Beatmungsgerät für kleine Budgets
Ein Team rund um ETH-Professorin Kristina Shea arbeitet an der Entwicklung eines neuen Beatmungsgeräts. Es soll möglichst kostengünstig, modular und intuitiv zu bedienen sein. Damit ist das Gerät für den Einsatz in allen Ländern, die Bedarf dafür haben, prädestiniert.
Eigentlich hätte Kristina Shea, Professorin für Engineering Design and Computing, Anfang März ein Sabbatical im Ausland beginnen wollen. Doch dann kam das Coronavirus und die ETH-Professorin musste nach Zürich zurückkehren. Untätig sitzt sie dennoch nicht herum: Kaum hatte sie sich darauf eingestellt, daheim zu arbeiten, erhielt sie die Anfrage eines Schweizer Spitals, ob sie ein kostengünstiges Beatmungsgerät entwickeln könne. Shea sagte ohne zu zögern zu.
Entwicklung schreitet rasch voran
So ist sie zusammen mit Marianne Schmid Daners, Melanie Zeilinger und dem Schweizer Produkt-Designer Martin Meier nun seit einigen Wochen daran, ein kostengünstiges Beatmungsgerät namens breathe zu entwickeln. Trotz Lockdown ist die Arbeit weit gediehen: Das Team hat vor Wochenfrist den zweiten Prototyp fertiggestellt und einer technischen Prüfung unterzogen.
Dabei sprechen die Umstände nicht für ein zügiges Vorankommen: «Es ist nicht immer einfach, wenn sich das Team nicht persönlich treffen kann und die meiste Arbeit zuhause erledigt», sagt Shea. Auch sei es schwierig, wenn man nichts anfassen dürfe. «Als Ingenieurin bin ich mir gewohnt, Dinge in die Hand zu nehmen und mir einen haptischen Eindruck zu verschaffen.»
Ziel: Einfach, kompakt, modular
Herzstück des neuen Beatmungsgeräts ist ein in der Notfallmedizin üblicher Beatmungsbeutel, Ambubag genannt. Dieser wird in einen Motorenblock gespannt. Der Motor treibt zwei seitlich des Beutels angebrachte Paddel an, welche ihn in einem vorgegebenen Rhythmus zusammendrücken und so Luft pumpen.
Das Gerät weist nur eine einfache Steuertafel mit wenigen Reglern und einer Digitalanzeige auf. Das Gesundheitspersonal, das die Maschine bedienen wird, soll dank dieser Vereinfachungen innerhalb einer halben Stunde im Umgang mit ihr geschult werden können.
An den Beatmungsbeutel wird ein Schlauch angeschlossen, der auch mit einer Atemmaske verbunden werden kann. «Das Gerät ist bestimmt für Notfallsituationen, wenn keine anderen Optionen zur Verfügung stehen. Es ist jedoch kein Ersatz für komplexe Beatmungsgeräte, wie sie auf Intensivstationen eingesetzt werden», sagt Shea.
Ausgerichtet ist das neue Beatmungsgerät vor allem an den Bedürfnissen von Ländern oder Gesundheitssystemen, die sich teure Beatmungsmaschinen nicht leisten können. Das neue Gerät soll weniger als 5000 Franken kosten. Auch will das ETH-Team damit den weltweit herrschenden Mangel an Beatmungssystemen mildern. Es sollte ausserdem modular aufgebaut sein, um nicht an einem potenziellen Mangel an Bauteilen zu scheitern. Weiter soll das Gerät tragbar, kompakt und robust sein.
Kein Do-it-yourself-Bausatz
Obwohl die neue Beatmungsmaschine in allen Belangen einfach gehalten ist und überwiegend Standardbauteile verbaut wurden, die man weltweit kaufen kann – ein Do-it-yourself-Gerät für den gewieften Heimwerker ist es trotzdem nicht. «Die Regelung des Luftflusses und des richtigen Rhythmus ist trotz allem komplex und verlangt Ingenieurwissen», so die ETH-Professorin. «Mittlerweile werden wir bei der Regelungstechnik von ETH-Professorin Melanie Zeilinger vom Institut für dynamische Systeme und Regelungstechnik unterstützt.»
Das Konzept für das neue Gerät stammt ursprünglich von Ingenieuren des Massachussetts Institute of Technology MIT. «Wir haben über 40 Open-Source-Pläne geprüft, aber diese Idee hat uns am meisten überzeugt», sagt sie. Für die Umsetzung in ihrem Labor hat das Team den Bauplan allerdings noch verbessert.
Erste Prüfung erfolgreich bestanden
Eine erste technische Prüfung hat der Prototyp bereits hinter sich. Marianne Schmid Daners von der Professur für Produkteentwicklung und Ingenieurdesign, und ihr Team führten diese aus. Sie haben in ihrem Labor einen Prüfstand aufgebaut, mit dem sie weitere, auch von Firmen neu entwickelte Beatmungssysteme auf Herz und Nieren testen können.
Die Forschenden stehen derzeit bereits in Verhandlungen mit einem Produktionspartner in der Ukraine, der das Gerät im industriellen Massstab herstellen möchte. «Wir können das Produkt nicht an der ETH selbst herstellen. Wenn sich aber Interessenten finden lassen, die solche Geräte herstellen möchten, dann werden wir sie nach Kräften dabei unterstützen», sagt Shea. Die Baupläne sollen so oder so nicht in der Schublade liegen bleiben. «Wir werden sie auf jeden Fall Open Source anbieten, sobald die Entwicklung am Gerät abgeschlossen ist.»
Für Kristina Shea ist die Entwicklung des Beatmungsgeräts weit mehr als ein schwacher Trost für das entgangene Sabbatical. «Wir arbeiten hier an einem ziemlich verrückten und chaotischen Projekt, bei dem sich die Rahmenbedingungen und Anforderungen täglich ändern.» Das sei man sich bei der Produktentwicklung nicht gewohnt. «Das macht dieses Projekt für mich zu einem einzigartigen und bedeutenden Abenteuer.»
Pfeiler der aktuellen ETH-Corona-Forschung
Um die Forschung zum neuen Coronavirus voranzutreiben, hat die ETH Zürich über 20 Projekte aus unterschiedlichen Fachbereichen gutgeheissen. Die Spezialbewilligungen erlaubt es Forschenden, ihre Arbeit im Labor wiederaufzunehmen respektive fortzuführen. Die Projekte lassen sich in vier Clustern bündeln: Diagnostik, Wirkstoff- und Impfstoffsuche, Epidemiologie, Schutzkleidung und Intensivbehandlung.