Klimafolgen für die Schweiz abschätzen
Wissenschaftler unter der Leitung der Universität Bern und unter Mitwirkung von Forschenden der ETH Zürich untersuchten die Folgen des Klimawandels in der Schweiz und veröffentlichte dazu heute den Bericht CH2014-Impacts. Der ETH-Klimawissenschaftler Erich Fischer lieferte für den Bericht wichtige Datengrundlagen. Im Interview erklärt er, wie schwierig es ist, Klimafolgen auf lokaler Ebene abzuschätzen und warum man dennoch verlässliche Aussagen machen kann.
ETH-News: Vor drei Jahren veröffentlichten Wissenschaftler unter der Leitung des Kompetenzzentrums C2SM des ETH-Bereichs die sogenannten CH2011-Klimaszenarien. Nun folgt der Bericht «CH2014-Impacts». Wie hängen die beiden Studien zusammen?
Erich Fischer: CH2011 bildet die Grundlage für CH2014-Impacts. Mit CH2011 versuchten wir basierend auf einer grossen Anzahl von Klimamodellen die klimatischen Änderungen in der Schweiz quantitativ zu beschreiben. Beim Bericht CH2014-Impacts haben nun zum ersten Mal Forschende aus verschiedenen Fachbereichen, von Glaziologen über Ökologen bis hin zu Wirtschaftswissenschaftlern, mit einer gemeinsamen Datengrundlage und gemeinsamen Zeithorizonten zusammengearbeitet, wobei sie von den gleichen drei CH2011-Emissionsszenarien ausgingen. Konkret gingen die Wissenschaftler den Fragen nach, was der Klimawandel für verschiedene Bereiche wie Landwirtschaft, Energieverbrauch, Biodiversität, Wald oder Gletscher in der Schweiz bedeutet.
Studien zu solchen Auswirkungen für die Schweiz gab es bereits vor diesem Bericht.
Es gab natürlich viele Vorgängerstudien über Auswirkungen von Temperatur- und Niederschlagsänderungen. Es ist nicht das Ziel des Berichts, revolutionäre Forschungsresultate zu präsentieren. CH2014-Impacts bietet aber erstmals einen quantitativen Überblick ausgewählter ökologischer und sozio-ökonomischer Auswirkungen in der Schweiz.
Berücksichtigten die betrachteten Szenarien auch eine mögliche Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Zukunft?
Genau. Eines der drei Szenarien geht davon aus, dass einschneidende klimapolitische Massnahmen getroffen werden und eine weltweite Reduktion der Emissionen gelingt. Dieses Szenario liegt nahe bei dem bekannten Zwei-Grad-Ziel. Dann haben wir noch ein mittleres und ein sehr hohes Emissionsszenario angeschaut. Im letzteren gehen wir davon aus, dass keine griffigen Massnahmen umgesetzt werden, wir nehmen ein starkes Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum an und damit einen hohen Verbrauch von fossilen Brennstoffen.
Förderte der Bericht grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Szenarien zutage?
Was mich persönlich sehr überraschte war, dass im Szenario mit einer starken Emissionsreduktion viele negative Auswirkungen für die Schweiz deutlich geringer ausfallen würden als in den hohen Emissionsszenarien. Insbesondere in der Landwirtschaft, bei den Abflussänderungen von Gewässern oder im Bereich der Biodiversität sind die negativen Auswirkungen viel schwächer als im mittleren und hohen Emissionsszenario. Das ist erstaunlich, weil auch das niedrige Emissionsszenario eine beträchtliche Erwärmung mit sich bringt. Der Bericht zeigt, dass die Auswirkungen in vielen Bereichen weniger als halb so stark wären als in den anderen beiden Szenarien. Das heisst, dass einschneidende Emissionsreduktionen auch in der Schweiz einen grossen Teil der Auswirkungen des Klimawandels verhindern könnten.
Was bedeutet das für die im Bericht untersuchten Bereiche konkret?
Für fast alle Bereiche kann man Tendenzen feststellen, das genaue Ausmass der Veränderung ist jedoch oft schwierig abzuschätzen. Die Folgen der Klimaänderung sind in den einzelnen Bereichen sehr unterschiedlich und auch nicht immer nur negativ. Beispielsweise können einige Bauern im Mittelland von einer moderaten Erwärmung profitieren. Sie könnten beispielsweise vermehrt Wein anbauen und dabei auf neue Weinsorten setzen. Die Landwirtschaft könnte in der ersten Hälfte des Jahrhunderts und in Szenarien mit geringen Temperatur- und Niederschlagsänderungen von positiven Folgen des Klimawandels profitieren. Falls der Klimawandel ungebremst fortschreitet dominieren aber auch in der Landwirtschaft die negativen Auswirkungen. Bei Gletschern bestätigt der Bericht bestehende Forschungsresultate: Bis Ende des Jahrhunderts werden rund 90 Prozent der Gletscher verschwinden, wenn keine griffigen klimapolitischen Massnahmen getroffen werden.
Und wie steht es um den Wald?
Der Wald ist ein komplexes System, und für Wissenschaftler ist es deshalb schwierig, quantitative Aussagen zu machen. Der Bericht zeigt aber, dass in tiefen Lagen und in heute schon sehr trockenen inneralpinen Tälern – wie etwa dem Saastal im Wallis – der Wald sehr sensibel reagiert und bereits eine geringe zusätzliche Erwärmung negative Folgen hätte. Anders sieht es bei genügend Niederschlag nahe der alpinen Baumgrenze aus. Hier nimmt bei moderater Erwärmung das Baumwachstum zu, mit positive Folgen sowohl für die Schutzwirkung des Waldes wie für die Holzproduktion und die Kohlenstoffspeicherung.
Der Klimawandel ist gut erforscht, warum braucht es den CH2014-Impacts-Bericht?
Global betrachtet verstehen wir die Gründe des Klimawandels tatsächlich heute schon gut, aber je kleinräumiger die Analyse wird, also auf regionaler oder sogar lokaler Ebene, desto grösser werden die Unsicherheiten. Aussagen zu den Auswirkungen des Klimawandels zu machen, ist noch schwieriger, weil die Auswirkungen von vielen verschiedenen Klimagrössen wie Temperatur, Niederschlag, Sonneneinstrahlung und Luftfeuchtigkeit abhängen. Hinzu kommt, dass wir Klimawissenschaftler normalerweise saisonale und grossräumige Mitteltemperaturen betrachten. Hier waren aber teilweise stündlich aufgelöste Werte gefragt.
Wie geht CH2014-Impacts mit diesen Schwierigkeiten um?
Wir haben die Schweiz in einzelne Regionen unterteilt und erstmals tägliche Temperatur- und Niederschlagsdaten verwendet. Für den aktuellen Bericht gingen wir am C2SM und die Wissenschaftler von Meteo Schweiz sogar noch einen Schritt weiter und stellten ausgewählte Stationsdaten und so genannte gerasterte Daten zur Verfügung, die beispielsweise Höhenabhängigkeiten berücksichtigen. Wir haben unser Augenmerk auf die Unsicherheiten gerichtet. Es ist enorm wichtig, dass wir diese kennen und genau festlegen, wo wir klare Aussagen machen können und wo nicht.
An wen richtet sich der Bericht CH2014-Impacts?
Er eignet sich als Grundlage für Experten in Bundesämtern, kantonalen und kommunalen Verwaltungen, Planungsbüros oder für Ingenieure, die sich mit den Folgen des Klimawandels befassen. Die Zusammenfassung des Berichts, sozusagen die Gesamtschau, soll aber auch Entscheidungsträgern, Parlamentariern von Bundes- bis auf Gemeindeebene und der interessierten Bevölkerung aufzeigen, dass der Klimawandel für die Schweiz konkrete Folgen hat. Wir haben das Material deshalb so aufbereitet, dass es auch für Laien verständlich ist.
Was ist Ihre Hauptbotschaft an die Entscheidungsträger?
Wir zeigen auf, wo Handlungsbedarf besteht und versuchen auch darzulegen, dass – wenn man es richtig anpackt – negative Effekte stark reduziert oder sogar positive entstehen können. Ein Beispiel dafür sind gezielte Anpassungsmassnahmen in der Landwirtschaft. Bei grossen Klimaänderungen sind die negativen Folgen jedoch sehr deutlich absehbar. Deshalb legt der Bericht nahe, dass Anpassungsmassnahmen und Klimaschutz Hand in Hand gehen müssen. Es ist klar, dass Anpassungen an den Klimawandel nicht ausreichen, um die negativen Folgen abzuwenden. Es führt kein Weg an einer Reduktion der Treibhausgasemissionen vorbei.
Wie geht es nun weiter?
Wir sehen CH2014-Impacts als ersten Schritt. Mit dem Bericht wollten wir die Leute aus den verschiedensten Fachbereichen an einen Tisch bringen und basierend auf gemeinsamen Grundlagen die möglichen Auswirkungen des Klimawandels quantifizieren. Sowohl die Initiativen der CH2011-Szenarien wie auch des Folgeberichts CH2014-Impacts sollen weitergeführt werden. Bei CH2011 geht es darum, dass wir noch andere Variablen als Temperatur und Niederschlag berücksichtigen möchten, wie etwa die Sonneneinstrahlung oder die Luftfeuchtigkeit, und wir wollen einen stärkeren Fokus auf Wetterextreme legen. Damit könnte man in einem Folgebericht von CH2014-Impacts beispielsweise Aussagen zu künftigen Hochwasserereignissen machen. Das gleiche gilt für die Landwirtschaft. Die vorwiegend negativen Effekte von möglichen Trockenperioden oder Dürren konnte man noch nicht genau benennen, weil hier noch Grundlagen fehlten. Ausserdem haben wir im Bericht CH2014-Impacts die Wechselwirkung zwischen den Systemen nur beschränkt betrachtet. Wir haben zwar untersucht, wie Gletscher und Gewässer zusammenhängen. Doch auch das Grundwasser, der Wald und die Biodiversität spielen zusammen. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, die ökonomischen Auswirkungen zu beziffern und die Kosten der Klimafolgen denjenigen von möglichen Massnahmen gegenüberzustellen.