Eine Enzym-Reaktion in Zeitlupe

Forschenden der ETH gelang es zum ersten Mal, das Zusammenspiel von Enzymen und ihren Cofaktoren in bisher unerreichter Auflösung zu analysieren. Damit liefern sie neue Einblicke in die Wirkungsweise eines der häufigsten Cofaktoren in der Natur.

Vergrösserte Ansicht: Zeitlupenaufnahme eines Rennpferds
Zeitlupenfotografie löste 1878 erstmals einzelne Bewegungen eines Pferdes auf. Ähnliches gelang Forschenden nun bei einer Nikotinamid-abhängigen Enzym-Reaktion. (Bild: Eadweard Muybridge, 1878)

Enzyme sind die Biokatalysatoren der Zelle. Sie beschleunigen chemische Reaktionen um ein Vielfaches und sind die Grundlage für alle Stoffwechselvorgänge im Körper. Ein prominentes Beispiel ist die Alkohol-Dehydrogenase, die dem Abbau von Blutalkohol dient.
Damit sie richtig funktionieren, benötigen viele Enzyme Hilfsmoleküle, sogenannte Cofaktoren. Zu den wichtigsten Enzym-Cofaktoren zählen dabei die Nikotinamid-Nukleotide, die sich von Niacin – besser bekannt als Vitamin B3 – ableiten. Neben der Alkohol-Dehydrogenase verwenden fast 20 Prozent aller Enzyme in der Biologie einen Nikotinamid-Cofaktor bei der Katalyse. ETH-Forschenden ist es nun gelungen, ein Enzym und seinen Nikotinamid-Cofaktor in einer bislang unerreichten Detailgenauigkeit zu studieren. Damit öffnen sich neue Wege in der Enzymforschung und Entwicklung von Medikamenten.

Anatomie einer enzymatischen Reaktion

Obwohl der Nikotinamid-Cofaktor schon vor mehr als hundert Jahren entdeckt wurde, sind viele Details seiner Wirkweise noch unklar. Einem Team um Tobias Erb am Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich gelang es nun zum ersten Mal, die Reaktion eines Nikotinamid-abhängigen Enzyms in Einzelschritten zu verfolgen. Dazu versetzten sie den Reaktionszyklus des Enzyms, der Crotonyl-CoA Carboxylase/Reduktase, künstlich in Zeitlupe.

«Gerade die Tatsache, dass Enzyme so unglaublich effizient darin sind, chemische Reaktionen zu beschleunigen, macht es schwer, die Vorgänge während der Katalyse im Detail zu verstehen», sagt Raoul Rosenthal, Doktorand am Institut für Mikrobiologie und Erstautor der Studie. Umso aufregender sei es, mit Hilfe ihres Ansatzes einzelne Vorgänge im Enzym beobachten zu können.

Zunächst bremste das Team von Erb durch Abkühlen die Reaktivität des Enzyms, um die Reaktion besser studieren zu können. Mittels hochauflösender Massenspektrometrie im Labor von ETH-Professorin Julia Vorholt erlangten die Forschenden erste Einblicke in den schrittweisen Verlauf der Reaktion. In Zusammenarbeit mit Marc-Olivier Ebert, Mitarbeiter im Labor für Organische Chemie, gelang es Erbs Team schliesslich, die verlangsamte Reaktion mit Kernresonanz-Spektroskopie in Echtzeit zu verfolgen. Dabei konnten sie einzelne Zwischenprodukte bei der Katalyse nachweisen und diese für weitergehende Studien aus dem Enzym isolieren. Die Ergebnisse dieser Experimente wurden soeben im Fachblatt Nature Chemical Biology veröffentlicht.

Vom Verständnis zur Anwendung

Nur für einige ausgewählte Modell-Enzyme ist bisher im Detail verstanden, wie sie ihre unglaubliche Leistung vollbringen und chemische Reaktionen mehr als tausendfach beschleunigen können. Für Nikotinamid-abhängige Enzyme wurde bereits vor fünfzig Jahren spekuliert, dass ihre Reaktionen in definierten Einzelschritten ablaufen könnten – diese alte Hypothese konnte aber aufgrund mangelnder Beweise bisher nicht belegt werden. «Unsere Experimente liefern zum ersten Mal konkrete Argumente für diese alten Ideen und lassen vermuten, dass viele Nikotinamid-Enzyme anders funktionieren, als bislang angenommen wurde», sagt Erb. Die Möglichkeit, Zwischenprodukte aus dem Enzym zu isolieren, eröffne ausserdem neue Wege in der Enzymforschung.

Mit Hilfe dieser isolierten Zwischenprodukte wird es künftig möglich, direkt in den Reaktionszyklus von Nikotinamid-abhängigen Enzymen einzugreifen, um diese studieren und manipulieren zu können. Dabei dienen die Zwischenprodukte als molekulare Sonden, die Forschenden helfen zu verstehen, wie das Wechselspiel von Enzymen und Cofaktoren hoch-effiziente Reaktionen ermöglicht. In abgewandelter Form könnten die Zwischenprodukte auch als Hemmstoffe eingesetzt werden, welche das jeweilige Enzym spezifisch inhibieren. Auf diese Weise könnten neue Medikamente entstehen, wie beispielsweise zur Bekämpfung von Fettleibigkeit, oder Antibiotika gegen multi-resistente Bakterien.

Literaturhinweis

Rosenthal RG, Ebert MO, Kiefer P, Peter DM, Vorholt JA, Erb TJ: Direct evidence for a covalent ene adduct intermediate in NAD(P)H-dependent enzymes, Nature Chemical Biology. Online publication November 17, 2013. doi: externe Seite 10.1038/nchembio.1385

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