Stufen zum Erfolg legen
Was zeichnet die ETH-Ausbildung aus und wo könnte sie noch besser werden? Rektorin Sarah Springman im Gespräch mit den Alumni Lorenz Meier und Kevin Sartori, Gründer einer Firma für Drohnensoftware.
Sind Sie eigentlich dank oder trotz des ETH-Studiums Firmengründer geworden?
Lorenz Meier: Ich hatte meine erste Firma mit 18 – von daher ist die Frage schwer zu beantworten. Aber ich würde sagen: Sicher nicht trotz der ETH-Erfahrungen.
Kevin Sartori: Auch ich habe bereits während des Gymnasiums an Unternehmensgründung gedacht, allerdings keine Firma gegründet. Das ETH-Studium war ein guter Schritt auf diesem Weg.
Welche Kompetenzen brauchen ETH-Abgänger heute, um auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein?
Sarah Springman: Sie müssen zunächst wirklich fundiertes Wissen in einem Bereich haben, die mathematischen und die naturwissenschaftlichen Grundlagen in ihrem Fach, beispielsweise Robotik, wirklich beherrschen. Ohne dieses Merkmal der ETH-Ausbildung ist man nicht der ETH-Abgänger oder die ETH-Abgängerin, die wir uns vorstellen. Heute werden zudem verstärkt überfachliche Kompetenzen nachgefragt. Unsere Studierenden lernen das in Projekten, durch Praktika und Ähnliches. Aber es wird bei uns bisher weniger formell vermittelt, sondern man nimmt es eher nebenbei mit. Das wollen wir ändern.
Welches sind die Qualitäten, die Sie als Arbeitgeber bei ETH-Alumni besonders schätzen?
Meier: ETH-Absolventen und -Absolventinnen sind fachlich hervorragend. Sie haben ein hohes Qualitätsbewusstsein und man kann sich auf sie verlassen. Wenn sie direkt nach dem Abschluss kommen, fehlt aber oft die praktische Berufserfahrung. Dann müssen wir noch viel investieren, bis sie im beruflichen Umfeld zurechtkommen.
Sartori: Die Fähigkeit, die ich bei Leuten mit Berufserfahrung besonders schätze, ist die «self-awareness», das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen und eine Offenheit, entsprechend dazuzulernen, um weiterzukommen.
Wie wollen Sie solche «soft skills» konkret fördern und sichtbar machen?
Springman: Wir beginnen gerade ein Talent-Projekt, mit dem Ziel, dass die Studierenden nicht nur ein Zeugnis über ihre akademische Leistung erhalten, sondern auch einen Nachweis über Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und personale Kompetenzen. Dazu zählen Dinge wie analytische Fähigkeiten, Problemlösungsverhalten, aber auch gesellschaftliches Engagement, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit Selbstreflektion – alles Dinge, die man eigentlich ständig macht, über die man aber nicht nachdenkt. Damit können wir Mehrwert schaffen.
Meier: Ich finde das sehr gut. Das sind genau die Dinge, die uns in einem Jobinterview interessieren.
Und wie können diese Kompetenzen erfasst werden?
Springman: Wir stehen mit unseren Überlegungen noch am Anfang. Zunächst haben wir ein Raster der verschiedenen Kompetenzen erstellt – auch mit Hilfe von Interviews bei Industriepartnern und akademischen Partnern. Nun wollen wir ein Softwaretool entwickeln, das den Studierenden hilft, entsprechende Erfahrungen und Feedbacks aus Projekten zu speichern. Wir haben beispielsweie das beste studentische Team in der Formula Student Electric (AMZ), Weltrekordhalter mit einem super Teamgeist. So etwas sollte man dokumentieren, als Basis für zukünftige Jobinterviews.
Was hat Ihnen von den Dingen, die Sie an der ETH gelernt haben, am meisten gebracht?
Sartori: Ich habe eine technische Ausbildung an der ETH und einen MBA in Berkeley absolviert. Was mir die ETH mitgegeben hat, ist vor allem methodisches und analytisches Vorgehen. Diese Art zu denken und zu analysieren hilft im Job genauso wie im täglichen Leben.
Meier: Die Industrie verändert sich schnell. Dennoch haben viele der Vorlesungen, die ich im Informatikstudium hatte, bis heute Gültigkeit.
Und wo besteht noch Handlungsbedarf?
Meier: Genau hier. Wenn man als Tutor im Fach «Einführung in die Informatik 1» von Maschinenbaustudierenden im dritten Semester hört: «Ich studiere doch Maschinenbau – wieso soll ich das lernen?», dann wundert man sich doch. Denn vermutlich werden 90 Prozent von ihnen irgendwann mal eine Software schreiben. In der Industrie ist heute praktisch alles software-defined.
Springman: Deshalb läuft gerade ein grosses Digitalisierungsprojekt quer durch die ETH, mit dem wir die Informatik viel besser in den Studiengängen verankern werden. Heute müssen auch Biostudierende die Möglichkeit haben, sich in Bioinformatik kompetent zu machen oder Machine Learning anzuwenden.
Gibt es etwas, das Sie an der ETH vermisst haben?
Meier: Ich fände es gut, wenn es in allen Departementen noch mehr Freiräume für unternehmerische Aktivitäten gäbe und diese auch entsprechend mit Credits gewürdigt würden, wie bei den Fokusprojekten im Departement Maschinenbau. Ich habe die Drohnensoftware Pixhawk mit anderen parallel zum Masterstudium entwickelt. Es war möglich, aber es war auch eine extreme Doppelbelastung, und ich stand manchmal kurz vor dem Scheitern.
Wie haben Sie Ihre unternehmerische Ader trotzdem umgesetzt?
Meier: Ich wollte einfach einen fliegenden Roboter bauen. Und bin erstmal mit vielen Problemen konfrontiert worden, weil das Studiensystem in meinem Departement so ein Projekt gar nicht vorgesehen hatte. Ich habe mich dann irgendwie durchgewurstelt. Als ich feststellte, dass ich es allein nicht schaffen würde, waren Semester-, Bachelor- und Masterarbeiten die Lösung. Schliesslich habe ich ein Team von Studenten geführt, die zwei Jahre älter waren als ich. Ich hatte Glück, dass mein Professor bereit war, alles mitzumachen.
Sartori: Eine meiner besten Erfahrungen während des Studiums war das Fokusprojekt in Maschinenbau. Ich habe dort mit fünf anderen Studenten das Formula Student Team gestartet. Es gab viele Credits, aber man musste auch wahnsinnig viel arbeiten. Einige haben ein Semester drangehängt – ich auch. Dennoch hat es mir viel gebracht. Die Arbeitgeber haben diese praktische Erfahrung immer honoriert. Als Arbeitgeber suche ich heute bei den Kandidaten auch nach solchen Erfahrungen.
Springman: Einige Departemente sind in Bezug auf solche Projekte fortgeschrittener als andere. Wir haben jetzt im Rahmen einer ETH+-Runde einen Vorschlag von Studierenden erhalten, mehr solcher multidisziplinären Projekte auf Bachelorstufe umzusetzen. Vielleicht können wir bald ein Pilotprojekt mit zwei, drei Departementen starten. Vor einigen Jahren haben wir die «ETH-Woche» entwickelt, in der wir quer durch die Departemente circa 200 Studierende ein Problem von globaler Wichtigkeit bearbeiten lassen. Und bald starten wir mit einem «ETH-Monat» in Singapur eine etwas längere Version der ETH-Woche, für die die Studierenden ebenfalls Credits erhalten.
Es gibt an der ETH spezielle Massnahmen, um das Unternehmertum zu fördern – von welcher haben Sie besonders profitiert?
Meier: Ich durfte als gutes ETH-Kind praktisch von allen Programmen profitieren (ESOP, Pioneer Fellowship etc.). Das Pioneer Fellowship ist sehr gut positioniert und nimmt technische Naturen sehr gut mit auf den Weg in die Industrie und die Start-up-Karriere. Dennoch sollte die ETH in ihrer Spin-off-Politik noch etwas umdenken. Es ist zwar schön, dass 95 Prozent der Spin-offs die ersten fünf Jahre überleben, es bedeutet aber auch, dass viele eher klein bleiben, also keine Googles und Facebooks werden. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wäre es aber wichtiger, dass einige wenige grosse Unternehmen entstehen, die das Potenzial zum Weltmarktführer haben. Das passiert hier zu wenig.
Wie könnte man das besser erreichen?
Sartori: Bei den amerikanischen Unis pusht man gezielt die Gewinner, die, von denen man denkt, sie könnten richtig gross werden. Man fördert nicht den Durchschnitt. Und man kreiert Role Models, die dann auch Studierende inspirieren können.
Wie erleben Sie die Beziehung zur ETH als Alumni?
Meier: Ich finde diese Beziehung wichtig und halte oft Vorträge vor Studierenden. Die Verbindung zwischen Alumni und ETH könnte aber noch enger sein. ETH-Alumni sind in Top-Entscheidungspositionen, auch international, und wenn dort eine grössere Verantwortung gegenüber der Alma Mater und gegenüber Absolventen spürbar wäre, würde ein viel stärkerer Netzwerk-Effekt erzeugt, als es heute der Fall ist.
Sartori: Ich war im ETH Alumni Chapter im Silicon Valley dabei. Im Ausland war es einfach, mit anderen Alumni Kontakt zu pflegen. In der Schweiz fühlt man sich nicht so verantwortlich untereinander. Das ist in Berkeley ganz anders. Man wird von Anfang an dazu erzogen, den anderen zu helfen. Dieser Support funktioniert von Student zu Student, aber auch von Seiten des Career Managements oder des Marketing-Teams. Ich bekomme heute noch viele Rückmeldungen, etwa über Social-Media-Kanäle, im Sinn von «Ich habe einen Kollegen, der auch in dem Bereich arbeiten möchte, vernetzt euch doch» oder «Was kann ich tun, um dir zu helfen?». Diese Kultur fehlt mir noch etwas an der ETH. Auch der Mechanismus des «give-back» ist sehr stark in Berkeley. Man beginnt, Donationen zu machen, noch bevor man Alumnus ist. Ich habe angefangen, die ETH Zürich Foundation zu unterstützen, weil ich das in Berkeley erlebt habe.
Und was wünscht sich die ETH von ihren Alumni?
Springman: Ich wünsche unseren Absolventinnen und Absolventen Erfolg bei der Arbeit, aber auch Erfüllung in anderen Lebensbereichen. Auch «social innovation», das «Make the world a better place», gehört dazu. Das, was sie von der ETH mitnehmen, soll ihnen ein Fundament geben, auf das sie bauen können. Und natürlich hoffe ich, dass die Investition der Steuerzahler und der ETH in ihre Ausbildung einen Mehrwert schafft. Es ist wichtig, dass Alumni in der Gesellschaft zeigen, was die ETH leistet, und dass es sich lohnt, in die ETH zu investieren.
Globe - Die Zukunftsmacher
Die aktuelle Ausgabe des ETH-Magazins Globe steht ganz im Zeichen des Alumni-Jubiläums und widmet seinen Fokus den Leistungen und Ideen von Absolventinnen und Absolventen der ETH Zürich. Globe präsentiert unterschiedliche Persönlichkeiten, die alle auf ihre je eigene Art und Weise einen Beitrag zur Zukunft der Schweiz und der Welt leisten.