Biofabrikation sollte nachhaltig sein
Lebende Materie kann viele Technologien effizienter und umweltfreundlicher machen – doch die Praktiken, um solche Materialien aus lebenden Zellen herzustellen, sind alles andere als nachhaltig. Miriam Filippi fordert, die Biofabrikation neu zu denken.
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Ich bin Forscherin im Bereich Soft-Robotik und arbeite an der Entwicklung von bioinspirierten künstlichen Muskelgeweben. Und ich glaube, dass wir menschliche Aktivitäten ökologischer gestalten können, indem wir das Potenzial lebender Zellen für biohybride Materialien nutzbar machen. Mögliche Anwendungen reichen von Medizin über Robotik bis hin zu Bauwesen und Umweltschutz.
Meine Vision rührt daher, dass Zellen miniaturisierte Systeme mit unglaublichen Eigenschaften sind, die herkömmlichen Materialien fehlen – wie Sensorik, Anpassungsfähigkeit, Biosynthese und die Fähigkeit, sich selbst zu vermehren.1
Strukturen aus lebenden Zellen herzustellen, die sogenannte Biofabrikation, fasziniert Forschende schon lange. Der Begriff stammt aus der Biomedizin, wo der 3D-Druck von Organen zur Behandlung schwerer Krankheiten intensiv erforscht wird.
Heute ist es möglich, im Labor aus Säugetierzellen Gewebestücke nachzubauen, um ihre Biologie zu studieren, beschädigte Körperteile zu ersetzen oder Medikamente zu testen. Wir können tierisches Gewebe als Nahrungsmittel (In-vitro-Fleisch) erzeugen. Und Zellen herstellen, die bestimmte Substanzen aufspüren oder die Umwelt von Schadstoffen reinigen. Oder Bakterien, die Risse in Wänden von Häusern reparieren. Wir können sogar Mikroroboter bauen, die sich flink in komplexen Umgebungen bewegen – und das alles, ohne auf Tierversuche angewiesen zu sein. 2, 3
Lebende Zellen bestehen aus weichen, biologisch abbaubaren Komponenten. Sie gewinnen Energie aus Glukose oder anderen umweltfreundlichen Brennstoffen, wachsen und bewegen sich geräuschlos und hoch effizient. Sie der Natur zu entlehnen verspricht nicht nur technologischen Fortschritt, sondern auch einen Schritt in eine ökologische Zukunft, denn Bio-Hybridsysteme funktionieren nachhaltiger als ihre synthetischen Gegenstücke.
Die Produktion von Biohybridsystemen im Labor ist jedoch meistens von Versuch und Irrtum geprägt, was ressourcen-, energie- und arbeitsintensiv ist. Um ein Gewebe zu züchten, braucht es teure Materialien und Apparaturen. Wir müssen die Umgebungsbedingungen für die Zellen genau kontrollieren. Herkömmliche Verfahren erzeugen daher viel Abfall.
Von Versuch und Irrtum zur Vorhersage
Um die Biofabrikation nachhaltig zu gestalten müssen wir die Art und Weise, wie wir "biofabrizieren", neu definieren und ökologisch sinnvolle Produktionsprozesse entwickeln.5 Wir brauchen neue hochpräzise Fertigungsverfahren, um die Effizienz zu erhöhen und um die Menge an verbrauchten Ressourcen, entstehendem Abfall und eingesetzter Energie zu begrenzen.
«Indem wir im Labor weniger zufällig experimentieren, sondern das Vorgehen gezielt optimieren, können wir den Ressourcen- und Energieverbrauch minimieren.»Miriam Filippi
Der effizienteste Ansatz, die Biofabrikation umweltfreundlich zu gestalten, besteht darin, das optimale Vorgehen im Labor im Voraus zu festzulegen. Dabei können uns Computer behilflich sein. Wir sollten Biosysteme vermehrt modellieren und Fabrikationsprozesse zuerst simulieren, um erfolgversprechende Strategien fürs Labor zu identifizieren – also solche, die künstliche Gewebe mit bestimmten Eigenschaften in möglichst wenigen Versuchen herstellen können. Maschinelles Lernen wird bei der Simulation biologischer Systeme eine zentrale Rolle spielen, etwa wenn es darum geht, optimale Bedingungen für die Biofabrikation zu wählen.
Kurz: Indem wir im Labor weniger zufällig experimentieren, sondern das Vorgehen gezielt optimieren, können wir den Ressourcen- und Energieverbrauch minimieren. 5
Meine Vision für die Zukunft
Wenn es uns gelingt, bio-hybride Systeme mit smarten Vorhersagen zu entwerfen und zu produzieren, kann ich mir eine Zukunft vorstellen, in der Bauwerke sich selbst reparieren, Roboter mit Sensoren und Muskeln auf ihre Umgebung reagieren oder Implantate sich nahtlos in den Körper integrieren – dank nachhaltiger Biofabrikation.
So bin ich überzeugt: Nutzen wir die Fähigkeiten natürlicher Zellen und die Kraft künstlicher Intelligenz auf synergistische Weise, entsteht viel Potenzial für nachhaltige Innovation. Quelle jeder Zelle, die wir für die Biofabrikation verwenden, ist letztlich die Natur. Allein deshalb sollten wir ihr Sorge tragen.
1 Appiah C, et al. Living Materials Herald a New Era in Soft Robotics. Adv. Mater. 2019, 31, 1807747. Doi: externe Seite 10.1002/adma.201807747
2 Filippi M, et al. Wird die Mikrofluidik funktional integrierte biohybride Roboter ermöglichen? PNAS. 2022. Doi: externe Seite 10.1073/pnas.2200741119
3 Filippi M, et al. Microfluidic Tissue Engineering and Bio-Actuation. Adv Mat. 2022. Doi: externe Seite 10.1002/adma.202108427.
4 Filippi M, et al. externe Seite Perfusable biohybrid designs for bioprinted skeletal muscle tissue, Adv Healthc Mater. 2023 Mar 13.
5 Filippi M, et al. externe Seite Nachhaltige Biofabrikation: From Bioprinting to AI-Driven Predictive Methods, Trends in Biotech, 2024. Doi: externe Seite 10.1016/j.tibtech.2024.07.002