Was tief unten brodelt

Vor 34 Jahren explodierte der Vulkan Mount Saint Helens, verwüstete Hunderte von Quadratkilometern Wald und tötete knapp sechzig Menschen. Nun rücken ihm Wissenschaftler mit Sprengstoff auf die Pelle. Ihr Ziel: eine hochaufgelöste dreidimensionale Karte des Untergrunds bis in 70 Kilometer Tiefe zu erstellen, um das Verhalten des unruhigen Berges besser voraussagen zu können.

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Die Idylle trügt: Der Mount Saint Helens gehört zu den aktivsten Vulkanen der Welt. Wissenschaftler befürchten weitere zerstörerische Ausbrüche wie den von 1980. (Bild: LDELD/flickr.com)

Am 18. Mai 1980 hielt die Welt den Atem an: Am Mount Saint Helens im Nordwesten der USA ereignete sich eine der grössten Naturkatastrophen der Neuzeit. Zwei Monate nachdem der schlummernde Vulkan erste Warnsignale für sein Erwachen ausgesandt hatte, erschütterte ein Beben von Magnitude 5,1 den Berg. Seine instabil gewordene Nordflanke rutschte in einem Mal ab – was dem Entkorken einer Champagnerflasche gleichkam. Eine gewaltige seitliche Eruption riss dem Vulkan seinen Gipfel ab, ein ausströmendes Gemisch aus heissem Gestein und Gas verwüstete nahezu 400 km2 Wald. Innert kürzester Zeit schmolzen so viel Schnee und Eis, sodass sich Schuttströme aus Schmelzwasser, Gesteinsbrocken und Asche –sogenannte Lahars – bildeten und alles mitrissen, was sich ihnen in den Weg stellte. Der Ausbruch forderte 57 Menschenleben. Abertausende von Tieren starben.

Magmasystem erforschen

In den vergangenen Jahrzehnten beruhigte sich der Berg, aber eingeschlafen war er nicht. So brach er zwischen 2004 und 2008 wieder aus, allerdings weniger heftig. Der Mount Saint Helens blieb auf dem Radar der Wissenschaftler. Sie verfolgten die Aktivitäten des Vulkans, um besser zu verstehen, wie er funktioniert. Das war aber nicht genug: Der Mount Saint Helens bleibt unberechenbar. Dies wollen Geologinnen und Geologen nun ändern. Mit dem Grossprojekt «externe Seite iMush» möchten sie den Aufbau des Magmasystems, das den Vulkan speist, bis in 60 bis 70 Kilometer Tiefe möglichst genau untersuchen und hochaufgelöst dreidimensional abbilden. Am Projekt beteiligt ist auch ETH-Vulkanologe Olivier Bachmann und seine Gruppe.

Bekannt sind bis anhin nur die ersten 10 Kilometer unterhalb des Vulkans. Doch die Auflösung der errechneten Bilder ist nicht besonders hoch. Noch viel weniger weiss die Forschung darüber, wie das Magmasystem in grosser Tiefe aufgebaut ist und wie Magma aufsteigt. Je mehr die Wissenschaftler über den Aufbau des Magmasystems im Untergrund des Mount Saint Helens wissen, desto besser können sie Warnsignale dafür deuten, dass Magma aufsteigt und eine Eruption bevorstehen könnte. Die Erkenntnisse, welche die Geologinnen und Geologen an diesem Vulkan gewinnen, soll nicht nur Ausbrüche des Mount Saint Helens voraussagen helfen, sondern auch solche von anderen Vulkanen des sogenannten Cascade-Bogens im Westen Nordamerikas oder sogar weltweit.

Erdbeben und Magnetströme messen

Mit einer Kombination von verschiedenen Methoden möchten die Forschenden dem Mount Saint Helens das Geheimnis seines Zerstörungspotenzials entlocken. Im kommenden Sommer installieren sie mehr als 2500 Seismometer, um die Erdbebenaktivität in einem rund 1000 km2 grossen Gebiet im Umkreis des Vulkans zu messen. Weiter verteilen sie für sogenannte magnetotellurische Messungen mehrere Tausend Sonden, die elektrische Felder und Magnetfelder registrieren. Und an 24 Stellen bringen die Forscher in 25 Meter tiefen Bohrlöchern Sprengladungen zur Explosion. Dadurch erzeugen sie seismische Wellen, die am Gestein reflektiert oder umgelenkt werden. Die mannigfaltigen Reflexionen können gemessen werden und lassen Rückschlüsse darauf zu, wie der Untergrund beschaffen ist, etwa ob Magma vorhanden ist.

Die Leitung des Gemeinschaftsprojekts liegt bei der University of Washington. Neben der Gruppe von ETH-Vulkanologieprofessor Olivier Bachmann sind auch Wissenschaftler von US-amerikanischen Universitäten und dem US Geological Survey (USGS) daran beteiligt. Bachmanns Aufgabe ist, das Gestein, das der Vulkan im Lauf der Jahrtausende ausgespuckt hat, zu untersuchen. Dazu sammelt seine Doktorandin Maren Wanke während zweier Saisons am Mount Saint Helens und seinem Umland Gesteinsproben. Diese analysiert sie in den Labors an der ETH auf ihre chemische und mineralogische Zusammensetzung.

Mineralien zeichneten Vulkangeschichte auf

«Die Mineralien, die im Gestein enthalten sind, sind Datenlogger», sagt Bachmann. Anhand der Mineralien lässt sich feststellen, wie sie gebildet wurden, aus welcher Tiefe sie stammen, welchen Dampf-, Druck- und Temperaturbedingungen sie ausgesetzt waren. «Die Kunst ist es, diese Daten auszulesen», so der ETH-Professor.

Erste Gesteinsproben, die Maren Wanke im Sommer 2013 sammelte, analysierte Student Baptiste Lemirre im Rahmen seiner sechsmonatigen Masterarbeit. Die ersten Daten sehen viel versprechend aus. Die Mineralien, die im Gestein eingeschlossen sind, sind nur zwischen einem halben und zwei Millimeter gross und wiegen wenige Dutzend Mikrogramm. Manche messen sogar nur einen zwanzigstel Millimeter, doch diese Mengen reichen aus, damit die Wissenschaftler Alter und chemische Zusammensetzung der Mineralien und damit die Herkunft der Gesteine bestimmen können.

Resultate ab 2016

«Die Gesteine helfen uns, Zeiten aktiven Vulkanismus‘ und Ruhephasen zu charakterisieren, denn die Eruptionszyklen spiegeln sich in der Zusammensetzung und Mineralogie der Gesteine wider», sagt Wanke. So lasse sich anhand des jüngsten Auswurfsmaterial auch feststellen, an welcher Stelle seines Zyklus der Berg derzeit stehe. «Diese Brocken aus der Vergangenheit sind der Schlüssel zur Gegenwart», betont sie. Um noch mehr Hinweise auf das unruhige Leben des Mount Saint Helens zu finden, wird sie Ende Juli ihre zweite Sammelreise unternehmen. Vier Wochen lang wird die Doktorandin weiteres Gesteinsmaterial zusammentragen. Bis sie definitiv weiss, ob sie die passenden Schlüssel gefunden hat, werden wohl gegen zwei Jahre vergehen. Mit ersten definitiven Resultaten rechnet die Wissenschaftlerin ab 2016.

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