Höhenrekord für Steinpilz

ETH-Forschende fanden im Unterengadin auf über 2400 Metern Steinpilze – das höchste bisher bekannte Vorkommen des beliebten Speisepilzes in den Alpen. Und die Pilze haben sich einen neuen Pflanzenpartner «geschnappt», der noch nicht auf der Liste möglicher Symbionten stand.

Eine Handvoll Studierende und deren Betreuende, Adrian Leuchtmann und Artemis Treindl, staunten nicht schlecht, als sie im September 2016 oberhalb von Scuol im Unterengadin Steinpilze entdeckten. Auf dieser Höhe – der Fundort liegt mitten im Skigebiet Motta Naluns auf 2440 Meter über Meer – hätten sie nicht damit gerechnet, diese Art anzutreffen.

«Das war ein Zufallsfund», sagt Treindl. Seit mehreren Jahren führen Leuchtmann und Treindl vom Institut für Integrative Biologie in Scuol (GR) eine Feldarbeitswoche für Biologie- und Umweltstudierende durch. Dabei erkunden sie mit den Studierenden an einem Tag die alpine Zone oberhalb der Waldgrenze. Dass Treindl just an diesem Tag auf Steinpilze stiess, war Glück und nicht das Resultat einer gezielten Nachsuche. «Die Fruchtkörper des Pilzes erscheinen nicht unbedingt jedes Jahr zur gleichen Zeit, wir aber sind immer Ende August dort», betont die ETH-Doktorandin.

Höchster bekannter Standort in den Alpen

Ein besonders schöner Steinpilz gedeiht im Schutz eines Felsens. (alle Bilder: Artemis Treindl/ETH Zürich)
Ein besonders schöner Steinpilz gedeiht im Schutz eines Felsens. (alle Bilder: Artemis Treindl/ETH Zürich)

Für den Steinpilz bedeutet dieser Fund Höhenrekord in den Alpen. Die bisherigen höchsten bekannten Vorkommen liegen im Tessin und in Österreich auf 2200 Meter über Meer. Übertroffen werden die Unterengadiner Steinpilze allerdings von solchen aus den Rocky Mountains. Dort wurde diese Pilzart schon auf 3500 Meter gefunden.

Überraschend war nicht nur die Höhenlage des Fundorts. Die Steinpilze von Motta Naluns haben sich auch einen für sie bislang unbekannten Mykorrhizapartner «geschnappt»: die Kraut-Weide Salix herbacea.

Viele Pilze gehen mit Pflanzen eine Partnerschaft ein. Der Pilz bildet im Erdreich und um die Feinwurzeln der Pflanze ein Geflecht aus feinen Fäden, das Myzel. Der Pilz versorgt damit die Pflanze mit Wasser und Nährstoffen, er wehrt aber auch allenfalls schädliche Pilze und Bodenorganismen ab. Im Gegenzug profitiert der Pilz von Kohlenhydraten wie Zuckern, welche die Pflanze über die Photosynthese erzeugt.

Umstellung auf neuen Symbiosepartner

Steinpilze sind wenig wählerisch bei der Wahl ihrer Pflanzenpartner, in Frage kommen verschiedene grosse Laub- und Nadelbäume. Die Kraut-Weide aber ist bislang nicht als Mykorrhizapartner von ihnen bekannt, zumindest nicht in ihrem Hauptverbreitungsgebiet. Der Zwergstrauch ist an die harschen Umweltbedingungen im Gebirge angepasst und wächst unterirdisch in die Horizontale, über der Erdoberfläche sind meist nur Blätter und Blüten sichtbar.

«Wahrscheinlich sind die Steinpilze von Motta Naluns aus Mangel an geeigneteren Alternativen auf die Kraut-Weide ausgewichen», sagt Leuchtmann. Den Nachweis, dass die Kraut-Weide tatsächlich als Wirtspflanze für die Steinpilze dient, erbrachten die beiden Forschenden im Labor anhand einer DNA-Analyse von Pilzmaterial, welches sie von Würzelchen der Kraut-Weide isolierten.

Half Klimaerwärmung beim Aufsteigen?

Wie die Steinpilze in diese unerwartete Höhenlage gelangten und wie sie den Wirtswechsel vollziehen konnten, ist unklar. Einerseits kann der Wind Sporen von den nächsten Vorkommen hierhergetragen haben, andererseits könnte es sich auch um ein Relikt aus früheren Zeiten handeln, als die Waldgrenze viel höher lag als heute. In Teilen der Alpen liegt diese nämlich tiefer als von Natur aus möglich wäre, weil der Mensch zur Gewinnung von Weideland Wald rodete. Möglicherweise begünstigt die Klimaerwärmung, dass Steinpilze in höheren Lagen siedeln und überleben können.

Um solche und weitere offene Fragen zu klären, möchten Treindl und Leuchtmann die Unterengadiner Steinpilze noch detaillierter untersuchen. So wollen sie herausfinden, ob sie sich genetisch von den nächsten Pilzvorkommen unterhalb der Waldgrenze unterscheiden. Damit möchten die ETH-Forschenden beispielsweise die Fragen klären, wie eng die verschiedenen Populationen miteinander verwandt sind und ob sich das Erbgut der alpinen Steinpilze verglichen mit dem der waldbewohnenden verändert hat.

Literaturhinweis

Treindl A, Leuchtmann A. A king amongst dwarfs: Boletus edulis forms ectomycorrhiza with dwarf willow in the Swiss Alps. Alpine Botany 2019, DOI externe Seite10.1007/s00035-019-00218-2

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