Energie aus dem Untergrund
Tiefengeothermie ist klimafreundlich und grundlastfähig – doch wie lässt sich diese Wärme sicher erschliessen? ETH-Forschende arbeiten daran, das Erdbebenrisiko zu minimieren und entwickeln gänzlich neue Systeme, beispielsweise mit geschlossenen CO2-Kreisläufen.
In Kürze
- Geothermie bietet abrufbare CO₂-neutrale Energie und hat ein grosses Potenzial für die Schweiz.
- Während Erdwärmesonden sehr verbreitet sind, steht die Schweiz bei Tiefengeothermie-Projekten noch am Anfang.
- An der ETH entwickelte Geothermie-Systeme und verbesserte Überwachungsmöglichkeiten helfen, Risiken wie Erdbeben deutlich zu reduzieren
Die Geothermie liefert das ganze Jahr über CO₂-neutrale Energie und braucht noch dazu weniger Platz als Kohle-, Gas- oder Wasserkraftwerke, da der Grossteil der Anlage tief unter der Erdoberfläche liegt. Für Verunsicherung sorgten in der Vergangenheit jedoch durch hydraulische Stimulation ausgelöste Erdbeben. Doch wo stehen wir heute?
Mehrere Forschungsgruppen an der ETH Zürich beschäftigen sich intensiv mit den Möglichkeiten der Geothermie. Sie alle sind sich einig: Geothermie birgt ein immenses Potenzial für die Schweiz. Das Erdbebenrisiko, das nicht alle Formen der Tiefengeothermie gleichermassen betrifft, ist noch dazu sehr viel überschaubarer geworden.
Von römischen Thermalquellen zu Hightech-Bohrungen
Geothermie ist eine alte Technologie. Bereits die Römer nutzten Thermalquellen. Auch heute noch wird im Rahmen von hydrothermalen Systemen heisses Grundwasser, das in natürlichen Reservoiren zirkuliert, für die Erzeugung von Wärme genutzt – so beispielsweise für das Fernwärmenetz in Riehen, München oder Paris. Andere moderne Geothermiesysteme – sogenannte EGS (Enhanced Geothermal Systems) – gehen einen Schritt weiter: Sind keine wasserführenden Gesteinsschichten vorhanden, werden durch hydraulische Stimulation im tiefen, kristallinen Gestein künstliche Risse geschaffen, die Platz für Wasser bieten. Dieses Wasser erhitzt sich und wird dann an die Oberfläche gepumpt, um Wärme zu liefern oder Strom zu erzeugen.
EGS bergen jedoch auch das Risiko, Erdbeben auszulösen – so geschehen im Jahr 2006 in Basel. Zwar hat sich das Risiko durch gezielte Stimulation und verbessertes Monitoring stark verringert, doch Herausforderungen bleiben bestehen: Die Bohrungen sind kostspielig und nicht immer erfolgreich, und die Risse im Gestein neigen dazu, sich durch Mineralablagerungen im Laufe der Zeit wieder zu verschliessen.
Ampelsystem minimiert Risiken zuverlässig
Tief im Schweizer Fels, im sogenannten BedrettoLab, forscht das Team von Stefan Wiemer, Professor am Departement Erd- und Planetenwissenschaften der ETH Zürich und Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED), an neuen Methoden, um EGS sicherer zu machen. Die Forschenden setzen dabei auf viele kleine, kontrollierte Stimulationen in isolierten Zonen des Bohrlochs. «Kleine Erschütterungen brauchen wir, um die Risse im Fels zu erzeugen. Grössere Beben gilt es aber tunlichst zu vermeiden», erklärt Wiemer. Die Erkenntnisse aus dem BedrettoLab fliessen nun in die Planung des Geothermie-Pilotkraftwerks in der Gemeinde Haute-Sorne, Kanton Jura, ein. Bei diesem Projekt übernehmen ETH-Wissenschaftler:innen im Auftrag des Kantons auch die seismische Überwachung.
Sensoren in den Bohrlöchern übermitteln in Echtzeit grosse Mengen an seismologischen und hydraulischen Daten an die Forschenden. Ein eigens entwickeltes Maschine-Learning-Modell berechnet basierend darauf laufend, wie viele Beben über einem bestimmten Grenzwert zu erwarten sind, sollte die geplante Stimulation fortgeführt werden. Drohen Grenzwerte überschritten zu werden, schlägt das System umgehend Alarm und macht Vorschläge dazu, welche Anpassungen gemacht werden müssen, damit keine grösseren Erschütterungen auftreten.
Wiemer betont, dass die Ausgangslage für EGS ein ganz andere ist als noch vor 20 Jahren. «Heute haben wir sehr gute Kontrollmechanismen. Dies dank einer verbesserten Datenerhebung und den Möglichkeiten der KI, enorme Datenvolumen in Echtzeit zu verarbeiten. Damit lassen sich Risiken besser verstehen und minimieren, aber nicht ganz ausschliessen», sagt Wiemer.
Back-up-Power aus der Erde
Martin Saar ist Professor für Geothermische Energie und Geofluide im Departement der Erd- und Planetenwissenschaften an der ETH Zürich. Er und seine Gruppe forschen ebenfalls daran, wie man geothermische Systeme verbessern kann. Dabei verfolgen sie eine innovative Idee: Statt mit Einpressen von Wasser Risse im Gestein zu erzeugen, planen sie ganze geschlossene Rohrsysteme tief in den Untergrund zu bohren.
Dies funktioniert unabhängig von der Geologie und beinhaltet lediglich die üblichen, minimalen Erdbebenrisiko von Untergrundbohrungen. Durch die Rohre soll dann nicht Wasser, sondern CO₂ zirkulieren, was den Wirkungsgrad des geothermischen Kraftwerkes erhöht. Im tiefen Untergrund erwärmt sich das CO₂, dehnt sich aus und steigt selbstständig auf, wo es direkt in einer Turbine expandiert wird, um Strom zu erzeugen. Da diese sogenannten deep closed-loop Advanced Geothermal Systems (AGS) einen geschlossenen Kreislauf darstellen, haben sie keinerlei operativen CO₂-Emissionen.
AGS könnten in Zeiten ohne Sonne und Wind eine zuverlässige Energiequelle bieten und als «Backup-Power» fungieren. «Angesichts des steigenden Strombedarfs im Winter könnten AGS eine klimafreundliche Alternative zu CO₂-intensiven Reservegaskraftwerken sein, die derzeit diskutiert werden», so Saar.
Ein Nachteil sind heute jedoch noch die hohen Bohrkosten. Doch es besteht Hoffnung, denn die Kosten von traditionellem Rotary-Bohren konnten in den letzten Jahren signifikant gesenkt werden. Zudem wird weltweit, auch in Saars Gruppe, an modernen, kontaktlosen Bohrverfahren gearbeitet, wie mit Blitzen oder Mikrowellen, was die Kosten des Tiefbohrens zukünftig enorm verringern könnte.
CO₂ dauerhaft speichern und gleichzeitig Energie gewinnen
Eine weitere Art der Tiefengeothermie sind die sogenannten CO2-Plume Geothermal (CPG) Systeme, welche Saars Forschungsgruppe 2009 erfunden hat und patentieren liess. Saar beobachtete, dass schon damals immer mehr Staaten daran interessiert waren, CO₂ dauerhaft in geologischen Reservoiren zu speichern, um der globalen Erderwärmung zu begegnen: «Ich habe mich damals gefragt, wie es wäre, wenn wir dieses CO₂ nicht nur in den Untergrund pumpen und dauerhaft speichern, sondern es temporär wieder hochholen und zur Wärme- oder Stromerzeugung nutzen könnten».
Das CO₂, das zur Speicherung in tiefere Erdschichten eingebracht wird, erwärmt sich und strömt nach oben. Dort treibt es eine Turbine an, kühlt ab und fliesst wieder hinab – ein geschlossener Kreislauf, der sicherstellt, dass alles CO₂ langfristig im tiefen Untergrund gespeichert wird. Durch den Einsatz von CO₂ anstelle von zähflüssigerem Wasser als Energieträger kann die Wärmegewinnung, und damit die Stromproduktion, zudem um das Zwei- bis Dreifache gesteigert werden. Ein weiterer Vorteil: Dadurch, dass dem CO₂ Wärme entzogen wird, passt wiederum mehr davon in das Reservoir im Untergrund.
In Zusammenarbeit mit Industriepartnern wie Shell, Petrobras, Holcim und Ad Terra Energy wird das CPG-Konzept weiter vorangetrieben. Das CPG-Konsortium, das 2023 gegründet wurde und vom Bundesamt für Energie unterstützt wird, evaluiert derzeit verschiedene Standorte für eine erste Pilotanlage, um die technische Machbarkeit in einem kommerziellen Massstab nachzuweisen.
Die Erde als Batterie nutzen
Doch geothermische Sonden können nicht nur zur Extraktion von Wärme aus dem Untergrund genutzt werden, sondern auch zum Einspeichern von Wärme. So auch in der Schweiz, wo Erdwärmesonden häufig genutzt werden, um Gebäude nachhaltig zu heizen. Laut Maren Brehme, Forscherin in Saars Gruppe, bietet die mitteltiefe Geothermie (bis mehrere hundert Meter) zusätzliches Potenzial, um die Wärmewende in der Schweiz voranzutreiben. «Gerade bei der Wärmeerzeugung ist die Schweiz noch immer stark von Gas und damit auch vom Ausland abhängig», sagt Brehme.
Bei dieser Form der Geothermie wird überschüssige Wärme im Sommer oder aus industriellen Prozessen durch Bohrungen in den Untergrund gebracht, im Gestein gespeichert und im Winter wieder herausgepumpt und zum Heizen genutzt – ein Verfahren, das in Ländern wie beispielsweise den Niederlanden zur Beheizung von Wohnhäusern bereits erfolgreich angewendet wird. Brehme und ihr Team möchten das Verfahren nun für die Schweiz und die hiesigen geologischen Verhältnisse adaptieren. Im BedrettoLab untersuchen die Wissenschaftler:innen, wie sich Wärme im kristallinen Gestein speichern lässt.
Noch sind auch hier die Bohrkosten relativ hoch und es ist zu wenig über den Untergrund in der Schweiz bekannt, was wiederum das Risiko erhöht, im Untergrund keine ausreichende Durchlässigkeit zu finden. «Die Schweiz hat praktisch keine Öl-, oder Gasvorkommen. Aus diesem Grund wurde der Untergrund nie so stark erkundet wie in anderen Ländern. Diese Wissenslücken müssen wir schliessen», sagt Brehme.
Doch insgesamt stehen die Vorzeichen für die Geothermie in der Schweiz ihrer Meinung nach gut: Bohrtechnologien verbessern sich und werden laufend günstiger, regulatorische Hürden werden abgebaut, und erste Versicherungen bieten Absicherungen gegen das Bohr-Risiko an. Zudem ist die Bevölkerung der Geothermie gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen, wie Umfragen zeigen.
Serie «Energielösungen für die Schweiz»
Die Schweiz soll bis 2050 ihre Treibhausgasemissionen auf Netto-Null reduzieren. Dies erfordert eine fossilfreie Energieversorgung, die auf erneuerbaren und nachhaltigen Energiequellen beruht – eine enorme Herausforderung für das Land. Die ETH Zürich mit seinem Energy Science Center unterstützt die Energiewende in der Schweiz mit konkreten Lösungen aus den Bereichen Forschung, Lehre und Wissenstransfer.
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