Es ist kühl und leicht staubig in der Halle für roboterbasierte Fabrikation. Forscher Che Wei Lin vergewissert sich, dass das gelbe Schalungsbrett an der richtigen Stelle liegt. Dann gibt er Forschungsleiterin Ana Anton das Zeichen. Die Steuerung schon in der Hand, startet sie den 3D-Drucker. Es knattert, als der Feinkornbeton zur Düse am Roboterarm gepumpt wird. Leise surrend setzt sich der Roboter in Bewegung und zeichnet gleichmässig die erste Schicht auf die Platte: einen interessanten Grundriss aus zwei verschmolzenen Kreisen mit einer zahnradförmigen Innenschicht. Nach dem feierlichen Druckstart im Beisein der Presse ist heute der erste reguläre Produktionstag des höchsten 3D-gedruckten Bauwerks der Welt.
Benjamin Dillenburger, ETH-Professor für Digitale Bautechnologien, und Architekt Michael Hansmeyer haben den weissen Turm mit dem Namen Tor Alva in Zusammenarbeit mit den ETH-Professoren Robert J. Flatt und Walter Kaufmann entworfen. Dass es sich hier nicht um alltägliche Architektur handelt, sieht selbst ein Laie auf den ersten Blick: Die skulpturalen Säulen aus weissem Beton sind verzweigt und einzigartig texturiert. Über vier Stockwerke wird der Tor Alva immer luftiger, die Säulen werden immer schlanker und höher, bis sie sich im finalen Kuppelraum weiter verästeln. Eine strukturelle Herausforderung, welche die Forschenden des ETH-Teams – Timothy Wangler, Alejandro Giraldo Soto, Lukas Gebhard und Ana Anton – gemeinsam mit dem Bauingenieurbüro Conzett Bronzini Partner gelöst haben.
Zu stehen kommt die Weltneuheit nicht in Zürich, sondern im abgelegenen Mulegns auf dem Julierpass. Dort soll sie in Verbindung mit einem Kulturprogramm in der Kuppel des Turms Touristen anlocken und das Dorf wiederbeleben. Denn Mulegns ist vom Aussterben bedroht. Einst trugen die geschickten Bündner Zuckerbäcker, Baumeister und Stuckateure ihr handwerkliches Können um den Globus. Sie brachten Reichtum zurück in die Dörfer, bauten Schulen und Villen. Die Zeit des Wohlstands ist nun vorbei: Weniger als zwanzig Personen leben heute noch in Mulegns. Doch die Stiftung Nova Fundaziun Origen hat das Dorf noch nicht aufgegeben und sich mit der ETH zusammengetan, um mit der Verbindung von Kultur und neusten digitalen Bautechnologien an den Pioniergeist des Bündner Passdorfs zu erinnern.
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