Ein Absturz und viele Highlights
Heinz Frei ist einer der erfolgreichsten Schweizer Sportler aller Zeiten. Seit einem Unfall vor mehr als 40 Jahren sitzt er im Rollstuhl. Heute arbeitet er unter anderem am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil und ist Botschafter des Cybathlons.
Das Bild des Stehaufmännchens passt eigentlich so gar nicht: Heinz Frei sitzt seit mehr als 40 Jahren im Rollstuhl. Und doch ist er eines. Sein Optimismus ist ungebrochen. Dank seiner mentalen Stärke und ausgeprägtem Willen hat er immer wieder Ziele erreicht, die er sich nie zu erträumen wagte. «Wäre ich nach dem Unfall zu lange im Selbstmitleid verharrt, wäre ich heute nicht da, wo ich bin.» Natürlich gab es die Zeiten des Haderns. Noch heute tut es ihm weh, wenn er daran denkt, welche Emotionen er in solchen Phasen bei seinen Liebsten abgeladen hat – vor allem während der fünfmonatigen Rehabilitation im damaligen Schweizerischen Paraplegikerzentrum Basel. Dort landete er im Sommer 1978 nach dem folgenschweren Unfall: Bei der Streckenbesichtigung für einen Berglauf auf dem Seelisberg rutschte er im nassen Gras aus, stürzte eine Schlucht hinunter und blieb ohne Gefühle in den Beinen liegen.
Frei war damals 20 Jahre alt. «Voller Sehnsüchte, Träume und Tatendrang. Es war unglaublich brutal.» Und vor allem hatte er Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Eines Abends diskutieren Frei und die anderen jungen Männer im Mehrbettzimmer der Klinik, ob sie überhaupt daran denken könnten, eigene Kinder zu haben. Keiner wusste die Antwort. Der Mutigste fragte am Morgen den Arzt. «Ich war es nicht, aber ich habe die Ohren gespitzt.» Auch der Arzt wusste die Antwort nicht. Sein Tipp: Sie müssten halt probieren. Heute kennt der zweifache Familienvater die Antwort. «Für das Selbstwertgefühl ein absolutes Highlight.»
Bis heute ist es nicht das Nicht-laufen-Können, das Frei am meisten beschäftigt. Es sind die Paraplegie-spezifischen Gefahren, vor denen er sich täglich in Acht nehmen muss: zum Beispiel vor Verbrennungen, weil er vergisst, die Temperatur des Duschwassers zu prüfen, Erfrierungen im Langlaufschlitten, Blasenprobleme oder Schmerzen. Doch Frei blieb dank seiner Disziplin bislang weitgehend von zermürbenden Begleiterscheinungen verschont. «Das relativiert meine Behinderung.» Und vor allem ist es Voraussetzung seiner beispiellosen Sportkarriere.
Heinz Frei ist einer der erfolgreichsten Schweizer Sportler aller Zeiten. Seit 1984 in Los Angeles ist er an jeden Paralympischen Spielen mit dabei und hat insgesamt 15 Goldmedaillen gewonnen. Dazu kommen 14 Weltmeistertitel und mehr als 100 Marathonsiege. «Ich bin ein glückliches Kind, demütig und dankbar.» Noch immer schafft sein Körper, was der Kopf will. «Dann klopfe ich meinem Körper jeweils auf die Schultern. Gut gemacht!» Aber auch die Technikentwicklung hält Schritt. Die Rollstühle werden immer leichter und sportlicher. Und so hat Frei noch lange nicht genug. Der 62-Jährige liebäugelt sogar mit Tokio 2020. Es wären seine zehnten Spiele.
Die Reha-Initiative fördern
Gemeinsam mit Behindertenorganisationen, Kliniken, Behörden und Unternehmen arbeiten Forschende der ETH daran, eine umfassende Rehabilitation sicherzustellen. Donationen der Stavros Niarchos Foundation sowie zahlreicher Privatpersonen verliehen dem Vorhaben 2019 ergänzend zur Förderung durch die Wilhelm Schulthess-Stiftung einen grossen Schub. Die ETH sucht weitere Förderpartner.
Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.
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