Protein gibt Teilungs-Startschuss
Ob ruhende Bakterien damit beginnen, sich zu vermehren, hängt nicht vom Zufall ab. Sie warten vielmehr auf ein klares Signal, welches ihnen ein einzelnes Protein im Zellinnern gibt. Forschende der ETH konnten nun die molekularen Zusammenhänge entschlüsseln.
Bakterien können sich rasend schnell vermehren, doch sie tun es nur unter den richtigen Bedingungen. Fehlen ihnen Nährstoffe oder ist es beispielsweise zu kalt oder zu trocken, verharren sie in einem Ruhezustand. Wie eine einzelne Bakterienzelle entscheidet, ob sie sich teilen soll, wurde bisher vor allem an Populationen untersucht, die sich bereits munter vermehren. Doch was eine schlummernde Zelle dazu bringt, aus ihrem Ruhezustand zu erwachen und in die erste Teilung zu starten, wusste man bisher nicht.
Dieses Rätsel haben nun Forschende um Uwe Sauer, Leiter des Instituts für Molekulare Systembiologie der ETH Zürich, gelöst. Sie untersuchten am Beispiel des Darmbakteriums E.coli, wie es die Entscheidung zur ersten Teilung fällt. Diese hängt überraschenderweise von einem einzelnen Protein im Innern der Bakterienzelle ab: Nur wenn dessen Konzentration einen Schwellenwert überschreitet, teilt sich die Zelle. Basierend auf ihren Erkenntnissen entwickelten die Forschenden ein mathematisches Modell. «Damit lässt sich erstmals quantitativ vorhersagen, wann die erste Teilung stattfinden wird», sagt Sauer. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Molecular Systems Biology veröffentlicht.
Rasche Aktivierung des Stoffwechsels
Die Forschenden klärten den Mechanismus auf, indem sie E.coli-Bakterien zunächst durch Nährstoffentzug in den Ruhezustand versetzen. Anschliessend fütterten sie die Zellen mit winzigen Tröpfchen einer Glukoselösung. Die Bakterien nahmen den Zucker gierig auf: Innert Sekunden sprang ihr Stoffwechsel an. Das konnten die Forschenden mit Hilfe einer Methode zeigen, die im Sauer-Labor entwickelt wurde und mit der sich Hunderte von Stoffwechselprodukten gleichzeitig und in Echtzeit messen lassen.
Die Analyse ergab, dass die Bakterien aus der gefütterten Glukose überraschenderweise sehr rasch neue Biomasse bilden, darunter Amino- und Nukleinsäuren, aus denen in weiteren Schritten Eiweisse und DNA entstehen – notwendige Voraussetzung für die Bildung neuer Zellen.
Fütterungsfrequenz ist entscheidend
Bei Bakterien, die bereits in der Wachstumsphase sind, findet die nächste Teilung statt, sobald ausreichend neue Biomasse vorhanden ist. Doch bei den ruhenden Zellen war das anders: Erhielten diese die nährenden Glukosetröpfchen im Abstand von zehn Minuten, bildeten sie mit der Zeit zwar mehr und mehr Biomasse, aber sie teilten sich trotzdem nicht. Erst als die Forschenden die Zeitintervalle verkürzten und die Zellen alle vier Minuten fütterten, fand nach einer Stunde die erste Teilung statt. Fütterten sie jede Minute, begann die Teilung praktisch sofort. «Nicht die Gesamtmenge des Zuckers war entscheidend, sondern die Fütterungsfrequenz», sagt Sauer.
Aufgrund dessen vermuteten die Forschenden, dass die Zellen aus der Glukose ein Schlüsselprotein bilden, das in den Fütterungspausen jedoch wieder abgebaut wird. Nur wenn ausreichend häufig Glukose gegeben wird, bildet sich mehr Protein als abgebaut wird und die Zelle kann sich teilen. Um ihre Hypothese zu überprüfen, durchforsteten die Forschenden die wissenschaftliche Literatur nach Proteinen, die bei der Teilung eine Rolle spielen und die zudem von zelleigenen Proteasen abgebaut werden. Dabei stiessen sie auf das Protein FtsZ, aus dem sich während der Zellteilung ein Ring formt, der die Trennung in zwei Tochterzellen erleichtert.
Teilungsprotein als Signal
Zusammen mit Professor Roman Stocker vom Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich und Professor Suckjoon Jun von der University of California in San Diego konnten sie nachweisen, dass FtsZ tatsächlich in den E. coli-Zellen abgebaut wird und dass seine Konzentration während der Hungerphasen sinkt. Und es erwies sich als das gesuchte Schlüsselprotein: Beschleunigten die Forschenden den Ftsz-Abbau künstlich, verlängerte sich die Zeit bis zur ersten Teilung. Brachten sie die Zellen hingegen mit genetischen Methoden dazu, mehr FtsZ zu produzieren, teilten diese sich früher. «Damit konnten wir zeigen, dass die Konzentration von FtsZ das entscheidende Signal für die erste Teilung darstellt», sagt Sauer.
Für den ETH-Professor bringen die neuen Erkenntnisse nicht nur die Grundlagenforschung weiter, sondern sie könnten auch als Basis für konkrete Anwendungen dienen. Denn das Teilungsprotein FtsZ findet sich nicht nur in E.coli, sondern bei fast allen Bakterienarten, darunter auch bei Pathogenen wie dem Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis. «Will man verhindern, dass ruhende Bakterien mit der Teilung beginnen, ist FtsZ ein guter Angriffspunkt», sagt Sauer. Bereits seit einigen Jahren wird in verschiedenen Laboren an Substanzen geforscht, die unter anderem den Abbau von FtsZ beschleunigen und als vielversprechende Kandidaten für neue Antibiotika gelten.
Literaturhinweis
Sekar K, Rusconi R, Sauls JT, Fuhrer T, Noor E, Nguyen J, Fernandez VI, Buffing MF, Berney M, Jun S, Stocker R, Sauer U. Synthesis and degradation of FtsZ quantitatively predict the first cell division in starved bacteria. Mol Syst Biol. 2018 Nov 5;14(11):e8623. doi: externe Seite 10.15252/msb.20188623