Vater von «Pascal» wird 80
Niklaus Wirth wurde als Entwickler der Programmiersprache «Pascal» weltberühmt. Eine ganze Generation von Informatikern hat damit das Programmieren erlernt. Morgen feiert der Pionier seinen 80. Geburtstag – und arbeitet noch immer fleissig an möglichst einfachen und eleganten Programmen.
Während 31 Jahren entwickelte Niklaus Wirth an der ETH Zürich neue Programmiersprachen, baute die ersten Personal Computer (PC) der Schweiz, bildete eine erste Generation von Schweizer Informatikern aus und schrieb mehrere weltweit übersetzte Standardwerke. Seit seiner Pensionierung vor 14 Jahren liegt Wirths Forschungsreich nicht mehr im Herzen der Limmatstadt, sondern in der Werkstatt seines Einfamilienhauses auf der Forch: Auf dem Schreibtisch stehen zwei Bildschirme und ein kleiner Desktop-Computer. Daran angeschlossen ein sogenanntes Development Board, eine Platine vollgepackt mit Elektronik, über welche sich Mikrochips modifizieren und programmieren lassen. Die vergangenen zweieinhalb Jahre hat Wirth hier praktisch täglich an einer Neufassung von «Oberon» gearbeitet, seiner 1988 zusammen mit dem PC «Ceres» entwickelten Programmiersprache. Seit seinem «Ruhestand» verging praktisch kein Tag, an dem sich Wirth nicht weiter mit Informatik beschäftigt hätte.
Computer so gross wie Kleiderschränke
Wirth wuchs in Winterthur auf, wo er als Kind leidenschaftlich gerne Modellflugzeuge baute. 1954 begann er ein Studium als Elektroingenieur an der ETH Zürich, wohin er dreizehn Jahre später wieder zurückkehren sollte. Seinen ersten Computer sah er 1960 während des Masterstudiums in Kanada: einen Röhrencomputer von der Grösse eines Kleiderschranks. «Das Gerät musste rund um die Uhr von einem Techniker betreut werden, und jedes Mal, wenn ich dieses für eine Berechnung benutzen wollte, wurde es gerade repariert», erinnert sich Wirth. Doch seine Neugier war geweckt; fortan wollte er diese noch raren Allzweck-Maschinen verstehen und verbessern lernen. Es folgte ein Doktorat an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Dort hatte man zwar bereits einen mit Lochkarten betriebenen Computer, doch dessen Programmierung war dermassen kompliziert, dass die Anwendung sehr beschränkt blieb. Die Vereinfachung der Programmiersprache sollte zur Aufgabe von Wirths Doktorarbeit werden. Das Resultat war «Algol W», ein Vorläufer von «Pascal», die Wirth später zu Weltruhm, 12 Ehrendoktortiteln und zahlreichen Buchübersetzungen, u.a. ins Russische und Chinesische, verhalf.
Die goldenen Zeiten der Informatik
Wirth blieb acht Jahre in den USA, vier davon als Assistenzprofessor an der Stanford University, in unmittelbarer Nähe des Silicon Valley. Es waren die Jahre des «Space Race» voller Technikbegeisterung, nachdem Präsident Kennedy den Flug zum Mond zu einer nationalen Priorität ausgerufen hatte. An den Universitäten mangelte es weder an Geld noch an modernster Infrastruktur. Und da es in der Informatik noch fast alles zu erfinden gab, genossen die Wissenschaftler unendliche Forschungsfreiheit. 1967 kehrte er zusammen mit seiner Frau und den zwei Kindern für eine Assistenzprofessur an der Universität zurück nach Zürich. «Kein inspirierendes Umfeld für einen Ingenieur», wie er heute sagt. Er war drauf und dran, wieder in die USA abzureisen. Doch dann kam das Angebot, an der ETH als junger Professor zusammen mit zwei Mathematikprofessoren ein Informatikdepartement aufzubauen. Schliesslich dauerte es aber noch bis 1981, bis aus der dreiköpfigen Fachgruppe für Computerwissenschaften ein eigenes Departement wurde.
Amerika blieb weiterhin Wirths Inspiration: 1976 besuchte er während eines Sabbaticals «Xerox PARC», die Forschungsabteilung des IT-Unternehmens Xerox. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Xerox hatte soeben seinen ersten PC, «Alto», entwickelt, eine kompakte Konsole mit hochauflösendem Bildschirm, Tastatur und Maus. «Das war mehr als nur ein Spielzeug; damit liessen sich auch neue Programmiersprachen und Compiler entwickeln», sagt Wirth. Der «Alto» markiert für ihn den eigentlichen Beginn des Informatikzeitalters. Als Wirth nach Zürich zurückkehrte, wusste er: IT-Forschung ohne leistungsfähige PC war unmöglich geworden. Da solche Geräte in Europa jedoch noch unbekannt waren, baute Wirth seinen ersten PC gleich selbst. Als gelernter Elektroingenieur wusste er auch wie. Damit war der Grundstein für «Lilith» gelegt, einen PC mit 7 Megaherz Takt und 128 Kilobyte Speicher. Für die Programmierung diente der Pascal-Nachfolger «Modula-2». 1980 waren an der ETH Zürich bereits zwanzig solcher Geräte im Einsatz; vier Jahre später waren es einige hundert auf der ganzen Welt. «Lilith» hätte der Beginn der Schweizer Computerindustrie werden können. Das Interesse der Industrie an seiner Forschung sei damals jedoch bescheiden gewesen, erinnert sich Wirth.
Fehlende elegante Programmierung
Die aktuellen Entwicklungen in der Informatik beurteilt Wirth kritisch: Keine einzige in den vergangenen 20 Jahren entwickelte Programmiersprache habe ihn überzeugt. Zu gross und zu komplex seien sie, ohne Expertenwissen meist unverständlich. «Ingenieure sollten ökonomisch und effizient arbeiten», so Wirth. «Doch da Rechenleistung und Speicher heute beinahe unendlich verfügbar sind, werden diese Ressourcen verschwendet. Elegantes Programmieren hat seine Bedeutung verloren.» Die Leistung heutiger Minicomputer findet Wirth zwar beeindruckend. Trotzdem benutzt er kein Smartphone. «Ich wüsste nicht wofür, zudem ist mir die Bedienung zu kompliziert.» Bei Freunden habe er auch schon mit einem Tablet gespielt. Doch er bevorzuge die Arbeit an seinem Desktop-Computer mit Maus und grossem Bildschirm. «Ich bin halt in erster Linie ein Computerbauer und erst in zweiter ein Anwender.»