Banknote über Grundlagenforschung

Heute haben die Kollaborationen, welche die Experimente Atlas und CMS am Large Hadron Collider (LHC) am Cern betreiben, neue Resultate zum Higgs-Boson veröffentlicht – kurz nachdem die Schweizerische Nationalbank die neue 200er Note in Umlauf gebracht hat. An beiden Projekten hat ETH-Professor Günther Dissertori massgeblich mitgearbeitet.

ETH-Professor Günther Dissertori hatte die einmalige Gelegenheit, an der Gestaltung einer Schweizer Banknote mitzuwirken. (Bild: ETH Zürich)
ETH-Professor Günther Dissertori hatte die einmalige Gelegenheit, an der Gestaltung einer Schweizer Banknote mitzuwirken. (Bild: ETH Zürich)

Das Cern hat soeben neue Resultate zum Higgs-Boson präsentiert. Fast gleichzeitig hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) die neue 200er-Note in Umlauf gebracht, an der Sie massgeblich mitgearbeitet haben. Was ist für Sie wichtiger?
Günther Dissertori: Die Mitwirkung an der Gestaltung einer Banknote ist für mich sicher ein sehr ungewöhnliches, einmaliges Projekt. Es ist eine grosse Ehre, dass ich mit der SNB zusammenarbeiten durfte. Und es entwickelte sich eine tolle Zusammenarbeit mit dem Grafikteam, das sich sehr für die auf der Note dargestellte Wissenschaft interessierte.

Wie reagierten Ihre Kollegen am Cern und an der ETH auf Ihr Engagement?
Sehr positiv. Als die Banknote erstmals im Cern gezeigt wurde, waren viele Kolleginnen und Kollegen freudig überrascht.

Wie kamen Sie zum Privileg, an der Gestaltung der Note mitwirken zu dürfen?
Die SNB hat für die neuen Noten die grossen Themen vorgegeben, unter anderem das Thema «Wissenschaft». Irgendwann kontaktierte mich die federführende Grafikerin Manuela Pfrunder mit dem Vorschlag, auf der neuen 200er Banknote eine Teilchenkollision und die Geschichte des Universums abzubilden. Bereits auf den ersten Entwürfen war die Hand mit den drei ausgestreckten Fingern zu sehen, die das Koordinatensystem abbilden. Das war das Erste, was ich von der Banknote wahrgenommen habe.

Was ist Ihr Beitrag?
Ich konnte die Vorstellungen des Grafikteams konkretisieren; etwa wie man eine Teilchenkollision oder einen Teilchendetektor am besten darstellt. Um die Entwicklung des Universums auf der Vorderseite der Note abzubilden, beteiligte ich mich an Diskussionen, wie man die wichtigsten Epochen oder Momente in der Geschichte des Universums zusammenfassen kann. Ich habe auch vorgeschlagen, welche Epochen und welche Zahlen auf dem Sicherheitsstreifen enthalten sein sollten.

Wie lange dauerte Ihr Engagement?
Das Projekt dauerte einige Jahre. Es war das vertraulichste Projekt, an dem ich je beteiligt war. Ich durfte nicht einmal meine engsten Mitarbeitenden einweihen. Selbst bei einem ersten Treffen mit dem Cern-Direktorat waren Vertreter der SNB mit von der Partie, um sich zu vergewissern, dass nichts nach aussen dringt.

Sie klingen sehr begeistert.
Das war wirklich eines der tollsten Projekte meiner Karriere, besonders im Sinn von «Outreach». Dass auf einer Banknote Grundlagenforschung so prominent gezeigt wird, verdeutlicht den Stellenwert der naturwissenschaftlichen Forschung in der Schweiz. Darüber dürfen wir an der ETH Zürich glücklich sein.

Vergrösserte Ansicht: Die Vorderseite der neuen 200er-Note. (Bilder: SNB)
Die Vorderseite der neuen 200er-Note. (Bilder: SNB)
Vergrösserte Ansicht: Die Rückseite zeigt unter anderem eine Teilchenkollision.
Die Rückseite zeigt unter anderem eine Teilchenkollision.

Muss nun aufgrund der neuen Ergebnisse zum Higgs-Teilchen die Note überarbeitet werden?
(Schmunzelt) Nein, wegen den neuen Ergebnissen muss die Note nicht umgestaltet werden. Es ist ja reiner Zufall, dass die Resultate und die Banknote zur gleichen Zeit herauskommen.

Was genau bedeuten die neuen Ergebnisse?
Im Frühsommer konnten wir eine Arbeit publizieren, in der wir eine direkte Kopplung von Higgs-Teilchen an das Top-Quark beschreiben. Am 28. August verkünden wir nun, dass wir auch eine direkte Kopplung an das Bottom-Quark beobachtet haben. Das sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer vollständigen Charakterisierung des Higgs-Teilchens. Die Messungen entsprechen nämlich genau den theoretischen Voraussagen des Standard-Modells der Teilchenphysik.

Was trugen die Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich zu diesen Resultaten bei?
Bei den Messungen am CMS-Detektor, bei den Datenanalysen sowie beim Ausarbeiten der Resultate war die ETH Zürich stark beteiligt. In erster Linie waren es Postdocs und Doktoranden der Gruppen von Rainer Wallny, Christoph Grab und mir. Diese drei ETH-Gruppen, zusammen mit jener von Assistenzprofessorin Lesya Shchutska, arbeiten wie ein einziges Team eng zusammen. Ein klares Zeichen für den Beitrag der ETH ist, dass ETH-Postdoc Luca Perrozzi am speziell hierfür anberaumten CERN-Seminar die Resultate der CMS-Kollaboration vorstellen darf. Bei den Datenanalysen pflegen wir eine gute Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen des PSI und der Universität Zürich.

Beispiel einer aufgezeichneten Proton-Proton-Kollision, welche konsistent ist mit der Hypothese, das ein Higgs-Boson produziert wurde, zusammen mit einem Z-Boson. Das Higgs-Boson ist anschliessend in ein b-Quark und dessen Antiteilchen zerfallen.
Beispiel einer aufgezeichneten Proton-Proton-Kollision, welche konsistent ist mit der Hypothese, das ein Higgs-Boson produziert wurde, zusammen mit einem Z-Boson. Das Higgs-Boson ist anschliessend in ein b-Quark und dessen Antiteilchen zerfallen.

Was hat den Ausschlag gegeben für dieses erfreuliche Resultat?
Gerade in den letzten zwei Jahren ist der Teilchenbeschleuniger LHC enorm gut gelaufen. Im letzten Jahr lagen die Kollisionsraten über der ursprünglichen Auslegung. Das generierte rasch einen grossen Datensatz. Auch die Detektoren funktionieren sehr gut, obwohl sie schon viele Jahre in Betrieb sind. Das ist nicht selbstverständlich. Dadurch konnten auch die Analysen schnell vorangetrieben werden. Schlüssel zum Erfolg waren letztlich moderne Datenanalysemethoden, wie maschinelles Lernen oder Deep Learning-Algorithmen. Diese Verfahren führten dazu, dass man mit demselben Datensatz statistisch signifikantere Resultate erhielt als mit bisherigen Methoden. Geholfen hat auch eine aktive gesunde Konkurrenz zwischen den Atlas- und dem CMS-Experiment und nicht zuletzt die Bravour der jungen Leute, welche die komplexen Analysen durchführten.

Wie geht es weiter?
Die Experimente am LHC laufen bis Ende 2018 weiter, dann folgt eine zweijährige Pause, in der wichtige Aktualisierungen und Instandhaltungen am Beschleuniger und an den Detektoren gemacht werden. Danach soll er von 2021 bis 2023 wieder laufen, ehe von 2024 bis 2026 die nächste grosse Abschaltung geplant ist. In der Zeit sollen Beschleuniger und die Experimente Atlas und CMS massiv ausgebaut werden, damit wir mit viel höheren Strahlintensitäten arbeiten können.

Was versprechen Sie sich vom Ausbau?
Der Beschleuniger soll weitere ca. zehn Jahre bei viel höheren Intensitäten laufen. Die Idee ist, die Datenmenge um den Faktor zehn zu vergrössern. Das ermöglicht es uns, weitere wichtige Aspekte des Higgs-Teilchens zu untersuchen, die man mit der derzeitigen Leistung nicht untersuchen kann. Und wir werden nach neuen Phänomenen suchen. Wir sind noch lange nicht am Ende. Wichtig ist zudem, dass der LHC und seine Experimente eine derart kolossale und geniale Infrastruktur ist, die weltweit einzigartig ist. Wir sind verpflichtet, diese Infrastruktur bis zum letzten auszureizen und mit diesem Instrument alles, was gemessen werden kann, auch gemessen wird. Vielleicht finden wir auch neue Physik.

Was ist die «neue Physik»?
Neue Physik heisst z.B. neue fundamentale Elementarteilchen, die man in der Natur noch nicht gesehen hat, die man aber künstlich produzieren kann. Vielleicht finden wir neue Teilchen, die etwas mit der Dunklen Materie im Universum zu tun haben könnten. Zudem sagen gewisse Theorien voraus, dass es zusätzliche räumliche Dimensionen geben könnte und dass diese in Teilchenkollisionen messbare Effekte erzeugen. Letztlich geht es darum, wie unsere Welt im kleinsten aufgebaut ist. Wenn wir das verstehen, dann verstehen wir auch besser, wie unser Universum sehr kurz nach dem Urknall ausgesehen hat; und je besser man dies versteht, desto besser versteht man auch, weshalb sich das Universum so entwickelt hat.

Zur Person

Günther Dissertori ist seit 2001 Professor am Institut für Teilchenphysik und Astrophysik an der ETH Zürich. In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt seiner Forschungsgruppe auf dem Bau, der Inbetriebnahme, dem Betrieb und der Datenanalyse des externe SeiteCMS-Experiments am Cern. Von 2016 bis 2018 war er Deputy Spokesperson des CMS-Experiments.

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