Die schnellste Drehung der Welt

ETH-Forscher haben Nanopartikel dazu gebracht, sich eine Milliarde Mal pro Sekunde um die eigene Achse zu drehen. Von den Messungen an den rotierenden Teilchen erhoffen sich die Forscher unter anderem neue Erkenntnisse über das Verhalten von Materialien bei extremen Belastungen.

Die Vakuumapparatur in der Mitte des Bildes enthält das am schnellsten rotierende Objekt der Welt. Ein kleines Glaspartikel wird dort von einem Laserstrahl in der Schwebe gehalten und in Drehung versetzt. (Bild: ETH Zürich / Michael Doderer)
Die Vakuumapparatur in der Mitte des Bildes enthält das am schnellsten rotierende Objekt der Welt. Ein kleines Glaspartikel wird dort von einem Laserstrahl in der Schwebe gehalten und in Drehung versetzt. (Bild: ETH Zürich / Michael Doderer)

Nichts auf der Welt dreht sich schneller als ein winziges Teilchen in einem Labor des Instituts für Photonik in Zürich. Dort gelang es ETH-Professor Lukas Novotny und seinen Mitarbeitern, ein nur einhundert Nanometer grosses Glaspartikel – tausendmal kleiner als der Durchmesser eines Haares – derart zu manipulieren, dass es sich pro Sekunde mehr als eine Milliarde Mal um seine Achse dreht. Von solchen Experimenten erhoffen sich die Forscher unter anderem neue Erkenntnisse über die Stabilität von Glas und anderen Materialien bei extremen Belastungen. Die Ergebnisse ihrer Arbeit veröffentlichten sie kürzlich im Fachjournal externe Seite Physical Review Letters.

Pinzette aus Licht

Um einen Gegenstand dazu zu bringen, sich derart schnell zu drehen, muss man einigen technischen Aufwand betreiben. «Wir fangen das Glasteilchen dazu in einer Vakuumapparatur mit Hilfe einer so genannten optischen Pinzette ein», erklärt René Reimann, der als Postdoktorand in Novotnys Labor arbeitet. Eine optische Pinzette ist ein stark gebündelter Laserstrahl, in dessen Brennpunkt das Glaspartikel durch Lichtkräfte in der Schwebe gehalten wird. Dies erlaubt es den Wissenschaftlern, jeglichen direkten mechanischen Kontakt zwischen dem Partikel und der Aussenwelt zu vermeiden, der zu Reibungsverlusten führen würde. Zudem ist der Druck in der Apparatur hundert Millionen Mal geringer als der normale Luftdruck auf Meereshöhe, so dass nur sehr selten einzelne Luftmoleküle mit dem Partikel zusammenstossen und dieses geringfügig abbremsen.

Eine Milliarde Drehungen pro Sekunde

Die Forscher stellen nun die Polarisierung des Laserstrahls so ein, dass sie zirkular ist. Das bedeutet, dass die Richtung, entlang derer das elektrische Feld des Laserlichts schwingt, nicht wie bei der linearen Polarisation konstant ist, sondern sich kontinuierlich dreht. Diese Drehung wiederum geht teilweise auf das Glaspartikel über, wenn das Laserlicht es durchquert. Durch das übertragene Drehmoment dreht sich das Nanopartikel nach und nach immer schneller.

Die Drehfrequenz messen die Forscher, indem sie das Laserlicht der optischen Pinzette mittels eines Photodetektors analysieren. Die Drehung des Glasteilchens erzeugt eine periodische Änderung in der Intensität des Lichts, das das Partikel durchquert hat. Daraus konnten Novotny und seine Kollegen errechnen, dass seine Rotationsfrequenz grösser als ein Gigahertz (eine Milliarde Drehungen pro Sekunde) war. «Vermutlich dreht es sich sogar noch schneller, doch mit unserem Photodetektor können wir momentan keine höheren Frequenzen messen», räumt Reimann ein. Ganz oben auf der Prioritätenliste der Forscher steht deshalb die Anschaffung eines schnelleren Detektors.

Extreme Fliehkräfte

Damit hoffen sie, schliesslich sogar Drehfrequenzen von bis zu 40 Gigahertz messen zu können. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass das Nanopartikel explodiert, bevor es sich so schnell dreht. Bei welcher Frequenz genau das passieren sollte, ist nicht ganz klar, da es für solch kleine Objekte bislang keine verlässlichen Messungen gibt. Zwar ist aus der Materialforschung bekannt, dass zum Beispiel wenige Mikrometer dünne optische Glasfasern enorme Zugbelastungen aushalten (ein Vielfaches von Stahlseilen). Wie robust aber ein nur wenige Nanometer grosses Glaspartikel gegenüber den extremen Fliehkräften ist, die bei den an der ETH erzeugten hohen Drehfrequenzen auftreten, weiss dagegen niemand so genau. Diese Fliehkräfte können bis zu hundert Milliarden Mal grösser sein als die Erdanziehungskraft. «Das entspricht in etwa der Schwerkraft auf einem Neutronenstern», veranschaulicht Reimann die Grössenordnung.

Für die Nanotechnologie sind solche Messungen wichtig, da sich die Eigenschaften von Materialien auf der Nanoskala deutlich von denen grösserer Objekte unterscheiden können. Das liegt unter anderem daran, dass Nanopartikel äusserst rein und praktisch defektfrei sind. Zudem wären Messungen mit ähnlich hohen Drehfrequenzen an grösseren Gegenständen auch technisch kaum durchführbar. Die Herausforderung, Nanopartikel immer schneller drehen zu lassen, führt daher durchaus zu für die Praxis relevanten Erkenntnissen.

Wissenschaftlicher Wettlauf

Doch nicht nur die Drehungen des Glasteilchens sind extrem schnell, sondern auch die Fortschritte in der Forschung auf diesem Gebiet. Da einige andere Gruppen an ähnlichen Experimenten arbeiteten, mussten Novotny und seine Mitarbeiter sich ordentlich sputen. «Die Daten wurden letztendlich in nur zwei Wochen aufgenommen. Das war ein anstrengender Endspurt, an dem das gesamte Team kräftig mitgearbeitet hat», erinnert sich Reimann. Am Ende wurden die Forscher dann mit dem neuen Rekord belohnt.

Literaturhinweis

Reimann R et al.: GHz Rotation of an Optically Trapped Nanoparticle in Vacuum. Phys. Rev. Lett. 121, 033602, doi: externe Seite 10.1103/PhysRevLett.121.033602

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