Virtueller Lern-Roboter fürs Kinderzimmer
Einen Roboter programmieren: Das dürfte vielen Kindern gefallen. «RosieReality» machts möglich - wenn auch nur virtuell. Das ETH-Spin-off will damit den Nachwuchs an Grundlagen der Robotik heranführen.
«In 15 Jahren werden es Kinder seltsam finden, dass wir überhaupt zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden.» Was wie das Credo eines Nerds aus einem Science-Fiction-Film klingt, kommt aus dem Mund eines jungen Mannes, der ziemlich geerdet wirkt: Sélim Benayat, 27 Jahre alt, ist Biophysiker und Mitgründer von RosieReality, einem Startup, das Kinder in das Programmieren und die Robotik einführen will.
Rosie ist ein freundlicher Erkundungsroboter aus einer fernen Galaxie. Auf ihrer Reise durch den Weltraum kam sie der Erde zu nahe und stürzte auf den Planeten ab. Rosie ist jetzt auf die Hilfe von Kindern angewiesen, um ihr Gedächtnis wiederherzustellen und den Planeten Erde zu erkunden. Das ist die Geschichte der Rosie-App, die die Entwickler zu einem weltweiten Erfolg machen wollen.
Alternative zu «teurem Spielzeug»
Am Anfang dieser Story tüftelten Sélim Benayat und Peter Spence, der am Imperial College in London Maschinenbau und Innovatives Design studierte, an einem Roboter für Kinder im Vorschulalter herum. Das Projekt wurde im Autonomous Systems Lab an der ETH entwickelt und hat Benayat und Spence zu engen Freunden gemacht.
Die ambitionierten Jungforscher merkten allerdings schnell, dass die Hardware bei einem echten Roboter zu kompliziert und aufwändig ist: «Für Eltern und Schulen wäre ein solches Spielzeug zu teuer», sagt Benayat. Also suchten sie nach Alternativen die Robotik zugänglich zu machen. Das war die Initialzündung für «RosieReality».
Virtuelle und reale Welten verschmelzen
Wer die App installiert, sieht auf dem Smartphone die reale Umgebung mit Rosie als virtueller Roboterfigur, so wie wir das beispielsweise von Pokémon Go her kennen. Mittels einfacher Befehle lässt sich der virtuelle Roboter «programmieren»: Die Spieler geben Rosie Befehle, indem sie das Smartphone bewegen und virtuelle Objekte anwählen. Im Gegensatz zu Spielen, die komplett in einer virtuellen Welt angesiedelt sind – beispielsweise Minecraft – verschmilzt hier also die reale mit der virtuellen Welt, – echte «Augmented Reality».
Was in der Theorie relativ einfach klingt, ist in der Umsetzung knifflig: Eine der grössten Herausforderungen sei es, auf einem zweidimensionalen Objekt – also dem zweidimensionalen Smartphone-Bildschirm – eine dreidimensionale Welt erlebbar und greifbar zu machen, erklärt Benayet. Im englischen Sprachraum wurde dafür der Begriff der «physicality» geprägt. Da sind Designspezialisten wie Spence gefragt. Zudem muss die Software so beschaffen sein, dass auch Ungeübte das Spiel begreifen.
App beschäftigt Kinder lange
Mehr als 1000 Kinder ab acht Jahren testeten die App in den letzten Monaten, manche beschäftigten sich 20 Minuten mit Roboter Rosie, was im Vergleich zu anderen Apps eine relativ lange Zeitdauer ist. Andere Tests «gingen total in die Hose», wie Benayat freimütig einräumt. Wer «Rosie» ausprobiert, kann dieses Scheitern nachvollziehen: Tatsächlich muss man erst mal verstehen, dass der virtuelle Roboter sich nicht von selber oder mittels Touchscreen bewegt, sondern eben «programmiert», das heisst mit einem bestimmten Befehl ausgerüstet werden muss.
Trotz dieser Anfangsschwierigkeiten ist Benayat überzeugt, dass das Projekt Zukunft hat. Und damit ist er nicht alleine: Wurde das bei Wyss Zurich, einem gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungszentrums von ETH und Universität Zürich, angesiedelte Projekt zunächst aus Mitteln der Gebert Rüf-Stiftung anschubfinanziert, kommt der Löwenanteil des Kapitals jetzt aus dem Silicon Valley.
Ziel: 100 Millionen Nutzer
Anfang 2018 wurde das Unternehmen gegründet. Nebst Spence und Benayat war der Robotik-Spezialist Florian Maushart mit von der Partie, den Benayat aus den USA mit dem Rosie-Projekt zurück in die Schweiz lockte. Mittlerweile beschäftigt RosieReality neun Mitarbeiter, darunter auch 3D-Game-Spezialisten. Benayat rechnet damit, dass das Unternehmen im ersten Quartal 2019 auf mindestens 15 Mitarbeitende anwachsen wird.
Innerhalb der nächsten drei Jahre wollen die Jungunternehmer 100 Millionen Nutzer weltweit haben und würden damit zu einem grossen Mitkonkurrenten der Spieleszene. Künftig soll das Unternehmen über monatliche Subskriptionsgebühren Geld verdienen. Dabei wird der Inhalt ähnlich einer TV-Serie produziert und laufend mit neuen interaktiven Episoden ausgestattet. Wer möchte, kann gemeinsam mit Rosie dann etwa die Sahara oder den Himalaja entdecken.
«Welt ein bisschen besser machen»
Bis es so weit ist, bleibt allerdings viel zu tun. Die Rosie-App läuft zurzeit nur auf iPhones der neueren Generation und befindet sich noch in der Testphase. Wöchentlich stossen neue Nutzerinnen und Nutzer aus der ganzen Schweiz dazu. Ihr Verhalten wird anonymisiert bei den Machern genau registriert und bei der Weiterentwicklung aufgenommen. Dabei geht es Benayat und seinen Mitstreitern nicht einfach darum, ein neues spielerisches Lerntool auf den Markt zu bringen. «Wir möchten die Welt ein bisschen besser machen», sagt der Biophysiker frei jeglicher Ironie.
Klingt nach virtueller Glückseligkeit – Benayat nennt es «soziale Interaktion». Bald sollen nämlich mehrere Spielerinnen und Spieler gleichzeitig im gleichen Raum mit Rosie interagieren. Dabei müssen sich die Mitspieler gegenseitig unterstützen, damit Rosie das macht, was sie soll. Ob das funktioniert? «Eltern sehen mittlerweile ein, dass Spielen per se nicht schlecht ist», ist Benayat überzeugt. «Und sie finden es cool, wenn sie Teil eines kollaborativen Spiels sind, welches sich im «echten Leben» abspielt. Die Vorteile von Augmented Reality.»