Wachsender Kohlenstoff-Fussabdruck von Kunststoffen
ETH-Forschende analysierten die weltweite Wertschöpfungskette von Kunststoffen und stellten fest: Die Klima- und Gesundheitsfolgen von Plastik sind wegen vermehrt genutzter Kohle für Prozesswärme, Strom und als Rohstoff in der Produktion grösser als erwartet.
Kunststoffe sind nützlich, günstig und äusserst beliebt. Die globale Nachfrage hat sich in den letzten vierzig Jahren vervierfacht und dürfte weiter steigen – mit negativen Folgen für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Kunststoffe vor allem am Ende ihres Lebenszyklus als umweltschädigend, etwa wenn sie beim Verbrennen Treibhausgase und Luftschadstoffe freisetzen oder in Form von Mikroplastik Gewässer und Böden verschmutzen.
Auch die Forschung zu den globalen Umweltfolgen von Plastik hat sich primär auf die Entsorgungsphase konzentriert. Nur wenige Studien gibt es hingegen zur Herstellung von Kunststoffen, die das Klima und die Luftqualität ebenfalls beeinträchtigt. Vertiefte Analysen setzen allerdings detaillierte Informationen über Lieferketten und Prozesse voraus, um die relevanten Stoff- und Energieflüsse nachvollziehen zu können.
Globaler Fussabdruck von Kunststoffen bestimmt
«Bislang ging man vereinfachend davon aus, dass die Produktion von Plastik ungefähr gleiche Mengen an fossilem Brennstoff erfordert wie als Rohstoff – meistens Erdöl – in Plastik enthalten ist», sagt Livia Cabernard, Doktorandin am Institute of Science, Technology and Policy (ISTP) der ETH Zürich. Nur: Damit hatte man das relative Gewicht der Produktion gegenüber der Entsorgung deutlich unterschätzt.
Cabernard ist Teil eines Teams von Forschenden um Stephan Pfister, Senior Scientist am ISTP, und Stefanie Hellweg, ETH-Professorin für Ökologisches Systemdesign am Institut für Umweltingenieurwissenschaften. In akribischer Detektivarbeit hat das Team die Klima- und Gesundheitswirkung der weltweiten Wertschöpfungskette von Kunststoffen über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten analysiert.
In einer soeben in externe Seite Nature Sustainability erschienenen Studie zeigen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sich der globale Kohlenstoff-Fussabdruck von Kunststoffen seit 1995 verdoppelte und im Jahr 2015 zwei Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent (CO2e) erreichte. Das entspricht 4,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und ist mehr als bisher erwartet. Im selben Zeitraum ist der globale Gesundheitsfussabdruck von Kunststoffen durch Feinstaubbelastung um 70 Prozent gestiegen, was im Jahr 2015 rund 2,2 Millionen verlorene gesunde Lebensjahre (DALY) verursachte.
Kohle für Prozesswärme, Strom und als Rohstoff
Für ihre Studie ermittelte das Team die Treibhausgasemissionen, die über den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen hinweg entstehen – von der Extraktion fossiler Ressourcen über die Verarbeitung zu Produktklassen und deren Nutzung bis hin zum Lebensende, einschliesslich Recycling, Verbrennung und Deponien.
Als Hauptursache für die wachsende Treibhausgasbilanz von Kunststoffen identifizieren die Forschenden die boomende Plastikproduktion in kohlebasierten Schwellenländern wie beispielsweise China, Indien, Indonesien und Südafrika. Die Energie und Prozesswärme zur Produktion von Plastik stammen in diesen Ländern primär aus der Verbrennung von Kohle. Zudem wird Kohle zu einem geringen Teil auch als Rohstoff für Plastik genutzt.
«Der kunststoffbedingte Kohlenstoff-Fussabdruck des chinesischen Verkehrssektors, der indonesischen Elektronikindustrie und des indischen Bausektors ist seit 1995 um mehr als das 50-fache gestiegen», erläutert Cabernard. Weltweit haben sich die kohlebasierten Emissionen in der Pastikproduktion seit 1995 vervierfacht und verursachen nun fast die Hälfte des globalen Kohlenstoff-Fussabdrucks von Kunststoffen
Wird Kohle verbrannt, entstehen feinste Partikel, die sich in der Luft anreichern. Solcher Feinstaub ist stark gesundheitsschädigend und kann Asthma, Bronchitis und Herzkreislauferkrankungen verursachen. Da immer mehr Kohle für Prozesswärme, Strom und als Rohstoff in der Plastikproduktion verwendet wird, nehmen auch die negativen Folgen für die Gesundheit zu.
Unterschätzte Plastikproduktion
Im Gegensatz zu früheren Schätzungen, die von gleichen Mengen an Brennstoff und Rohstoff für die Herstellung von Kunststoffen ausgingen, weisen die ETH-Forschenden nun nach, dass doppelt so viel fossile Energie für die Plastikproduktion verbrannt wird, wie als Rohstoff in Plastik enthalten ist.
Das hat Konsequenzen für die Bewertung der Umweltfolgen. «Selbst in einem Worst-Case-Szenario, in dem alle Kunststoffe verbrannt würden, verursacht deren Produktion den Löwenanteil der gesamten Treibhausgas- und Feinstaubemissionen», sagt Cabernard. Die gesamte Produktionsphase von Plastik ist für den weitaus grössten Teil (96 Prozent) des Kohlenstoff-Fussabdrucks von Kunststoffen verantwortlich.
Einsichten dank neuer Methodik
Bisher gab es nur eine Publikation, die den globalen Kohlenstoff-Fussabdruck der Kunstoffproduktion untersuchte. «Diese hatte die Treibhausgasemissionen jedoch unterschätzt, weil die zunehmende Abhängigkeit von Kohle aufgrund der Auslagerung von Produktionsprozessen in kohlebasierte Länder nicht berücksichtigt werden konnte», erklärt Cabernard.
Für ihre Studie verwendeten die Forschenden eine neue Methode, die Cabernard zuvor in ihrer Doktorarbeit unter Leitung von Pfister und Hellweg entwickelt hatte. Es handelt sich um eine multiregionale Input-Output-Analyse, mit der sich globale Wertschöpfungsketten von Produktion zu Verbrauch über Sektoren, Länder oder Regionen hinweg präzise abbilden lassen.
Literaturhinweis
Cabernard L, Pfister S, Oberschelp C, Hellweg S: Growing environmental footprint of plastics driven by coal combustion. Nature Sustainability (2021), published online 2th December, doi: externe Seite 10.1038/s41893-021-00807-2
Cabernard L, Pfister S, Hellweg S: A new method for analyzing sustainability performance of global supply chains and its application to material resources. Science of The Total Environment, Volume 684, 20 September 2019, doi: externe Seite 10.1016/j.scitotenv.2019.04.434