Mit dem Smartphone Identitäten prüfen
Wer heute ein Bankkonto eröffnen oder ein Handy-Abo abschliessen will, muss sich beim jeweiligen Dienstleister identifizieren. Das ETH-Spin-off «PXL Vision» hat eine einfachere Lösung: mittels Ausweisscan und Selfievideo. Verschiedene Unternehmen setzen bereits auf die neue Technologie.
«Wir bringen Vertrauen in die digitale Welt, indem wir sichere, verifizierte digitale Identitäten ermöglichen.» Mit diesem Satz fasst Karim Nemr die Geschäftsidee von PXL Vision zusammen. Der 34-Jährige ist einer der Gründer des ETH-Spin-offs, dessen Produkte dereinst genauso selbstverständlich zu unserem Alltag gehören könnten wie die Kaffeemaschine oder das Smartphone.
Letzteres ist unverzichtbar für die Geschäftsidee der Zürcher Jungunternehmer: Das Smartphone ersetzt bei der Technologie von PXL Vision die Menschen, die heute am Bankschalter oder bei einem Mobilfunkanbieter die Identität von potenziellen Kundinnen und Kunden überprüfen.
Der Prozess ist simpel, wie Nemr gleich demonstriert: Zuerst scannt er Vorder- und Rückseite seines Ausweises, dann macht er ein kurzes Selfievideo. Via App lädt er die Dokumente in eine Cloud auf einem zertifizierten Schweizer Server hoch, und das System prüft innert Sekunden, ob das gescannte Dokument und das Video echt sind, ob tatsächlich ein Mensch vor der Kamera steht und ob dieser mit dem Dokument übereinstimmt. Kundinnen und Kunden kommen so sofort und automatisiert zu ihrem Mobil-Abo oder zu einem Bankkonto. An einen Kundenberater oder an Ladenöffnungszeiten sind sie nicht mehr gebunden.
Die Technologie namens «Daego» (von: digitales Alter Ego) unterstützt alle internationalen Reisedokumente, aber auch andere Ausweispapiere wie etwa eine mexikanische Abstimmungskarte, welche im Land als Hauptidentifikationsmittel dient. Denkbar sind auch Anwendungen im privaten Bereich, etwa um einen Babysitter oder eine Nachhilfelehrerin anzustellen. Mit der App von PXL Vision lässt sich rasch überprüfen, ob die Person, die vor der Tür steht, mit derjenigen identisch ist, die sich beworben hat.
Neuer Prozess ist sicherer
Heutige Lösungen zur Identifikation von Personen sehen mindestens eine Interaktion mit einem Menschen vor. «Bei anderen kommerziell erhältlichen Lösungen wird die Verifikation oft über einen Video-Anruf mit einem Mitarbeiter oder sogar offline in Indien durchgeführt, und zwar von Menschen», sagt Nemr. «Dies ist nicht nur mühselig und teuer, sondern ein grosses Risiko für die Privatsphäre der Nutzer.» Die maschinelle Lösung von PXL Vision sei schneller, genauer, günstiger und sicherer als eine Verifikation durch Menschen.
Das sehen auch die Kunden so: Der Telekommunikationsanbieter Sunrise ist ein Partner der ersten Stunde – trotz anfänglicher Skepsis. «Die Firma hatte erst grosse Bedenken, ob ihre Kunden die neue Technologie akzeptieren», sagt Nemr. «Doch diese Bedenken waren unbegründet. Die Leute haben unabhängig von Alter oder Geschlecht kein Problem damit, sich digital auszuweisen.»
Mit Swiss Sign, Anbieterin der digitalen Identität SwissID, hat PXL Vision einen weiteren wichtigen Partner gewonnen. Und auch die weitere Kundenliste – darunter auch UPC und weitere Mobilfunkanbieter sowie Banken – liest sich wie ein Who-is-Who der digitalen Vorreiter der Schweiz. «Seit Beginn sind wir selbsttragend und konnten ohne Fremdfinanzierung wachsen», sagt PXL-Vision-Mitgründer Nemr denn auch stolz.
Gutes Image der ETH
Dass er sich in diesem Umfeld wiederfinden würde, hätte er nicht gedacht: Er studierte in Lausanne Hospitality Management . «Schon als Kind interessierte ich mich für Technik und wusste früh, dass ich Unternehmer werden möchte.»
Nach dem Studium heuerte er als erster Business-Mitarbeiter beim ETH-Spin-off Dacuda an, das mit seiner Scanner-Maus für Furore sorgte. Anfang 2017 verkaufte Dacuda seinen 3D-Bereich an die US-amerikanische Firma Magic Leap. Einige Mitarbeiter wechselten zum neuen Besitzer; zusammen mit drei anderen Schlüsselmitarbeitern, darunter Karim Nemr, hob der einstige Dacuda-Gründer Michael Born die neue Firma aus der Taufe.
Das PXL-Vision-Team pflegt eine langjährige Beziehung zur ETH Zürich. «Ohne die ETH wären wir heute nicht so weit gekommen.» Insbesondere das Institut von Elgar Fleisch habe viel zum Erfolg von Dacuda beigetragen. Später konnte PXL Vision vom Know-How der Dacuda-Köpfe profitieren.
Die junge Firma arbeitet nach wie vor eng mit dem Bereich für Bildverarbeitung unter der Leitung von ETH-Professor Luc van Gool zusammen. Das neue Unternehmen trägt zudem das ETH-Spin-off-Label, was für Glaubwürdigkeit sorge. «Die ETH steht für Qualität und High-Tech. Und die besten Leute kommen von der ETH», sagt Nemr – und augenzwinkernd fügt er an: «Allerdings stehen wir im Wettbewerb mit Firmen wie Google, Apple, Facebook und Disney um diese Talente zu gewinnen.»
Banken, USA und Asien
Auch ohne ETH-Fachkräfte ist die Firma gut aufgestellt. Ihr Hauptsitz liegt in Zürich, in Armenien und Serbien betreibt sie Entwicklungszentren. Im Mai dieses Jahres wurde PXL Vision mit dem Swiss Economic Award ausgezeichnet, bei diversen Startup-Wettbewerben rangieren Nemr und Mitstreiter meist weit vorne.
Der Unternehmer blickt denn auch optimistisch in die Zukunft. Als nächstes wollen sie sich in der Finanzindustrie etablieren sowie in den USA und in Asien und schliesslich weltweit Fuss fassen. Insbesondere der amerikanische und der asiatische Markt seien riesig und sehr interessant. «Jährlich werden Milliarden von persönlichen Daten geklaut und missbräuchlich verwendet», sagt Nemr. «Es gibt also ein riesiges Vertrauensproblem. Und wir haben eine Lösung dafür.»