Neue alte Lösung für das Rahmenabkommen

Ein institutionelles Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU steht vor dem Abschluss – aber innenpolitisch noch vor Hürden. Der ETH-Professor Michael Ambühl hat mit seinem Team einen konkreten Lösungsvorschlag erarbeitet, der diese Hürden abbauen soll. Dazu gehört ein Streitbeilegungsverfahren ohne den Europäischen Gerichtshof.

Schweizer und Europäische Flagge spiegelt sich in Bürogebäude
Ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU soll den Zugang der Schweiz zum europäischen Binnenmarkt sichern. (Bild: Keystone / Sigi Tischler)

Der Entscheid über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU rückt näher. Ein solches soll den Zugang der Schweiz zum europäischen Binnenmarkt sichern. Es würde unter anderem regeln, wie die Schweiz neues EU-Recht übernimmt und wie Streitfälle zwischen der EU und der Schweiz beigelegt werden.

Ein von Schweizer und EU-Unterhändlern ausgearbeiteter Vertragsentwurf liegt derzeit in der Konsultation. Der innenpolitische Widerstand ist beträchtlich. In der Kritik stehen etwa die geplante Aufweichung der flankierenden Massnahmen, welche die Löhne schützen, und eine mögliche Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie, welche die Freizügigkeit von EU-Bürgern regelt und unter Umständen weiter geht als das Personenfreizügigkeitsabkommen. Auf Skepsis stösst aber auch die geplante Rolle des Europäischen Gerichtshofes im Streitbeilegungsverfahren. Dessen Unparteilichkeit wird von Kritikern angezweifelt.

Michael Ambühl, ETH-Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement, hat nun zusammen mit der Doktorandin Daniela Scherer konkrete Änderungsvorschläge erarbeitet und veröffentlicht. Sie sollen helfen, die innenpolitischen Hürden zu überwinden.

Streitbeilegung ohne den Europäischen Gerichtshof

Im Kern schlagen die Wissenschaftler ein einfacheres Streitbeilegungsverfahren vor, als es der Entwurf vorsieht. Der Europäische Gerichtshof spielt darin keine Rolle mehr. Übernimmt die Schweiz neues EU-Recht nicht, wäre es der EU nach dem Vorschlag von Ambühl und Scherer gestattet, direkt und ohne vorheriges Anrufen eines Gerichts Ausgleichsmassnahmen gegen die Schweiz zu beschliessen. Allerdings hätte die Schweiz dann die Möglichkeit, von einem unabhängigen Schiedsgericht prüfen zu lassen, ob die getroffenen Ausgleichsmassnahmen angemessen sind. Dasselbe Verfahren schlagen Ambühl und Scherer für Fälle vor, bei welchen es um die Anwendung von bestehendem EU-Recht geht.

Innenpolitisch könnte dieses Vorgehen einen Streitpunkt beseitigen, ohne die Kompetenz des Europäischen Gerichtshofes zu beschneiden. Im Übrigen ist ein ähnliches Streitbeilegungsverfahren zwischen der Schweiz und der EU bereits in Kraft: Die EU hat ihm im Zollsicherheitsabkommen von 2009 zugestimmt.

Dynamische Rechtsübernahme mit Ausnahmen

Vor diesem Hintergrund raten Ambühl und Scherer, das legitime Anliegen der EU, den «Grundsatz der Dynamisierung», zu akzeptieren. Allerdings mit Ausnahmen, die besser abgesteckt sind als im bestehenden Entwurf. Aus Sicht wichtiger innenpolitischer Akteure müssten von der Übernahme wohl auch der Arbeitnehmerschutz, die Unionsbürgerrichtlinie und die Staatsbeihilfen ausgenommen werden. Damit solche Konzessionen für die EU akzeptabel bleiben, müsse die Liste der Ausnahmen aus Sicht der Autoren aber kurz bleiben.

Wenn die Schweiz EU-Recht dynamisch übernehme und der EU Ausgleichsmassnahmen direkt zugestehe, falle zudem die politische Rechtfertigung der sogenannten Guillotine-Klausel weg. Sie bewirkt eine automatische Kündigung zentraler Bilateraler Abkommen bei einem Fehlverhalten in einem einzelnen Bereich. «Eine solche Massnahme kann man wohl kaum als angemessen bezeichnen», sagt Ambühl.

Weiterverhandlungen nicht ausschliessen

Bleibt die Frage, wie viel Spielraum für Verhandlungen es überhaupt noch gibt. Ambühl schätzt die Frage aus verhandlungstechnischer Sicht ein: «Natürlich bezeichnet die EU die Verhandlungen als abgeschlossen und gibt sich hart. Alles andere wäre taktisch ungeschickt.»

Auf weitere Verhandlungen von sich aus zu verzichten, wäre aus Sicht der Schweiz ein Fehler. «Nur, wenn wir verhandeln, wissen wir, ob es noch etwas zu verhandeln gibt», sagt Ambühl. Die Alternative für den Bundesrat wäre, das Rahmenabkommen in der jetzigen Form zu unterzeichnen und dem Parlament vorzulegen, womit es wahrscheinlich zu einer Volksabstimmung käme. Ein Volks-Nein wöge für die künftigen Beziehungen zur EU jedoch schwerer als ein vom Bundesrat abgelehntes Abkommen, so die Hypothese in dem Artikel von Ambühl und Scherer.

Im Übrigen gebe es aus ihrer Sicht keinen Grund zur Eile: Nach der Neubesetzung der EU-Kommission im kommenden Herbst, grösserer Klarheit über den Brexit und den Wahlen in der Schweiz sind Kompromisse eher denkbar als jetzt.

Literaturhinweis

Michael Ambühl / Daniela S. Scherer, Zum Entwurf des Institutionellen Abkommens, in: externe Seite Jusletter 4. Februar 2019

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