Math meets Biology: an Interdisciplinary Project
In der Welt der Natur- und Ingenieurwissenschaften an der ETH ist die Bedeutung der Mathematik nicht zu unterschätzen. Doch oft erkennen Studierende erst spät im Verlauf ihres Studiums, wie essenziell mathematische Modelle für biologische Prozesse sind. Durch Team-Teaching und Gruppenprojekte, begleitet von Dozierenden aus beiden Disziplinen, werden komplexe Fragestellungen der Genexpression erforscht.
Mathematik als Grundpfeiler der ETH-Ausbildung
Mathematik ist ein Grundpfeiler der Ausbildung an der ETH und schafft als fester Bestandteil des ersten Studienjahres der ETH-Studiengänge die Voraussetzungen für das Studium der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Insbesondere in der modernen quantitativen Biologie spielt Mathematik eine wichtige Rolle: Unter anderem erfordern die zunehmenden Datenmengen und das komplexe Zusammenspiel der an biologischen Prozessen beteiligten Moleküle die Entwicklung und Anwendung von mathematischen und statistischen Modellen, um die Entstehung zeitlicher und räumlicher Muster in biologischen Systemen zu verstehen. Die Vermittlung fachspezifischer Inhalte für die mathematische Modellierung findet im Curriculum der natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge in der Regel asynchron zur Mathematikausbildung statt. Studierende und Dozierende stehen damit vor der Herausforderung, die Einstufung der Mathematik als isolierte, vom eigentlichen Studienfach losgelöste Disziplin zu überwinden und die Motivation für eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Mathematik zu fördern.
Frühzeitiges Bewusstsein für Mathematik in der Biologie durch Synchronisation von Lehrveranstaltungen
Oft wird Studierenden erst spät im Studium die Bedeutung der Mathematik für ihr gewähltes Studienfach bewusst, nämlich dann, wenn sie sich mit Problemstellungen befassen, deren Lösung mathematische Modelle, statistische Analysen oder Computersimulationen erfordern. Studierende und Dozierende verpassen somit die Gelegenheit, die Notwendigkeit mathematischer Anwendungen in der Biologie in situ zu begreifen und zu vermitteln. Genau hier setzt unsere Initiative an, mit der wir 2017 gestartet sind. Um Studierenden bereits im ersten Studienjahr die Bedeutung der Mathematik für biologische Prozesse aufzuzeigen, haben wir ein Projekt an der Schnittstelle zwischen beiden Disziplinen entwickelt, das die Bedeutung der mathematischen Modellierung mit Hilfe der Differentialgleichungen zur Beschreibung biologischer Regelnetzwerke in beiden Lehrveranstaltungen synchron demonstriert.
Dazu werden verschiedene Aktivitäten in den parallel stattfindenden Vorlesungen der Biologie und Mathematik durchgeführt (vergleiche Abbildung 1).
Praxisnahe Anwendung von Differentialgleichungen in Biologie und Mathematik
Die mathematischen Grundlagen zum Verstehen, Aufstellen und Lösen von Differentialgleichungen werden zunächst an einem einfachen Regelungsprozess der Genexpression angewandt und geübt. Dazu unterrichten Dozierende des D-BIOL und D-MATH im Team-Teaching, das von vor- und nachbereitenden Übungsaufgaben (online und in Präsenz) begleitet wird. In den anschliessenden Gruppenprojekten bearbeiten die Studierenden die Modellierung komplexerer Fragestellungen zur Regulation der Genexpression, wobei jede Gruppe die biologische Fragestellung frei wählen kann. Dabei entwickeln die Studierenden während 2-3 Monaten Konzepte, um die Lösung ihrer Fragestellung ihren Mitstudierenden zu präsentieren (als Vortrag, Polybook, Video, etc.). Dozierende und Hilfsassistierende des D-BIOL und D- MATH unterstützen die Gruppen und klären in regelmässigen Treffen Fragen, geben Impulse oder vernetzen die Studierendengruppen miteinander. Im zweiten Semester werden in den Biologie- und Mathematik-Vorlesungen die projektrelevanten mathematischen und biologischen Grundlagen vertieft. In den Übungsstunden zur Vorlesung Biologie 2 stellen die Gruppen ihre Ergebnisse vor und erweitern damit die Anwendung von Differentialgleichungen auf komplexere Genregulationsnetzwerke. Die Studierenden unterrichten somit ihre Mitstudierenden in einem Peer-to-Peer-Teaching-Format. Mit einem Moodle-Quiz wird das Projekt abgeschlossen und aufgezeigt, in welchen zukünftigen Lehrveranstaltungen im Biologiecurriculum mathematische Modelle eine wichtige Rolle spielen (z.B. Modellierung metabolischer Netzwerke in der Systembiologie oder Integration experimenteller Datensätze in der Bioinformatik). Die Studierenden fassen ihre Ergebnisse so zusammen, dass nach Lektorat durch die Dozierenden Lern- und Lehrmaterial entsteht, das nachfolgenden Studierendengenerationen im Unterricht zur Verfügung steht. Die Anwendung von Differentialgleichungen zur Modellierung von Genexpressionsnetzwerken ist als Bonusaufgabe auch Teil der Basisprüfung «Biologie 2».
Das didaktische Szenario «Math Meets Biology» wird seit 2017 entwickelt und implementiert, wodurch passende biologische Themen für die Vorlesungen Mathematik 1/2 identifiziert und das Profil der Aktivitäten sowie die Lernziele mit drei Studierendenkohorten (inkl. Covid-Unterbruch) geschärft werden konnten.
Von diesem Projekt erwarten wir einen nachhaltigen Effekt auf die Vermittlung der Bedeutung von Differentialgleichungen zur Beschreibung biologischer Prozesse für nachfolgende Vorlesungen des Biologiestudiums (z.B. Musterbildung in der Embryonalentwicklung in der Vorlesung «Biologie 3: Multizellularität» oder Antikörperproduktion zur Pathogenabwehr in «Molecular Mechanisms of Health & Disease»).
Methoden, Tools und Massnahmen um das studentische Engagement für den Lernerfolg explizit anzuregen
Die Benennung der Anwendungen eines mathematischen Konzepts sind von jeher fester Bestandteil des Syllabus einer mathematischen Grundlagenvorlesung. Entscheidend für den Lernerfolg ist aber, diese unmittelbar und transparent auf die aktuelle Studiensituation abzubilden. Der Verweis auf die (spätere) Fachvorlesung allein reicht nicht. Dies gilt im gleichen Masse für die Disziplin, in der die mathematischen Anwendungen relevant sind. Durch die Einbettung des Projekts in beiden Disziplinen sowie der gemeinsamen Entwicklung und Durchführung der Aktivitäten wird den Studierenden die Bedeutung der Verknüpfung der gelehrten Inhalte im Kontext ihrer Studiensituation aufgezeigt. Dies erfordert auf beiden Seiten der Schnittstelle inhaltliche und organisatorische Anpassungen und Absprachen.
Das Projekt fördert insbesondere die Selbständigkeit und das Engagement der Studierenden. Durch die freie Wahl des Themas der Gruppenarbeit und deren Ausgestaltung können die Studierenden das Lernen auf ihre eigenen Interessen abstimmen und ihren Lernerfolg maximieren. Die Studierenden übernehmen somit Verantwortung für ihren eigenen Lernerfolg und tragen zusätzlich zum Lernerfolg ihrer Mitstudierenden sowie nachfolgender Kohorten bei, indem sie Lehr- und Lernmaterial für diese entwickeln und selbständig Lernsequenzen durchführen (Peer-to-Peer-Teaching).
Zur Sicherstellung der Anknüpfung an das Vorwissen der Studierenden haben wir die Themen bewusst so gewählt, dass Grundlagenwissen aus beiden Disziplinen ausreicht und nur wenig Unterstützung durch Experten:innen notwendig ist. Dies garantiert einen niederschwelligen Einstieg in das Projekt und fördert das studentische Engagement. In der Mathematik erfolgt zu Beginn die Modellierung eines einfachen Regulationsprozesses durch eine elementare Differentialgleichung (linear 1. Ordnung mit konstanten Koeffizienten), die sich mit dem Ausbau der Modellierung eines Genexpressionsnetzwerks zu einem gekoppelten 2×2-System nichtlinearer Differentialgleichungen entwickelt (vergleiche Abbildung 1).
Innovative Elemente des Kurses
Zum einen eine bessere Abstimmung durch Verständnis der disziplin-spezifischen Sprache: Damit ein Projekt wie «Math meets Biology» im Team-Teaching erfolgreich sein kann, muss auch «Math speaks Biology» und «Biology speaks Math» gegeben sein. Einerseits müssen Mathematiker:innen die Prozesse der Biologie verstehen, andererseits müssen Biologen:innen soweit die mathematische Sprache sprechen, dass ein sinnvoller Dialog zwischen beiden Wissenschaften stattfinden kann. Während Biologielernende und – lehrende oft Probleme mit dem abstrakten Formalismus der Mathematik haben, mag es umgekehrt gewöhnungsbedürftig für Mathematiker:innen sein, dass es in der Biologie bei praktisch allem Einschränkungen, Ausnahmen oder Gegenbeispiele gibt, die man oft nicht oder nur ungenügend definieren kann. Unser Projekt setzt genau an diesem Punkt an, indem es eine enge Kollaboration zwischen den beteiligten Dozierenden fordert, um Lehrmaterial gemeinsam zu entwickeln und Studierende im Team zu unterrichten. Dies gewährleistet eine ideale Abstimmung zwischen Nehmer- und Anbieter- Departement für Serviceveranstaltungen des Basisjahrs. Solche oder ähnliche departementsübergreifenden Projekte wirken sich positiv auf die Qualität der Ausbildung im ersten Studienjahr aus.
Zum andern auch das Peer-to-Peer-Teaching: Die Einführung neuer Lehrmethoden stellt besonders im Basisjahr mit 400+ Studierenden eine grosse Herausforderung dar und in den meisten Lehrveranstaltungen dominiert das traditionelle Lehrmodell (Frontalunterricht), in dem die Studierenden wenig untereinander oder mit den Dozierenden interagieren. Die Ergänzung durch Peer-to-Peer-Teaching erschien uns nicht nur als innovative Methode attraktiv, sondern auch besonders gut geeignet, um den Studierenden bereits früh im Studium die Vorteile des Lernens mit und durch Peers aufzuzeigen. Zentral für eine erfolgreiche Umsetzung sind dabei die angemessene Auswahl an Themen, mit denen Studierende ohne Überforderung arbeiten können, eine curriculare Anpassung und insbesondere die Schaffung von Freiräumen in beiden Lerneinheiten
Frage:
Welchen Effekt hatten die innovativen Elemente auf studentisches Lernen?
Antwort:
• Höhere Motivation der Studierenden für das Lernen mathematischer Grundlagen durch konkrete Einbettung in biologische - - • Anwendungen und dem Unterricht im Team aus D-BIOL und D-MATH Frühe Auseinandersetzung mit eigenständiger wissenschaftlicher Problemlösung
• Erste Erfahrungen mit dem Unterrichten (Peer-to-Peer-Teaching)
• Studierende erkennen und erleben, welchen mathematischen und biologischen Komplexitätsgrad sie mit mathematischen Werkzeugen bearbeiten können.
• Vernetzung von Studierenden im Basisjahr durch Gruppenarbeit und Peer-to-Peer-Teaching und über mehrere Jahrgänge hinweg
Frage:
Wie haben Sie (kontinuierliches) Feedback auf studentisches Lernen sichergestellt?
Antwort:
• Regelmässige Moodle-Quizze und Übungen dienen der Vor- und Nachbereitung der Vorlesungsaktivitäten
• Begleitung der Gruppenarbeiten durch Dozierende und Assistierende
• Überprüfung des Lernerfolg in summativen Tests (Basisprüfung)
• Diskussion der Ergebnisse aus den Gruppenprojekten in den Übungen der Vorlesung Biologie 2
Frage:
Welche Elemente Ihres Projektes würden Sie anderen weiterempfehlen?
Antwort:
• Übertragbarkeit: Aufgrund der vielseitigen Anwendung von Differentialgleichungen zur Modellierung von Prozessen lässt sich das Projekt gut auf andere Gebiete der Lebenswissenschaften übertragen (z.B. epidemiologische Modelle der Virusausbreitung, Dynamik neuronaler Systeme, Modellierung physiologischer Prozesse wie Herzfunktion oder Blutkreislauf, Dynamik von Populationen in Umweltsystemen, Kinetik (bio)chemischer Reaktionen, etc.). Dazu können die entwickelten Lehrmaterialien und Übungen leicht auf neue Themen angepasst und wiederverwendet werden.
• Nachhaltigkeit & Wirkung auf die Curriculumentwicklung: Durch das Projekt hat sich der Dialog zwischen den beiden beteiligten Departementen intensiviert und die Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Bedeutung der Mathematik für die Biologie aufgezeigt werden kann, hat weitere Dozierende motiviert, diesen Aspekt in ihren Vorlesungen verstärkt zu thematisieren. So sind bereits viele Ideen für weitere Einsatzszenarien für “Math meets Biology” entstanden, die in den höheren Semestern des Biologiecurriculums umgesetzt werden sollen.
• Team-Teaching: Die enge Kollaboration zwischen den beteiligten Dozierenden bei der Entwicklung von Lehrmaterial und Lernsequenzen hat das Verständnis für die Bedürfnisse und Schwierigkeiten in der Lehre der jeweils anderen Disziplin stark gefördert. Dozierende lernen somit die mathematische bzw. biologische Denkweise besser zu verstehen und können diese daher auch besser im eigenen Kontext vermitteln.
• Peer-to-Peer-Teaching: In diesem Lernsetting profitieren sowohl die präsentierenden als auch die teilnehmenden Studierenden. Erstere tragen einerseits zum Lernerfolg ihrer Mitstudierenden sowie nachfolgender Kohorten bei. Andererseits erhöhen sie auch ihren eigenen Lernerfolg durch die didaktische Aufbereitung des Stoffs und der aktiven Vermittlung an Mitstudierende (Lernen durch Lehren). Im Peer-to Peer-Teaching profitieren die Studierenden auch vom ähnlichen Wissenshintergrund der lehrenden und lernenden Peers. Zudem werden die Studierenden durch ansprechende Lernmaterialien motiviert, sich selbst an einem solchen Projekt zu beteiligen. Von den Studierenden wurde auch sehr positiv aufgenommen, dass die Dozierenden Raum in der Vorlesung für solche Peer-to-Peer-Teaching-Lektionen geschaffen haben.
Project team
Inst. f. Molekulare Systembiologie
Otto-Stern-Weg 3
8093
Zürich
Schweiz
Dep. Mathematik
Rämistrasse 101
8092
Zürich
Schweiz
D-BIOL Center for Active Learning
Otto-Stern-Weg 3
8093
Zürich
Schweiz