Stalking: Wenn Belästigung zur Last wird
Stalking kann bei Betroffenen Angst und Depressionen auslösen oder zu sozialer Ausgrenzung führen. Die ETH Zürich gehört zu den wenigen Hochschulen in Europa, die sich präventiv mit diesem Phänomen beschäftigt.
Eigentlich fand Tanja ihren Mitstudenten Tom ganz nett – bis Freunde sie darauf ansprachen, dass auf seiner Facebook-Seite Fotos von ihrer Wohnung auftauchten. Sie hatte ihn in einem Seminar kennen gelernt. Tanja hatte sich ab und zu mit ihm über das Seminarthema unterhalten, aber darüber hinaus kannten sie sich nicht. Fast täglich kamen neue Fotos hinzu. Darauf sah man Tanja, wie sie, von aussen fotografiert, in der Küche stand oder wie sie aus dem Haus kam. Sie wusste nicht, wie und wann diese Fotos gemacht wurden. Immer mehr Leute sprachen sie darauf an. Sie schlief aus Angst einige Nächte bei Freundinnen und ging auch nicht mehr an die Universität, aus Panik, dort Tom über den Weg zu laufen. Doch was sollte sie tun?
Prävention an der Hochschule
Der geschilderte Fall ist real und geschah so an einer Hochschule in Deutschland. Passieren könnte er auch hier. Ein Fachmann für solche Fälle ist Jens Hoffmann. Der ausgebildete Psychologe betreut in Deutschland, der Schweiz und Österreich Hochschulen, Unternehmen und Kantone bei der Einführung eines Bedrohungsmanagements. Er hat in mehreren hundert Fällen von Drohungen, Stalking und Gewalt das Risiko eingeschätzt und die Opfer betreut. Als Experte steht er auch dem Stab Sicherheit, Gesundheit und Umwelt (SGU) der ETH Zürich zur Seite.
Was genau ist Stalking? «Ein wiederholtes Belästigen oder Verfolgen einer anderen Person, welches als bedrohlich wahrgenommen wird», sagt Jens Hoffmann. Der Begriff kommt aus dem Englischen und wird mit «anschleichen» oder «belauern» übersetzt. Diese Art von Belästigung kann überall dort vorkommen, wo viele Menschen zusammen arbeiten oder sich treffen. Auch eine Hochschule ist davor nicht gefeit. «Universitäten sind ein besonderer Platz, da sie sehr offen und frei zugänglich sind», sagt Hoffmann. Deshalb hat die ETH Zürich das Thema «Stalking» in ihr Risikomanagement aufgenommen. «Es gibt an der ETH nur sehr wenige Fälle, aber wir wollen vorsorgen und für die Problematik sensibilisieren», sagt SGU-Leiterin Katherine Timmel.
Aufklären und Unterstützen
Anders als in den angelsächsischen Ländern, ist das Thema «Stalking» in Europa weniger präsent. Auf die Betroffenen wirkt sich das Verfolgen oft dramatisch aus. Die Opfer fühlen sich in der Regel hilflos und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen. «Über diese Problematik wollen wir aufklären und Betroffene unterstützen», betont Katherine Timmel. Wenn die Opfer täglich mit Telefonaten, Briefen, Nachlaufen oder über Soziale Netzwerke belästigt werden, löst dies bei den Betroffenen Angst und Depression aus bis hin zu Panikattacken und Schlafstörungen. Oft ziehen sich die Menschen in so einer Situation aus der Öffentlichkeit zurück. Ihre Beziehungsfähigkeit leidet darunter – zu sehr ist ihr zwischenmenschliches Grundvertrauen gestört. Die Betroffenen reagieren oft aggressiv und greifen zu Tabletten und Alkohol. Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass die Traumafolgen von Opfern bei schwerem Stalking ähnlich hoch sind wie bei Überlebenden eines Flugzeugabsturzes.
Schon früh Hilfe holen
Aus seiner Erfahrung weiss Hoffmann, dass Stalking umso eher unterbunden werden kann, je früher sich die Betroffenen Hilfe holen. Physisch und psychisch bedingt sind die Opfer häufig krank und wenig motiviert. «Das ist der Grund, weshalb viele Unternehmen dieses Thema ernstnehmen und gezielt Hilfe anbieten», sagt Hoffmann. Gerade die Prävention an Hochschulen ist sehr erfolgreich, sagt er. Zum einen signalisiert eine Universität, dass sie sich des Themas und seiner Tragweite bewusst ist. Dadurch, dass sie eine Grenze zieht, schreckt sie potentielle Täter ab. So auch bei der Studentin Tanja. Durch das gezielte Eingreifen der Universität hörte der Täter mit der Belästigung auf und die Studentin konnte in Ruhe weiterstudieren.
Was tun bei Stalking?
Doch was sollten Betroffene tun, falls sie verfolgt werden? Die SGU bietet Betroffenen aktiv Hilfe an. Das Team für Bedrohungsmanagement gibt Verhaltenstipps und sucht mit den Betroffenen gemeinsam nach Lösungen. Zum Kernteam gehören unter anderem Angehörige des Stabes für Sicherheit, Gesundheit und Umwelt, der Personalabteilung, dem Rektorat und der Psychologischen Beratung der Hochschulen. Katherine Timmel rät, sich lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig zu melden. Doch nicht nur bei Stalking, sondern auch bei Drohungen gegen Personen, auffälligem Verhalten oder falls eine Person Gewaltphantasien äussert, bietet der Stab Hilfe an. «Oft sagt einem schon das Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmt», betont Katherine Timmel. Alle Anfragen werden vertraulich und schnell behandelt. Jens Hoffmann rät auch, nicht selbst gegen den Stalker vorzugehen, da dies oft weitere Taten nach sich zieht: «Dadurch fühlt sich der Täter oft abgewiesen und verstärkt seine Aktionen.» Betroffene sollten sich daher früh melden und die Belästigung mit einem «Stalking-Tagebuch», Briefen, E-Mails oder Fotos dokumentieren.
Hilfe bei Bedrohungen
Alarmzentrale (24 Stunden besetzt)
intern Tel.: 888
extern Tel.: 044 342 1188
SGU-Sekretariat (von 8 bis 17 Uhr )
Tel.: 044 632 30 30
Per E-Mail an:
Die SGU führt auch Seminare durch. Auskunft durch die SGU.
Weitere Informationen:
externe Seite Instituts Psychologie und Bedrohungsmanagement
Literatur:
International Handbook of Threat Assessment, Oxford University Press, 496 Seiten
Oxford University Press; Dezember 2013, ISBN 978-0199924554
Herausgegeben von Reid Meloy und Jens Hoffmann mit einem Beitrag von SGU-Leiterin Katherine Timmel