Lernprozess in Sachen Leadership
Was bedeutet es, dass der erste zu entlassende Professor seit 164 Jahren eine Frau ist? Janet Hering, Direktorin der Eawag, zeigt Wege zur Stärkung der ETH-Führungskultur auf.
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1985 ernannte die ETH Zürich ihre erste Professorin – 130 Jahre nach der Gründung der Hochschule. Ende 2017 belief sich der Anteil von Frauen in der Professorenschaft auf 14 Prozent. Vielleicht ist es nur ein Zufall, dass das erste formelle Verfahren zur Entlassung eines Mitglieds der Professorenschaft eine Frau betrifft. Aber vielleicht sagt uns dieser Fall etwas über die Herausforderungen, mit denen weibliche Hochschulangehörige als isolierte Minderheit an der ETH Zürich konfrontiert sind.
Wenn ich im Folgenden diese Herausforderungen benenne, kommt das nicht der Behauptung gleich, es läge geschlechtsspezifische Diskriminierung vor. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, die Gender-Dimension des Falles sowie Themen anzusprechen, die sich für Menschen in Minderheiten ergeben.
Ich möchte drei Aspekte hervorheben, die weibliche Hochschulangehörige besonders betreffen: Dual-Career-Programme, unbewusste Vorurteile und defizitäre Führungsstrukturen. Ich wähle diese Aspekte, weil die Schulleitung der ETH Zürich diese Themen nun konkret angehen wird.
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Doppelkarrieren besser betreuen
Ich beginne mit den Doppel-Karrieren, weil das ein Schwerpunkt in der umfangreichen und fast gänzlich negativen Berichterstattung über diesen Fall war, der nun die ETH Zürich zu aussergewöhnlichen Massnahmen veranlasst hat. So wurde behauptet, dass die Anstellung der betroffenen Professorin im Rahmen eines Dual-Career-Programmes nicht auf persönlicher Qualifikation beruhte, was ihre exzellenten wissenschaftlichen Leistungen jedoch widerlegen. Dual-Career-Programme bieten Universitäten wichtige Hebel für die Rekrutierung, führen jedoch zu Herausforderungen in Sachen Governance. Die Leitung der ETH Zürich hatte im vorliegenden Fall eine Dual-Career-Einstellung beschlossen. Damit stand sie auch in der Verantwortung, Führungsfragen und Interessenkonflikte angemessen zu handhaben.
Dual-Career-Anstellungen werden in Zukunft sehr wahrscheinlich noch häufiger. Denn die Wissenschaftler, welche die ETH Zürich gewinnen möchte, haben meistens Alternativangebote und sind immer weniger bereit, die beruflichen Ambitionen ihres Partners zu opfern. Andere führende Universitäten haben Wege gefunden, mit Dual-Career-Anstellungen geschickt umzugehen und davon zu profitieren. Die ETH Zürich muss nun eine angemessene Handhabe finden und gleichzeitig sicherstellen, dass bereits angestellte Dual-Career-Paare nicht aufgrund früher ausgehandelter Bedingungen unfair behandelt werden.
Unbewusste Vorurteile minimieren
Geschlechterstereotype und unbewusste Vorurteile bewirken, dass Wissenschaftler auf allen Ebenen männliche und weibliche Lehrende anders behandeln. Frauen wie Männer sind von unbewussten Vorurteilen gleichermassen betroffen.1,2 Sowohl Studentinnen als auch Studenten «nehmen ihre männlichen Professoren als ‘brillant, toll und kompetent‛ wahr, wohingegen derselbe Lehrstil bei einer Frau als ‘herrisch und unangenehm‛»3 empfunden wird. Auch wenn sich solche Voreingenommenheit nicht völlig ausräumen lässt, ist es doch möglich, diese durch (online verfügbare) Übungen bewusst zu machen und abzuschwächen. Ein dahingehendes Training sollte eine Grundvoraussetzung für Führungspositionen an unserer Hochschule sein.
Die ETH Zürich ist eine der internationalsten Universitäten der Welt. Die Professorinnen, Studierenden, Doktorierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter stammen aus über 120 verschiedenen Ländern und bringen ihre kulturellen Prägungen und Erwartungen mit. Diese Vielfalt ist für die ETH eine enorme Bereicherung, sie kann jedoch auch zu Konflikten führen, insbesondere wenn kulturbedingte Annahmen nicht ausgesprochen werden. Wirksame Methoden, um mit solchen Annahmen und Erwartungen umzugehen, sollten in die geplanten Einführungs- und Leadership-Programme einfliessen.
Führungsstrukturen verbessern
In allen Organisationen befördern informelle Netzwerke den Austausch von Informationen und helfen bei der beruflichen Weiterentwicklung sowie bei der Bewältigung von Konflikten. Da Frauen und andere Minderheiten tendenziell von informellen Netzwerken ausgeschlossen sind, sind sie stärker auf formale Prozesse, Verfahren und Informationskanäle angewiesen. Alle Hochschulangehörigen verdienen Transparenz und Fairness bei der Vergabe von finanziellen Mitteln sowie die Chance, in Kommissionen mitzuwirken und Führungsaufgaben zu übernehmen.4 Alle Professorinnen und Professoren sollten zudem auf die Unterstützung ihrer Kollegen zählen können, um Konflikte frühzeitig zu lösen. Dies ist nur möglich, wenn konstruktive Kritik, ehrliches Feedback und gemeinsame Verantwortung fest in der Kultur einer Institution verankert sind.
«Nun ist es an der Zeit, dass die Hochschule ihre Strukturen und Prozesse reformiert und ihre Kultur für die volle Einbindung von Frauen anpasst.»Janet Hering
Konflikte lassen sich zwar nicht völlig vermeiden, man kann jedoch sicherstellen, dass alle Parteien fair behandelt, ihre berechtigten Anliegen aufgenommen und ihr persönliches und berufliches Wohlergehen gewahrt werden. Die ETH sollte die grundlegenden Prinzipien der Good Governance in die Reglemente aller Departemente aufnehmen und sicherstellen, dass ihre Angebote zur Konfliktlösung (z. B. Ombuds- und Vertrauenspersonen) internationalen Standards entsprechen.5
Die ETH Zürich hat eine lange Tradition in Forschung und Lehre im Dienst der Gesellschaft. Nun ist es an der Zeit, dass die Hochschule ihre Strukturen und Prozesse reformiert und ihre Kultur für die volle Einbindung von Frauen anpasst.6 Dass entsprechende Massnahmen nun implementiert werden, wie ETH-Präsident Joël Mesot kürzlich darlegte, ist äusserst positiv zu bewerten. Dies wird nicht nur den Frauen und anderen Minderheiten helfen, sondern allen Angehörigen der ETH Zürich zugutekommen.
Weiterführende Informationen
1 Bohnet, I. (2016) What Works: Gender Equality by Design, Cambridge, MA: Harvard University Press, 385 pp.
2 Catalyst, externe Seite Unconscious Bias, accessed March 17, 2019.
3 The Century Foundation, externe Seite How Student Evaluations Are Skewed against Women and Minority Professors, accessed March 17, 2019.
4 American Physical Society, externe Seite Effective Practices for Faculty Recruitment and Retention, accessed March 17, 2019.
5 International Ombudsman Association, externe Seite IOA Standards of Practice & Code of Ethics, accessed March 18, 2019.
6 Hering, J.G. (2018) “Women as Leaders in Academic Institutions: Personal Experience and Narrative Literature Review”, Pure & Applied Chemistry, externe Seite https://doi.org/10.1515/pac-2018-0603
Kommentare
Es sind zusätzliche Kommentare in der englischen Fassung dieses Beitrags verfügbar. Alle Kommentare anzeigen
Männliche Professorinnen und Professoren, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, sind möglicherweise interessiert zu lesen "How some men are challenging gender inequity in the lab" (https://www.nature.com/articles/d41586-019-00683-z)
Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind alle sehr gut. Auch einer sehr guten Organisation wie der ETH passieren Fehler, wie das defizitäre Verfahren zur Untersuchung der Vorwürfe gegen M Carollo. Wichtig ist, dass die ETH sich korrigiert, der ETH-Rat auf Basis dieses „Verfahrens“ keinesfalls entlässt und der Fall sauber und gerecht auf Basis von Fakten, nicht Meinungen aufgeklärt wird.
Wir weisen in diesem Zusammenhang auf die kürzlich publizierte Stellungnahme zu laufenden Berichterstattungen hin: https://www.ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2019/03/stellungnahme.html
Jetzt schreiben die Medien nur böse über die ETH zur diese Sache. Es ist eher eine Schwache das jetzt auf die geschlechtsspezifische Diskriminierung zu schieben, vor allem weil beide ursprüngliche Parteien ja Weiblich waren und man deshalb überhaupt kein Partei ergriffen konnte basiert auf Geschlecht. Die Stellung dass es nicht so wäre wenn der Professor ein Mann wäre ist nur voreingenommen und ganz klar unwissenschaftlich. Dies zeigt eher eine Schwache der Presse, die nur sensations-geil gerne alles aufbauscht! In meinen Umfeld an der ETH habe ich nie etwas von Geschlechtsdiskriminierung gemerkt, oder Diskriminierung generell, und deshalb ist die Notwendigkeit der Stelle für Chancengleichheit für mich eher fraglich. Und so sollte es auch sein und bleiben. Ich bin froh und stolz erzählen zu können dass ich an der ETH arbeite, und die Medien werden das nicht ändern! Hut ab für die ETH Präsident wie er sich entschuldigt hat, obwohl er gar nicht dabei war wenn das Übel geschehen ist.
Leider unterliegen sowohl Frauen als auch Männer unbewussten Vorurteilen ("unconscious bias"). Siehe "Beurteilung von Führungskräften wird von Stereotypen bestimmt – und von Emotionen" (https://www.tum.de/studium/studinews/ausgabe-032015/show-032015/article/31438/)
Guten Tag Herr Pierick Es gibt zu bedenken, dass andere Professoren, die mit Kritik konfrontiert wurden (siehe Fälle zu sexueller Belästigung) männlich waren und NICHT entlassen wurden.
Der erste Satz „Was bedeutet es, dass der erste zu entlassende Professor seit 164 Jahren eine Frau ist?“ suggeriert, dass dies festgestellt ist und schon entschieden ist. Ist dies denn so? Soweit ich verstanden habe ist der Prozess noch im Gange.
Sie haben Recht. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die ETH Zürich hat die Entlassung beantragt, aber der ETH-Rat muss den Antrag noch bestätigen.