerisch-US-amerikanische Astrophysiker als Professor für Weltraumwissenschaft und -technologie die Leitung von ETH Zürich Space. Mit dieser Initiative will die ETH ihre Weltraumforschung und -lehre ausbauen und die Zusammenarbeit mit der Raumfahrtindustrie stärken.