Die Erde als Werkstoff (Teil 1)

Gemäss UNESCO wohnen weltweit ca. 40 Prozent aller Menschen in Bauten aus lehmhaltiger Erde oder erdverbundenen Materialien. Erstaunlich ist, dass dieser Werkstoff trotz einer Jahrtausende alten Verarbeitungstradition und niedrigsten Preisen vor allem in Entwicklungsländern einen sehr negativen Ruf hat, obwohl er sich hervorragend für die Bauindustrie eignet.

SUDU-Gebäude
Das SUDU-Gebäude (Sustainable Urban Dwelling Unit) in Addis Ababa besteht zu über 90 Prozent aus Lehm. (Bild: Marta H. Wisniewska)

Auf der Suche nach alternativen Materialien zu Beton und Stahl in Afrika stolpert man fast zwangsläufig über Lehm, so auch am neu gegründeten EiABC (Ethiopian Institute of Architecture, Building Construction and City Development) in Addis Ababa, von dem ich bereits berichtete (siehe Beitrag). Nachdem uns mehr und mehr bewusst wurde, dass wir keine städtebaulichen Aufgaben anpacken können, ohne uns über die dafür notwendigen Baumaterialien Gedanken zu machen, richteten wir auf dem Campus des Instituts ein experimentelles Labor ein mit dem Ziel, Bauten in vollem Massstab ausschliesslich aus lokalen Materialien zu errichten, das heisst ohne Stahl und Beton. Ebenfalls vereinbarten wir mit allen Forschenden die Zielvorgabe, dass diese Gebäude zweigeschossig sein sollten, um der schwierigsten Aufgabe, nämlich der Konstruktion einer Geschossdecke, nicht aus dem Weg zu gehen. Wir wollten der Regierung eine alltagstaugliche Alternative präsentieren, um sich aus der Importabhängigkeit von Baumaterialien zu befreien, die zu hohen Haushaltsdefiziten in fast allen afrikanischen Ländern führt.

Vergrösserte Ansicht: Globales Aufkommen von Konstruktionen im Erdbau
Globales Aufkommen von Konstruktionen im Erdbau (Grafik: Lara Davis)

SUDU – Sustainable Urban Dwelling Unit

Das erste Wohnhaus, das diesen Prinzipien folgte, wurde im Rahmen einer ETH Summer School gemeinsam mit den äthiopischen Partnern und ETH Sustainability entwickelt und nannte sich externe Seite Sustainable Urban Dwelling Unit (SUDU). Das untere Geschoss wurde in studentischer Arbeit in einer Stampflehmtechnik konstruiert, bei der man mit Hilfe von versetzbaren Holzschalungen 60 cm dicke Wände errichtet. Dabei wird ringsum jeweils ein Meter Mauer in die Höhe gestampft, bevor die Schalung nach oben rückt und die Prozedur von vorne anfängt.

Vergrösserte Ansicht: Tonnengewölbe
Das Tonnengewölbe ist aus dünnen Natursteinplatten ohne Schalung konstruiert. (Bild: Marta H. Wisniewska)

Die darauf folgende Konstruktion der Geschossdecken war eine Zusammenarbeit mit Prof. Philippe Block des Architekturdepartements der ETH und seinem Team, allen voran Lara Davis. Die Gruppe ist auf diese Konstruktionsmethode spezialisiert und konnte sie nun zum ersten Mal in Ostafrika zum Einsatz bringen. In einer sogenannten Katalanischen Technik errichteten sie ein Tonnengewölbe, das weder Zement noch eine Schalung benötigt und so auch auf kostbares – weil nicht vorhandenes – Holz oder Stahl verzichtet. Die einzelnen dünnen Natursteinkacheln sind lediglich mit einem lokal hergestellten Gips im freien Raum aneinandergeklebt, dies in drei Schichten. Das Endergebnis ist ein rund 6 cm starkes, flaches Gewölbe, auf das man dann eine Lehmschicht aufbringt, um die Begehbarkeit zu gewährleisten. Das zweite Obergeschoss und das Dach als doppelgewölbte Schale ist anschliessend mit luftgetrockneten Lehmsteinen gemauert.

Das Gebäude wurde schnell bekannt in Addis Ababa, jedoch stiess es bei der einheimischen Bevölkerung nicht unbedingt auf ungeteilte Begeisterung, da man es als unmodern ansah. Vertreter der Stadt Addis Ababa jedoch boten dem EiABC sofort grössere Landflächen zur Serienproduktion an – ein Unterfangen, das zur Zeit noch auf Eis liegt, da das äthiopische Baurecht Lehm leider nicht als städtisches Baumaterial anerkennt und die Entwicklung neuer Standards zwar begonnen hat, aber wohl noch lange braucht, um Einzug in die Gesetzgebung zu finden.

Fortsetzung in Teil 2

Zum Autor

Ähnliche Themen

Nachhaltigkeit

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert