«Sinkende Biodiversität» heisst «schwindendes Naturkapital»
Weltweit sterben Tier- und Pflanzenarten aus. Die sinkende Biodiversität bedroht unsere Wirtschaft, die zu einem grossen Teil auf Produkten und Leistungen der Natur aufbaut. Unternehmen sollten sich dessen bewusst werden. Doch dazu braucht es die richtige Sprache.
Um die Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten steht es nicht gut: Der so genannte Verlust an Biodiversität sorgt seit einigen Jahren regelmässig für Schlagzeilen. Während Forscher immer neue Hiobsbotschaften vom Aussterben diverser Tier- und Pflanzenarten verkünden, versuchen Bund und Kantone unter erheblichen Anstrengungen – zum Beispiel mit der Biodiversitätsstrategie Schweiz – dem Trend entgegenzuwirken. Einzig in der Wirtschaft scheint die Problematik praktisch inexistent. Das liegt daran, dass der Zusammenhang zwischen der Artenvielfalt und der Wirtschaft für viele Firmen alles andere als offensichtlich ist.
Naturkapital im «daily business»
Dabei ist dieser Zusammenhang enorm wichtig: Die Biodiversität ist nämlich die Grundlage aller natürlichen Ressourcen und damit ein essenzielles Kapital jeder Firma. Denn eine biodiverse und somit intakte Natur liefert uns etliche Güter wie Nahrungsmittel, Baumaterialien, Rohstoffe oder Energieträger. Der Unternehmer ist aber nicht nur im Lebensmittel- oder Rohstoffhandel, sondern auch in den meisten anderen Branchen auf das sogenannte Naturkapital angewiesen. So zum Beispiel in der chemisch-pharmazeutischen Industrie, wo unter anderem pflanzliche Moleküle die Grundlage für Medikamente bilden. Oder überall dort, wo etwa Wasser für die Produktion von Gütern verwendet wird.
Die richtige Sprache
Das Problem ist nur, dass sich der Biodiversitätsverlust in den Jahresbilanzen der Unternehmen bisher nicht bemerkbar macht. Das Vogelgezwitscher, die schöne Blumenwiese und der Wildbach fehlen zuerst dem menschlichen Gemüt. Umso mehr gilt es, bereits jetzt zu handeln – und dafür müssen alle mit anpacken: Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Genau deshalb müssen wir den unmittelbaren Wert der Biodiversität für die einzelnen Unternehmen in eine Sprache übersetzen, die sie auch verstehen – nämlich die Sprache der Ökonomie. Aus einem Fluss wird eine nachhaltige Energiequelle, aus einer Wiese eine Aufbereitungsanlage für Trinkwasser, und aus einem Wald ein Emissionszertifikat. Für solche «Übersetzungen» gibt es bereits einige Ansätze, wie etwa die Initiative externe Seite TEEB, welche die Ökonomie von Ökosystemen und Biodiversität untersucht, oder das externe Seite Handbuch zur unternehmerischen Bewertung von Ökosystemdienstleistungen.
Entziehen und ersetzen
Ein gutes Beispiel dafür, wie solche Ansätze gelebt werden können und was man als Unternehmen tun kann, liefert die deutsch-schweizerische Firma Reckhaus, die Insektenbekämpfungsmittel produziert. Da ihr Produkt Insekten tötet, die dann dem Ökosystem fehlen, erstellt das Unternehmen ökologische Ausgleichsflächen auf Flachdächern. Das bietet anderen Insekten einen Lebensraum und ersetzt damit, was der Natur entzogen wird.
Denn Insekten besitzen für uns Menschen einen echten Wert. Ein Grossteil unserer Kulturpflanzen ist nämlich auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Und letztlich machen Insekten einen essenziellen Anteil der weltweiten Biodiversität aus. Diese sorgt in ihrer Gesamtheit – der Vielfalt von Genen, Arten und Lebensräumen – für die nötige Stabilität unserer Biosphäre und stellt unser Naturkapital langfristig sicher.
Wer mit einem Unternehmer spricht, sollte also statt vom «Verlust der Biodiversität» besser von der «Verknappung der Naturkapitalien» sprechen. Denn je knapper ein Gut, desto höher der Preis. Und desto wichtiger, dass die Firmen den Wert der Biodiversität in Zukunft in ihre Unternehmensrechnung mit einbeziehen. Wenn schliesslich auch die Konsumentinnen und Konsumenten die Leistung der Natur wertschätzen und den entsprechenden Preis zu zahlen bereit sind, geht die Rechnung auf. Logisch, nicht?
Weiterführende Informationen
Mehr über die Ausgleichsflächen für Insekten finden Sie externe Seite hier
Über Öbu: Das externe Seite Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften vertritt knapp 400 Unternehmen, die 500‘000 Arbeitsplätze in der Schweiz stellen. Es unterstützt nachhaltiges Unternehmertum praxisnah, fördert den Erfahrungsaustausch zwischen den Mitgliedern und setzt sich auf politischer Ebene für verbesserte Rahmenbedingungen ein.
Kommentare
Die aktuellen Entwicklungen in Politik und Wirtschaft deuten darauf hin, dass das Thema Biodiversität in den nächsten Jahren verstärkt von Unternehmen aufgenommen werden wird. Vor diesem Hintergrund hat der Markt für "biodiversitätsfreundliche" Produkte und Dienstleistungen ein grosses Potential, das bisher nur begrenzt genutzt wurde. Dabei ist im idealen Fall ein gegenseitiger Nutzen möglich – nachhaltige Gewinne für die Unternehmen und langfristiger Schutz für die Biodiversität. Interessante Beispiele für wachsende Märkte mit hohen Zuwachsraten sind die Holzwirtschaft (FSC-Produkte), Ökotourismus, ökologische Landwirtschaft, Heilpflanzen oder der Finanz- und Bausektor, der mit nachhaltigen Immobilienkonzepten - Stichwort "Freilager Albisrieden" in Zürich - eine zunehmend nachhaltig interessierte Mieterschaft zu begeistern vermag. Die Vorteile dabei: Keine Leerstände, wenige Wechsel und Verbundenheit mit dem Objekt und dadurch weniger Kosten.
"Der so genannte Verlust an Biodiversität sorgt seit einigen Jahren regelmässig für Schlagzeilen" Ich würde gerne aus sachverständiger Quelle wissen, wie man Biodiversität "misst" und wie man einem eventuellen Verlust Ursachen zuweisen kann. Gibt es nicht auch neue Tier- und Pflanzenarten, die vor Tausend Jahren nicht existierten? Mammuts und Dinosaurier haben einmal den Planeten bevölkert, warum sind sie verschwunden? In mitteleuropäischen Regionen sind der Wolf, der Bär, der Luchs, Moskitos und giftige Schlangen praktisch verschwunden, warum? Welchen schädlichen Einfluss hat dieses Verschwinden real auf unser Leben?
Das Biodiversitäts-Monitoring Schweiz (http://www.biodiversitymonitoring.ch/de/home.html) überwacht die Artenvielfalt in der Schweiz. Für alle Tiergruppen, sowie für alle Pflanzen sind verschiedene Fachinstitutionen beauftragt, den aktuellen Stand der Arten wissenschaftlich zu erfassen. Die Roten Listen, welche den Gefährungsgrad der Tierarten angeben, werden in einem mehrjährigen Prozess nach den Kategorien und Kriterien der Weltnaturschutzorganisation IUCN erstellt (Beispiel Flora, siehe Artikel NZZ „Biodiversität in der Abwärtsspirale“: http://www.nzz.ch/wissen/wissenschaft/biodiversitaet-in-der-abwaertsspirale-1.18081164)call_made. Abgesehen davon gibt es aber auch Blaue Listen der erfolgreich erhaltenen oder geförderten Tier- und Pflanzenarten. Die Artenvielfalt unterliegt einem ständigen Wandel und hat im Verlauf der Jahrmillionen verschiedene Zunahmen und Abnahmen durchgemacht. Der Unterschied zum heutigen Rückgang der Biodiversität liegt vor allem im Tempo, mit welchem die Arten aussterben. Welche schädlichen Auswirkungen der Biodiversitätsverlust für den Menschen hat: Wie beschrieben, stützt sich auf die Biodiversität schliesslich das Funktionieren unserer Ökosysteme, unserer Umwelt. Und ohne diese Ressource gäbe es keine Lebensmittel, Baumaterialien, Textilien, Kultur etc. und also keine Lebensgrundlage für den Menschen.