Fit für die Legislatur
Gewaltenteilung, Aussenpolitik, Wirtschaftspolitik oder Klima: Die ETH vermittelte den neugewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern an einem zweitägigen Anlass im Bernbiet Spezialwissen. Ein Augenschein.
Mit Blick auf die verschneiten Berner Alpen liegt zentral und diskret das Seminargebäude der Schweizerischen Nationalbank in Gerzensee – typisch schweizerisch. Während zwei Tagen ist dies der Ort für einen besonderen Anlass: 33 neugewählte Parlamentarierinnen und Parlamentarier treffen sich, um sich in die Kernthemen des politischen Alltags einführen zu lassen. Sie nehmen damit ein Angebot von ETH-Professor Michael Ambühl wahr, der als Direktor der ‚Swiss School of Public Governance‘ der ETH für sie das Programm zusammengestellt hat. «Aufgrund der Erfahrungen von 2015 und den Rückmeldungen aus den Fraktionen wussten wir, dass ein grosses Interesse an einem solchen Angebot besteht. Dass nun fast die Hälfte der Neugewählten sich zwei Tage Zeit nimmt, um sich zu informieren, hat uns aber positiv überrascht», sagt Ambühl.
Auch hier: Jünger und weiblicher
In der Teilnehmerliste widerspiegelt sich das Wahlresultat vom letzten Oktober: fast die Hälfte der Teilnehmenden sind Grüne und Grünliberale Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Die illustre Runde ist deutlich weiblicher und jünger als bei der ersten Auflage des Einführungsseminars vor vier Jahren. Eine von ihnen ist Franziska Ryser, die mit 28 Jahren in St. Gallen für die Grüne Partei den Sprung in den Nationalrat geschafft hat. Eine weitere Besonderheit der frischgebackenen Nationalrätin: Ryser hat an der ETH Maschinenbau studiert und ist zurzeit Doktorandin im Labor für Rehabilitations Engineering an der ETH. Was erwartet sie vom zweitägigen Einführungskurs? «Vor der Wahl ist es schlicht unmöglich, sich mit allen Gebieten gleich intensiv auseinandersetzen. In meinen Fall ist das beispielsweise die Sicherheitspolitik – hier Inputs zu erhalten, welche Fragen hier zentral sind, wäre eine grosse Hilfe», sagt Ryser, bevor es mit den Vorträgen losgeht.
Wissenschaftlicher Rucksack für die Legislatur
Für die zwei Tage hat Ambühl Expertinnen und Experten aus den drei Sprachregionen und verschiedenen Hochschulen verpflichtet, die über jene neun Themen sprechen, welche in den Fachbereichskommissionen des Parlaments zentral sind: Von der Entwicklung der Staatsgewalten, makroökonomischen Grundlagen, der schweizerischen Sozialpolitik bis hin zur Mobilität der Zukunft. Michael Ambühl selbst stellt die allgemeinen Grundlagen der Schweizer Aussenpolitik vor. Doch er steht selber nicht gerne im Mittelpunkt, viel wichtiger ist ihm die Idee hinter dem Seminar: «Als eidgenössische Hochschule stehen wir in der Pflicht, den Wissenstransfer auch ins Parlament zu gewährleisten und damit etwas zur res publica beizutragen.» Dass sehen auch die anderen Referentinnen und Referenten so – es sei eine grosse Chance, so unmittelbar mit den Neugewählten in Kontakt zu kommen und ihnen wissenschaftlichen Fakten mit auf den Weg für die Legislatur zu geben.
Was vermitteln?
Das ist allerdings keine leichte Aufgabe. Die Professorinnen und Professoren, die sich sonst gewohnt sind, ein Semester lang ein Thema zu vertiefen, müssen sich entscheiden, auf welche Fragen sie in nur 45 Minuten ihren Fokus legen möchten. Was müssen Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus ihrem Fachgebiet wissen? Sonia Seneviratne, Professorin für Land-Klima-Dynamik an der ETH, kommt die Aufgabe zu, über die Klimapolitik zu sprechen: «Politikerinnen und Politiker sollten verstehen, warum es eine grosse Rolle spielt, ob wir das 1,5 Grad- oder bloss das 2-Grad-Ziel erreichen. Zudem möchte ich vermitteln, welche Schritte für die Verminderung der CO2-Emissionen nötig sind, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen»
Voll des Lobes
Die Expertinnen und Experten machen ihre Sache offensichtlich gut – für alle Referate gibt es von den Teilnehmenden viel Lob. Zwar gab es da und dort ein paar Sprachbarrieren - Seminarleiter Ambühl legte Wert darauf, dass sowohl in Deutsch wie Französisch referiert wird - aber sich irgendwie mit den anderen Landessprachen zurechtzufinden, gehört in der Schweiz zum parlamentarischen Alltag. «Ich hätte nie gedacht, dass man in so kurzer Zeit, diese komplexen Themen abhandeln kann, ohne oberflächlich zu werden», ist Ryser begeistert. Und eine andere Parlamentarierin meint schmunzelnd: «Zum ersten Mal habe ich so richtig verstanden, warum meine Tochter Wirtschaft studiert hat.»
Viel mehr als Wissensvermittlung
ETH-Rektorin Sarah Springman ist extra nach Gerzensee gereist, um den Teilnehmenden zur ihrer Wahl zu gratulieren und sich persönlich mit ihnen auszutauschen. Lachend erzählt sie beim gemeinsamen Mittagessen, dass ihr Einbürgerungsgesuch nun auf gutem Wege sei und sie hoffe, bei den nächsten Wahlen selbst abstimmen zu können. Und sie drückt aus, wie sehr sie – die seit 23 Jahren in der Schweiz lebt – von der schweizerischen Fähigkeit zum Konsens, zum Miteinander und zur Lösungsfindung beeindruckt sei. Damit beschreibt die Rektorin auch gut den Spirit der ganzen Veranstaltung.
Auffällig ist, wie offen und kollegial die Stimmung unter den neugewählten Parlamentarierinnen und Parlamentariern ist. Wie Ambühl schon bei der Begrüssung erwähnt hat, geht es bei diesem Einführungsanlass nicht nur darum, wissenschaftliche Grundlagen zu vermitteln. Genauso wichtig ist, dass sich die neugewählten Politikerinnen und Politiker über die Parteigrenzen hinweg vernetzen. Ziel ist, sich kennenzulernen und konstruktiv im Austausch zu bleiben, auch wenn man nicht immer die gleichen politischen Ansichten vertritt – typisch schweizerisch eben.