«Wir sind alle Griechen»

Konstantinos Boulouchos hat jahrelang die Schweizer Energieforschung mitgeprägt. Nun ist der charismatische Professor für Energietechnik emeritiert und blickt zurück auf über 30 Jahre an der ETH Zürich – dabei wird er auch philosophisch.

Konstantinos Boulouchos
Wer mit Konstantinos Boulouchos über Energiesysteme redet, redet immer auch über Philosophie. (Bild: ETH Zürich / Daniel Winkler)

Sollte er lieber Geschichte oder doch eher Physik studieren? Interessieren tut sich der Athener Gymnasiast in den 70er-Jahren für so viele Dinge. Doch während die Geisteswissenschaften etwas brotlos erscheinen, behaupteten Bekannte, man könne mit einem Physikstudium nur Lehrer werden, was dem jungen Konstantinos Boulouchos dann doch nicht ganz behagte. «Und heute finde ich nichts wichtiger, als junge Menschen auszubilden», lacht Boulouchos.

Wenn er von seinen Studierenden spricht, gerät der ETH-Professor ins Feuer. Als junger Professor sei ihm gar nicht so bewusst gewesen, wie wichtig eine offene und gute Kommunikation sei. Heute wisse er: Jeder und jede bringe einen eigenen Rucksack mit. Wer beispielsweise privat absorbiert sei, könnte vielleicht nicht gleich viel leisten. Wichtig sei aber, dass man darüber spreche, denn nur so könne man optimal betreuen. Seine Studierenden hätten ihn geprägt und ihm geholfen, sich weiterzuentwickeln – und hoffentlich gelte das auch umgekehrt. Schaut man sich die zahlreichen Auszeichnungen und Karrieren seiner ehemaligen Studierenden an, darf man das getrost bejahen.

Doch zurück zu den Anfängen. Der 1955 in Chalkis geborene Konstantinos Boulouchos entscheidet sich für ein Maschineningenieurstudium an der TU Athen und kommt bereits 1978 an die ETH, wo er im Januar 1984 im Bereich Thermodynamik und Verbrennungskraftmaschinen promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität Princeton kehrt Boulouchos 1988 an die ETH Zürich zurück. Er forscht an rechnergestützten Simulationsmethoden und berührungslosen, meist laser-optischen Messverfahren. Es ist diese Verbindung von experimentellen Ansätzen und Simulationen, die dazu führt, dass er 1995 zum Leiter des Labors für Verbrennungsforschung am Paul Scherrer Institut (PSI) ernannt wird und bis 2005 das gemeinsame Programm für Verbrennungsforschung der ETH Zürich und des PSI koordinierte.

Was das Denken beeinflusst

Längst ist die Schweiz für den Professor, der seit 1997 auch die Schweizer Staatsbürgerschaft besitzt, zur zweiten Heimat geworden. Wo sieht Konstantinos Boulouchos die grössten Unterschiede zwischen Griechenland und der Schweiz? Natürlich sei in der Schweiz alles geordneter, strukturierter und damit auch verlässlicher, sagt Boulouchos. Aber im Grunde seien wir ja alle Griechen, bemerkt der Professor schmunzelnd. Er meint das – wie so vieles im Gespräch – philosophisch. «Die Griechen Aristoteles, Heraklit und Demokrit haben unser ganzes Denken beeinflusst. Die logische Methodik, das empirische Prüfen von überlieferten Meinungen und Doktrinen bestimmen nicht nur, aber natürlich besonders die Welt der Wissenschaft.» Für ihn sei es aber entscheidend gewesen, das Denken der antiken Griechen noch mit Ideen aus der östlichen Philosophie zu erweitern. Was den Japan-Liebhaber Boulouchos daran besonders fasziniert, ist das Denken in komplexen Systemen: «Der Mensch versteht sich in der östlichen Philosophie als Teil eines grösseren Systems einerseits im Raum, aber auch im Laufe der Zeit.»

Boulouchos
Konstantinos Boulouchos. (Bild: ETH Zürich / Daniel Winkler)

Der systemische Ansatz ist es, den die Forschung und Aktivitäten von Boulouchos ab den Nullerjahren beeinflusst. Angefangen hat alles mit einem Zufall. Der damalige Vizepräsident für Forschung, Professor Ulrich Suter, fragte Boulouchos bei einem Bier, ob er eigentlich wisse, wie viele Professorinnen und Professoren an der ETH an Fragen forschen, die etwas mit Energie zu tun haben. «Ein eindeutiger Beweis dafür, wie wichtig der direkte, informelle Austausch ist», meint Boulouchos etwas ironisch im Hinblick auf aktuelle Diskussionen, man könne alles im Remote-Modus machen. Eine Umfrage unter den damals rund 360 Professorinnen und Professoren ergab Unerwartetes: Rund 40 davon forschten an ganz unterschiedlichen Teilgebieten, aber unabhängig voneinander. Und so wurde die Idee des Energy Science Center – kurz ESC – geboren, das dann pünktlich auf das 150-Jahre Jubiläum der ETH im Jahr 2005 gegründet und bis Ende 2011 von Konstantinos Boulouchos geleitet wurde.  

2000-Watt oder eine Tonne CO2?

2008 gab das ESC die Studie „Energiestrategie für die ETH Zürich“ heraus und wollte damit einen Paradigmenwechsel einläuten. Bis anhin hatte sich der ETH-Bereich nämlich für die 2000-Watt-Gesellschaft stark gemacht. Ein Konzept, das viele Gemeinden und Verwaltungen übernommen hatten und prägend für deren Zukunftspläne war. Boulouchos war bald klar, dass die Fokussierung nur auf den Energieaspekt zu kurz greift. «Das eigentliche Problem war schon damals der CO2-Ausstoss, deshalb postulierten wir damals die Idee. Zwar sollten wir auch unseren Energiebedarf senken, aber entscheidend ist vor allem, woher die Energie kommt», so Boulouchos.

«Entscheidend ist, dass Forschende die gesicherten Erkenntnisse, aber auch die bestehenden Unsicherheiten transparent kommunizieren.»Konstantinos Boulouchos

Inzwischen ist allerdings klar, dass eine Tonne CO2 pro Kopf nicht ausreicht, um den Klimawandel zu verhindern. Bis etwa 2050 soll der Ausstoss von Treibhausgasen auf praktisch Null heruntergefahren werden. Mit welcher Kombination aus technologisch- und ökonomischer Innovation, energiepolitischen Instrumenten und verändertem individuellen Verhalten dies zu schaffen ist, beschäftigt den Professor nachhaltig.

Die Energiezukunft der Schweiz nach Fukushima

Ein zweites Ereignis erschütterte im wortwörtlichen Sinn das ESC-Präsidium von Konstantinos Boulouchos. Am 11. März 2011 bebte die Erde in Japan und führte zur Nuklearkatastrophe in Fukushima. «Das Risiko, das in einem Kernkraftwerk ein Unfall passiert, ist sehr klein, aber Fukushima hat uns vor Augen geführt, wie gefährlich es sein kann, wenn der unwahrscheinliche Fall doch eintritt». Das stellte die Nuklearenergie grundsätzlich in Frage und der Druck war gross, dass das ESC Antworten liefern sollte. Boulouchos und seine Kolleginnen und Kollegen stellten nur sechs Monate nach dem Unglück die Studie „Energiezukunft Schweiz“ vor. Die Studie kam zum Schluss, dass in der Schweiz ein schrittweiser Ausstieg aus der Kernenergie, obwohl sehr herausfordernd, technologisch grundsätzlich machbar und volkswirtschaftlich verkraftbar sei.

Wie politisch darf Wissenschaft sein?

Bundesrätin Doris Leuthard rief einen «Beirat für die Energiestrategie 2050» ins Leben, dem auch der ETH-Professor fortan als eines von 18 Mitgliedern angehörte. Boulouchos wird 2014 zudem Leiter des Schweizer Kompetenzzentrums für effiziente Mobilität und 2018 schliesslich Präsident der ständigen Energiekommission der Akademien der Wissenschaften Schweiz – so gestaltet er die Energiezukunft der Schweiz entscheidend mit, auch nachdem er das ESC-Präsidium an der ETH abgibt. Ist das nun Politik oder Wissenschaft?

«Man muss sich den Schnittstellen der beiden Bereiche bewusst sein. Gesellschaftliche Themen mit solcher Tragweite wie die Energiezukunft müssen zuallererst auf einer soliden, möglichst transdisziplinären wissenschaftlichen Basis diskutiert werden. Aber am Schluss wird ein Teil auch von den eigenen Wertvorstellungen beeinflusst. Wenn ich beispielsweise das relative Risiko der Kernenergie gegenüber einer Restmenge von CO2-Ausstoss beurteile, hat das – selbst bei Kenntnis aller Vor- und Nachteile – immer eine subjektive Komponente», antwortet Boulouchos.

Sich mit so vielen verschiedenen Aspekten und Forschungsgebieten der Energie auseinanderzusetzen und zu versuchen, diese sinnvoll zu verbinden, sei in den letzten Jahren sein besonderes Privileg gewesen, so Boulouchos. «Entscheidend ist, dass Forschende die gesicherten Erkenntnisse, aber auch die bestehenden Unsicherheiten transparent kommunizieren. Wir müssen uns der eigenen Präferenzen einerseits und dem grundsätzlich beschränkten Wissen um alle möglichen systemischen Auswirkungen andererseits bewusst sein. Entsprechend zu handeln, erfordert viel Ehrlichkeit und Selbstdisziplin, ist aber für die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft langfristig zentral.» Wer mit Konstantinos Boulouchos über Energiesysteme redet, redet immer auch über Philosophie.

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