Austausch mit Fernost
Seit gestern treffen sich 200 japanische und Schweizer Wissenschaftler an der ETH Zürich. Das Symposium ist die erste Veranstaltung im Vorfeld der 150-Jahr-Feiern zur Aufnahme der Diplomatischen Beziehungen im Jahr 2014.
Der ETH-Physikprofessor Manfred Sigrist kennt Japan als Forscher und Dozent sehr gut. Ein Gespräch über die japanische Liebe zum Detail, warum die Forschung dort weltweit führend ist, und den ersten Schweizer in Japan.
ETH-News: Forschende der Universität Kyoto und der ETH Zürich aus den Bereichen Physik, Materialwissenschaften, Nanoelektronik, Energie und Astrophysik treffen sich zum Austausch. Wo ist die Universität Kyoto führend?
Manfred Sigrist: Vor allem im medizinischen und naturwissenschaftlichen Bereich, wie etwa in der Physik. So kamen die beiden ersten Physik-Nobelpreisträger Hideki Yukawa und Shin’ichirō Tomonaga aus der Universität Kyoto. Auch mein Vorgesetzter am Yukawa Institut, Prof. Toshihide Maskawa erhielt 2008 den Nobelpreis in Physik.
Sie selbst waren von 1997 bis 2001 Professor an der Universität Kyoto. Arbeiten Sie noch heute mit der Hochschule zusammen?
In unserer Gruppe arbeiten wir sehr eng mit den japanischen Kollegen aus Kyoto, aber auch anderen Universitäten zusammen. Das reicht von gemeinsamen Publikationen bis hin zum Austausch von jungen Wissenschaftlern.
Wo sehen Sie die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Forschung und Lehre zwischen einer Schweizer und einer japanischen Hochschule?
Die Wissenschaftsförderung ist ähnlich wie in der Schweiz aufgebaut. Neben der individuellen Förderung analog zum SNF gibt es auch Netzwerke entsprechend den Nationalen Forschungsschwerpunkten. Die staatlichen Universitäten sind autonom und können wie die ETH Zürich neben der staatlichen Finanzierung auch Drittmittel aus der Industrie einwerben. Die Lehre an japanischen Universitäten findet immer noch zum grössten Teil in japanischer Sprache statt, da sich die Studenten im Englischen nicht so wohl fühlen. Aber mit der wachsenden Zahl von ausländischen Wissenschaftlern ändert sich dies allmählich.
Die ETH ist das Leading House für die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Japan. Welche Vorteile hat die Schweiz durch die Zusammenarbeit mit Japan?
Ich kann hier nur für meinen Fachbereich sprechen. In der materialorientierten Festkörperphysik ist Japan international führend. Seit den 1990er Jahren investiert der Staat gezielt in dieses Gebiet und das hat sich ausgezahlt. Wenn heutzutage Forschende Materialproben benötigen, dann bekommen sie oft die weltweit besten aus Japan. Dort zu forschen, heisst auch am Puls der neuesten Forschung zu sein, da viele neue Entwicklungen heute in Japan beginnen. Korea und China versuchen hier nachzuziehen.
Japan gibt rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung aus, die Schweiz rund 5,2 Prozent. Beide Länder haben wenig eigene Ressourcen und sind daher wirtschaftlich auf Innovationen angewiesen. Sitzen die Schweiz und Japan also im selben Boot?
Es heisst, die Mentalität der Japaner und Schweizer ähnelt sich. In beiden Ländern fällt die Freude an Innovation und Technik auf. In Japan gilt dies nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das tägliche Leben. Man liebt dort technische Gadgets. Meine Frau ist Japanerin; sobald wir ein neues elektronisches Gerät haben, kennt sie innerhalb kürzester Zeit alle Funktionen. Während ich zufrieden bin, wenn ich die Basisfunktionen kenne, möchte sie alles bis ins kleinste Detail wissen und testen.
Japan war 250 Jahre lang sehr abgeschottet. Wie hat sich das Land seitdem entwickelt?
Das Land hat sich seit der Öffnung um 1850 wirtschaftlich, technisch und wissenschaftlich fulminant entwickelt. Kulturell ist Japan aber nach wie vor traditionell ausgerichtet und versteht sich im Gegensatz zur Schweiz als monolithische Gesellschaft. Eine Folge davon ist der Versuch, die Ausländerquote gering zu halten. Dies könnte in Zukunft zum Problem werden, da die Demographie regelrecht kollabiert. Gemäss aktuellen Prognosen soll die Einwohnerzahl von derzeit 127 Millionen auf 85 Millionen im Jahr 2050 sinken.
Im Jahr 2012 hat ein einziger Schweizer Student an der Universität Kyoto studiert, an der ETH sind acht japanische Studierende eingeschrieben. Auf Departementsebene bestehen 198 individuelle Partnerschaften mit japanischen Hochschulen. Die Studierendenzahlen wären noch ausbaufähig.
Hier muss man sich die unterschiedlichen Ausbildungsstufen anschauen. Für Schweizer ist es eher schwierig, ein Doktorat in Japan zu absolvieren. Ein Schweizer Student, den ich beraten habe, ist anfangs mit seiner extrovertierten Art in Japan sehr angeeckt. Der Umgang mit Professoren ist dort auch viel hierarchischer als bei uns. Umgekehrt passt ein Schweizer Doktorat nicht in den japanischen Standard-Lebenslauf. Es wird bei Anstellungen eher geschätzt, wenn Forschende vollständig in Japan ausgebildet wurden, da eine ausländische Ausbildung schwieriger zu beurteilen ist. Hingegen wird es geschätzt, wenn junge Forschende als Postdoc nach der Ausbildung ins Ausland gehen, um Erfahrungen zu sammeln.
Was macht das Land aus wissenschaftlicher und kultureller Sicht reizvoll?
Tätigkeiten stilisieren und zur Perfektion entwickeln, ist Teil der japanischen Kultur. Die Liebe zum Detail zeigt sich beispielsweise in der Teezeremonie, die sehr akribisch durchgeführt wird. Diese Perfektion findet man auch in der Wissenschaft. Zum Beispiel bei Materialproben. Werden diese nicht gut präpariert, führt dies im Versuch zu Problemen. Ein japanischer Kollege, der auch am Symposium teilnimmt, produziert in einigen Materialklassen weltweit die besten Proben. Sein Vater war Bäcker für Süssigkeiten, die bei der Teezeremonie gereicht werden. Viele Leute sagen, diese Perfektion habe er vom Vater geerbt.
Das Symposium findet aus Anlass des 150jährigen Jubiläums der Diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Japan statt. Wie wird sich Japan weiterentwickeln?
Japan ist immer noch das dominierende Land im Fernen Osten, wenn es um Forschung und Innovation geht. Korea und China holen zwar auf, aber durch die japanische Mentalität zahlen sich Investitionen wahrscheinlich schneller aus. Dort lässt man sich auch weniger ablenken und geht unaufgeregt den einmal eingeschlagenen Weg. Eine Bemerkung zum Schluss: Der erste Schweizer, der historisch belegt um 1804 in Japan war, war Johann Casper Horner, ein Mathematiker und Physiker, der später an einem Zürcher Gymnasium lehrte. Wegen der damals vorherrschenden Isolationspolitik Japans, wurden er und seine Kollegen sehr abweisend empfangen. Seither hat sich dies sehr verbessert. Ich wurde als Physik-Postdoc vor 24 Jahren sehr herzlich aufgenommen.
Zur Person
Manfred Sigrist ist Professor am Institut für Theoretische Physik der ETH Zürich. Sein Forschungsinteresse gilt vor allem im Gebiet der Systeme stark korrelierter Elektronen mit dem Schwergewicht auf den metallischen und magnetischen Eigenschaften und der unkonventionellen Supraleitung.
Nach dem Studium der Physik an der ETH Zürich verbrachte er seine Postdoc-Zeit an der Universität von Tsukuba in Japan und am MIT in Cambridge in den USA sowie am PSI in Villigen. Im Jahre 1997 wurde er als Professor an das Yukawa Institut für Theoretische Physik der Kyoto Universität in Japan gerufen.
150 Jahre Japanisch-Schweizerische Beziehungen
Das Swiss-Kyoto Symposium findet am 21. und 22. November 2013 an der ETH Zürich und der Universität Zürich statt. Die Veranstaltung ist die erste von mehreren aus Anlass der externe Seite 150-jähringen diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und der Schweiz im kommenden Jahr.