Wir können beruhigt sein

Brücken, Tunnel, Eisenbahntrassees: In die Instandhaltung von Infrastruktur wird in der Schweiz traditionell viel investiert. Was aber trägt dazu bei, dass sie nicht nur sicher ist, sondern dass wir dieser Sicherheit auch vertrauen?

Nach einem Erdrutsch wird die Autobahn aufgeräumt neben einen Fluss in einem Tal
Der Erdrutsch im Sommer 2024 im Misox beschädigte die Autobahn schwer; innerhalb von zwei Wochen hat es das Bundesamt für Strassen aber geschafft, dass der Verkehr wieder floss. (Bild: Samuel Golay / Keystone)

Infrastruktur bildet das Rückgrat der modernen Zivilisation. Sie verbindet Gemeinschaften, versorgt unsere Häuser mit Strom und hält Waren und Menschen in Bewegung. Jedes Mal, wenn wir eine Brücke überqueren, über eine Autobahn fahren oder in einen Zug steigen, vertrauen wir auf die Infrastruktur. Nur: Woher wissen wir, dass sie sicher ist, und warum sollten wir der Zuverlässigkeit von Brücken, Strassen, Stromleitungen und Verkehrsnetzen trauen?

Wenn es nach Bryan Adey, Professor für Infrastrukturmanagement, geht, können wir beruhigt sein. «In der Schweiz haben wir gute Ingenieurinnen und Inspektoren, die langfristig denken. Sie tauschen sich aus und beziehen sich auf Fachexpertise.» Neben den nötigen Investitionen, um eine sichere Infrastruktur zu errichten und zu unterhalten, braucht es für Adey vor allem Folgendes: Ein gutes Verständnis für die Infrastruktur selbst und die Umgebung, in die sie eingebettet ist, sowie für eine Organisation, die sich mit regelmässigen Kontrollen und einem vorausschauenden Risikomanagement um sie kümmert.

Zuverlässig und widerstandsfähig

Ein Beispiel, das für Adey massgeblich zum Vertrauen in Infrastruktur beigetragen hat, war der Erdrutsch im Juni 2024 im Misox. Zwar war die Autobahn beschädigt und eine wichtige Verbindung unterbrochen; innerhalb von zwei Wochen hat es das Bundesamt für Strassen aber geschafft, dass der Verkehr wieder floss. «Vertrauen hat auch damit zu tun, wie resilient eine Infrastruktur ist und dass wir gelernt haben, uns auf den Staat und unser System verlassen zu können. Wenn wir überzeugt sind, dass es funktioniert, denken wir gar nicht mehr daran, dass etwas passieren könnte», sagt Adey.

Für Eleni Chatzi, Professorin für Strukturmechanik und Monitoring, gibt es allerdings auch gute Gründe, Infrastruktur permanent zu überwachen. Chatzi betrachtet die Infrastruktur zwar auch als ein zusammenhängendes System, konzentriert sich aber bei der Bewertung auf die Ebene der einzelnen Strukturen. «Ein Bauwerk, das ständig Belastungen, Umwelteinflüssen und Alterung ausgesetzt ist, können wir nicht seinem Schicksal überlassen», ist sie überzeugt. «Wir brauchen Inspektionen und Überwachungsmethoden, die dafür sorgen, dass die Strukturen sicher, zuverlässig und widerstandsfähig bleiben. Das ist die Grundlage für unser Vertrauen.»

Sicherheit durch Daten

Verlässliche Daten, wie sich Materialien im Verlaufe der Zeit verändern und wann eine Sanierung erforderlich ist, liefern Monitoringsysteme. «Mittlerweile muss man sich nicht mehr auf Sichtprüfungen verlassen. Mit ihnen erkennt man nur, was mit dem blossen Auge zu sehen ist. Sobald man einen Schaden sehen kann, ist es aber schon zu spät», sagt Chatzi. Deswegen spielen moderne Technologien in diesem Bereich eine entscheidende Rolle. Sensoren, die in kritische In­frastrukturen wie Brücken und Tunnel eingebaut sind, überwachen kontinuierlich Parameter wie Dehnung, Vibration und Temperatur. Sie liefern Echtzeitdaten, die es ermöglichen, Auffälligkeiten zu erkennen und zu beheben, bevor sie zu ernsthaften Problemen führen. Eine derartige Überwachung beugt Abnutzungserscheinungen vor, und eine regelmässige Instandhaltung gewährleistet, dass die Infrastruktur während ihres gesamten Lebenszyklus sicher und funktionsfähig bleibt. «Heutzutage beobachten wir Bauwerke von der Wiege bis zur Bahre, vom Bau bis zur Stilllegung», sagt Chatzi. «All die digitalen Tools erhöhen nicht nur die Lebensdauer und Sicherheit der Bauwerke, sondern auch unser Vertrauen in sie.»

Ein Meilenstein waren dabei digitale Zwillinge. Darunter versteht man Modelle, die auf den gewonnenen sensorischen Daten basieren. Mit ihnen lassen sich mögliche Veränderungen simulieren, Parameter verändern und Strukturmerkmale anpassen. «Diese Modelle reagieren in Echtzeit wie das reale Pendant. Mithilfe der digitalen Zwillinge können wir Vorhersagen machen, wo Reparaturen notwendig sind, wo Material verstärkt oder kritische Komponenten getauscht werden müssen.» Ingenieurinnen und Ingenieure setzen die Technologie immer mehr ein und lernen, die Informationen aus diesen Modellen für die Konstruktion zu nutzen. Richtig angewendet machen sie die Infrastruktur anpassungsfähiger, und das ist auch notwendig, weil sich die Umgebung, in denen die Infrastruktur eingebettet ist, immer schneller verändert.

«Globe» Vertraust du mir?

Globe 25/01 Titelblatt

Dieser Text ist in der Ausgabe 25/01 des ETH-​​​​Magazins Globe erschienen.

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Statische, aber flexible Bauwerke

Vor allem der Klimawandel und das Bevölkerungswachstum stellen grosse Herausforderungen dar. Ingenieurinnen und Ingenieure müssen resiliente Infrastrukturen entwickeln, die extremen Wetterereignissen wie Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Hitzewellen standhalten können. Eine Brücke, die vor fünfzig Jahren für eine bestimmte Belastung ausgelegt war, ist mit dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen völlig neuen Bedingungen ausgesetzt. «Deswegen führen wir Stresstests durch, um herauszufinden, wo und wie genau man Infrastruktur verändern muss», sagt Adey und gibt einen Ausblick auf künftige Strukturen: «Vielleicht brauchen wir in den Alpen bald mehr Galerien, um die Strassen vor Erdrutschen zu schützen; vielleicht brauchen wir mehr Lawinenverbauungen; vielleicht müssen die Strassen erhöht werden, damit sie nicht überflutet und überschwemmt werden. Auf jeden Fall müssen wir mit Naturkatastrophen von grösserer Intensität und erhöhter Häufigkeit rechnen und sicherstellen, dass die Infrastruktur dann immer noch funktioniert», fordert Adey, und Chatzi gibt zu bedenken: «Durch veränderte klimatische Bedingungen  wie höhere Temperaturen oder durch Extremereignisse verschlechtert sich das verwendete Material rasant. Um sichere Erkenntnisse zu bekommen, wie unsere bestehende Infrastruktur auf diese Veränderungen reagiert, ist eine Überwachung dieser Systeme unerlässlich.»

Offene Kommunikation

Die Betreiber kritischer Infrastrukturen besitzen aber auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. «Sie sollten Rechenschaft ablegen und eine transparente Kommunikation schafft ebenso Vertrauen», ist Adey überzeugt. Er begrüsst, dass Organisationen und Unternehmen detaillierte Berichte über Infrastrukturprojekte veröffentlichen, Inspektionsergebnisse offenlegen und ihre Risiken managen. Um die Sicherheit und das Vertrauen in unsere Infrastruktur zu steigern, fordert er eine Pflicht für Stresstests wie bei den Banken. Diese Tests sind sehr nützlich, um herauszufinden, wo potenzielle Probleme liegen und wie sie sich im Krisenfall verhalten. Was passiert zum Beispiel bei sintflutartigen Regenfällen mit diesem oder jenem Autobahnabschnitt? Wie wirkt sich ein Erdrutsch auf eine bestimmte Zugstrecke aus? «Ein solches Krisen- und Risikomanagement ist wichtig», sagt Adey entschieden. Ein Schritt dahin ist schon einmal eine systematische Risikobewertung. «Fachleute schätzen Risiken aber unterschiedlich ein. Was für den einen gefährlich ist, ist für jemand anderen völlig unbedenklich. Hier könnte eine Standardisierung helfen und als Schweiz sollten wir dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Dies würde zu einem wirkungsvollen Infrastrukturmanagement führen.»

Verantwortung liegt bei uns allen

Trotz einer perfekten Infrastruktur und seiner Überwachung bleibt immer ein Restrisiko. Gerade in Hinblick auf Umweltkatastrophen gibt es Faktoren, die man nicht vorhersehen kann. «Was wir als Ingenieurinnen tun können, ist, uns darauf vorzubereiten. Wir müssen geeignete Massnahmen ergreifen, um Bauwerke zu schützen und ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken», sagt Eleni Chatzi. Zwar ist keine Struktur vor der Zeit oder den Umwelteinflüssen gefeit, «entscheidend für das Funktionieren der Infrastruktur sind aber drei Institutionen: die Wissenschaft, die Politik und die Betreiber. Diese drei müssen miteinander reden, und das ist es auch, was den Kern unseres Vertrauens ausmacht», sagt Adey. Er sieht vor allem in der Schweiz einen grossen Vorteil: Mit dem hiesigen Demokratieverständnis werden Fachexpertinnen und -experten konsultiert und die Gemeinschaft wird bei Grossprojekten miteinbezogen. Das stärkt unser Vertrauen, weil wir als Bevölkerung zu Entscheidungen beitragen können, die unser Leben beeinflussen oder unsere Sicherheit gewährleisten. «Unsere Infrastruktur ist darauf ausgelegt, Vertrauen zu schaffen», resümiert Adey getrost. 

Zu den Personen

Portrait von bryan Adey

Bryan Adey ist Professor für Infrastrukturmanagement am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich.

 

Portrait von Eleni Chatzi

Eleni Chatzi ist Professorin für Strukturmechanik und Monitoring am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich.

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