Future Cities Laboratory: Bambus - stahlharter Eisenersatz für die Tropen
Bambus wächst schnell, ist in tropischen Ländern weit verbreitet, und einige Arten haben eine höhere Zugfestigkeit als Stahl. Für die Städte des Südens wären Bambuskomposite eine ideale Alternative zu importiertem Baustahl.
Daran arbeitet das Future Cities Laboratory in Singapur.
Dirk Hebel hat hautnah erlebt, was es heisst, wenn Länder am Tropf von importierten Baumaterialien hängen. An seinem früheren Arbeitsort in Äthiopien liefen die Kosten für den sozialen Wohnungsbau, der Hunderttausenden ein Dach über dem Kopf bieten sollte, wegen teurer Zement- und Stahlimporte komplett aus dem Ruder. «80 Prozent des weltweiten Baustahls werden in Entwicklungs- und Schwellenländern nachgefragt, aber nur 20 Prozent dort produziert», erzählt Hebel. «Ein enormes strukturelles Ungleichgewicht!» So verfolgte er das Ziel, lokal verfügbare Baumaterialien zu rehabilitieren. Etwa Lehm, in Form von Backsteinen, um den teuren Zement zu ersetzen.
Vor eineinhalb Jahren wechselte Hebel als Assistenzprofessor ans Future Cities Laboratory (FCL) nach Singapur. Hier machte er sich auf die Suche nach einer Alternative für den zweiten grossen Kostentreiber: den Baustahl. Er stiess auf Bambus mit seinen faszinierenden Eigenschaften: Bambus ist kein Baum, sondern ein Gras, er schiesst rasant in die Höhe, er neuert sich alle fünf Jahre, wächst über Jahrzehnte nach und bindet dabei grosse Mengen von klimaschädlichem Kohlendioxid. Weiterer Vorteil: Es gibt genug davon. Singapur liegt mitten in einem weltumspannenden Band, das weite Teile Asiens, Afrikas und Südamerikas umfasst. Darin sind 36 Millionen Hektaren Bambusvorkommen vorhanden. Alleine die Bestände in Südostasien reichen laut Hebel, um die dortige Nachfrage nach Baustahl bei Weitem abzudecken.
Bambusbaustoffe neu erdacht
Das Interesse für Bambus ist nicht neu: Über Jahrhunderte wurden unbehandelte Halme für den Bau einfacher Hütten und Brücken verbaut. In den 50er- und 60er-Jahren setzten Architekten in den USA und in Brasilien das Gras erstmals zur Armierung von Beton ein. Dies in erster Linie wegen seiner ausserordentlichen Zugfestigkeit, also der Fähigkeit, horizontale Zugkräfte auszuhalten. In Tests schlagen bestimmte Bambusarten diesbezüglich sogar den Baustahl.
Was zu Beginn vielversprechend aussah, endete katastrophal: Die Bambusstrünke zogen Wasser vom Beton, quollen auf und schrumpften beim Austrocknen wieder. Im Beton bildeten sich Risse und Hohlräume; die Bauten stürzten ein, und die Forschung zur Bambusarmierung kam zum Erliegen. Trotzdem ist Hebel vom Potenzial überzeugt: «Wir müssen uns Bambusbaumaterialien einfach komplett neu denken.»
Dafür gründete er in Singapur das Advanced Fiber Composite Laboratory. Seine Idee: Den Bambus nicht in seiner natürlichen Form verwenden, sondern als Komposit; also als Teil eines Mehrkomponenten-Baustoffs. In China hat man damit bereits in den 90er-Jahren begonnen. Komposite werden dort zu Bodenbelägen und Küchenabdeckungen verarbeitet. Heute deckt das Land 80 Prozent des 500 Millionen US-Dollar-Weltmarkts für industrielle Bambusprodukte.»
Um Bambus auch für tragende Elemente zu nutzen, sind aber neue Verfahren nötig, die die Zellstruktur und damit die Zugfestigkeit des Bambus bei der Herstellung von Kompositen schonen. Genau daran forschen Hebel und sein Team: Die Bambusstämme werden im Labor erst maschinell in Faserbündel vom Umfang eines Zahnstochers gespalten. Anschliessend muss der Zucker in der Biomasse zersetzt werden, um den späteren Baustoff vor Bakterienbefall zu schützen. Die Fäden werden dann mit Kleber benetzt, abgetropft und unter Druck bei 60 bis 70 °C in eine Form gepresst.
Wichtig dabei: Sämtliche Poren des Materials müssen verschlossen und gegen Wasserabsorption geschützt werden. Aus der Presse kommt ein Komposit, das mit 1,3 Gramm pro Quadratzentimeter doppelt so dicht ist wie natürlicher Bambus und bezogen auf seine Zugfestigkeit viermal leichter als Stahl. Antibakteriell und wasserabweisend – so eignet sich das Material für die Betonarmierung.
Hebels Forschung kommt gut an: Soeben hat er einen Innovationspreis des Staats Singapur erhalten, mit dem er sein Team um einen Chemiker und einen Materialwissenschaftler erweitert. Zugleich wird das Labor mit Maschinen für die Kompositproduktion und für Stabilitätstests ausgebaut. Und um den idealen Kleber für das Komposit zu finden, ging er eine Kooperation mit einem führenden Polymerhersteller ein.
Süd-Süd-Kooperation
Von den weltweit 1400 Bambussorten mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften, konzentriert sich das Labor zunächst auf die gängigsten Sorten Asiens. Die am FCL entwickelte Technologie soll jedoch am Ende allen Ländern des tropischen Gürtels zugute kommen und über Süd-Süd-Kooperationen popularisiert werden.
Hebel geht davon aus, dass die Grundlagenforschung im Labor in zwei bis drei Jahren abgeschlossen sein wird; für Sicherheitsprüfungen und Zertifizierungen rechnet er mit weiteren zwei Jahren. Dann soll eine Art «Baukasten» mit einfachen Anleitungen und günstigen Maschinen bereitstehen. «Wir wollen kein Luxusbaumaterial für Spezialanwendungen», erklärt Hebel. «Die Kompositherstellung und Betonarmierung muss so einfach sein, dass sie an Orten mit grossen Bambusbeständen gelernt und betrieben werden kann.»
Dezentrale Produktion
Die damit einhergehende Dezentralisierung der Fabrikation böte langfristig eine Alternative zum verheerenden Import-Export Verhältnis heute gängiger Baumaterialien. Zugleich würde sie die Gefahr etwas eindämmen, dass die Bambusproduktion bei grosser Nachfrage beginnt, die Agrikultur und Nahrungsmittelproduktion zu konkurrieren. Und noch etwas ist Hebel wichtig: «Wir müssen unbedingt verhindern, dass Profiteure beginnen, ähnliche Materialien minderer Qualität als Baustoff zu verkaufen.» Deshalb muss die Qualität bei der Kompositproduktion gesichert werden. Darüber hinaus sind auch Sicherheitsvorkehrungen für den Bau nötig. Denn anders als beim Stahl, der sich bei Ermüdung langsam zu verbiegen beginnt, fehlt dem Bambus dieses Fliessverhalten. Er bricht von einem Moment auf den anderen entzwei.
Bald schon sollen Prototypen von Bambuskompositen im Projekt «Tropical Town» in Indonesien getestet werden. Dort plant derzeit eine Gruppe Forscher des FCL, der Universität Singapur und Indonesien gemeinsam mit privaten und staatlichen Akteuren einen neuen Typus von nachhaltigem sozialem Wohnungsbau. Die erste solche Siedlung soll auf der Insel Batam entstehen; getragen vom lokalen Bambus der dortigen Wälder.