«Mein primäres Engagement galt den Studierenden»
Mit Markus Aebi tritt ein grosser Wissenschaftler ab. Der Mikrobiologe hat sich aber auch als Lehrer und Mentor weit über sein Fachgebiet hinaus einen Namen gemacht. Die Begeisterung für Forschung und Lehre spiegelt sich auch in seinem Engagement für die Hochschule wider – und in renommierten Preisen.
Er kann kaum aufhören zu schwärmen, wenn er auf seine Zeit an der ETH Zürich zurückblickt. Markus Aebi fühlt sich auch als frisch emeritierter Professor noch immer sehr mit der Hochschule verbunden: «Die ETH liefert einem ein unglaublich gutes Forschungsumfeld, das so viele Möglichkeiten bietet. Das ist fantastisch!»
Der Biologe hat bereits an der ETH Zürich studiert. Seine Diplom- und Doktorarbeit hat er am Institut für Mikrobiologie gemacht. Nach einem Abstecher an die Universität Zürich und ans California Institute of Technology kehrte er vor 27 Jahren als Professor an das Institut für Mikrobiologie zurück. «Eine solche Rückkehr ist selten in unserem Beruf. Mir bot sich eine einmalige Chance.»
Diese Chance hat Aebi gepackt. Er mauserte sich schnell zu einem der führendend Wissenschaftler weltweit im Gebiet der Verzuckerung oder Glykosylierung von Proteinen. Bei diesem biologischen Prozess werden Proteine nach ihrer Synthese mit Zuckermolekülen veredelt. Ohne diese Zusätze sind viele Proteine unfertig, denn erst durch den Zucker erhalten sie ihre Funktion.
«Auf diesen Prozess bin ich als junger Postdoktorand zufällig gestossen, und war fasziniert davon. Vor allem weil er so grundlegend ist.» Denn dieser Prozess ist evolutionsbiologisch sehr alt, so alt wie die DNA oder die Proteinsynthese selber. Und es brauchen ihn alle Lebewesen, Menschen genauso wie Bakterien.
«Zunächst haben wir untersucht, wie die Proteinglykosylierung bei Bakterien und Hefezellen abläuft.» Schliesslich haben Aebi und seine Forschungsgruppe bestimmte Hefemutantenstämme als Modell für menschliche Erbkrankheiten entdeckt, die mit einer gestörten Verzuckerung der Proteine zusammenhängen (engl.: Congenital Disorders of Glycosylation CDG).
Preisgekrönte Zusammenarbeit
Gemeinsam mit europäischen Spitzenforschern gelang es Aebi die molekulare Ursache solcher CDG-Krankheiten aufzuklären. Damit legten sie die Grundlage für einen der renommiertesten Wissenschaftspreise im deutschsprachigen Raum: 2004 gewann Markus Aebi gemeinsam mit seinen Kollegen den mit 750’000 Euro dotieren Körber-Preis. Die Preisverleihung in Hamburg war ein Höhepunkt in der Karriere des Schweizers. «Richard von Weizsäcker hielt einen Vortrag, das vergesse ich nicht mehr. Es war eindrücklich, ihn persönlich zu treffen.»
Im gleichen Jahr ging aus Aebis Forschungsgruppe das Spin-off GlycoVaxyn hervor. Das Wissen, das er und sein Team aus den Untersuchungen mit Bakterien gewinnen konnten, schlug sich in biotechnologischen Anwendungen nieder, namentlich in der Herstellung von Impfstoffen. Im Jahr 2015 wurde das von Mitarbeitenden gegründete Spin-off durch den Pharmagiganten Glaxo Smith and Kline für 190 Millionen Dollar gekauft. Heute sind einige Produkte in der klinischen Phase. Ein Grosserfolg – aber auch eine Herzensangelegenheit. «Wenn es möglich ist, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, dann muss man es machen. Bei der Grundlagenforschung ist die Kernfrage: Wie funktioniert etwas? Sobald wir die Antwort kennen, müssen wir das Wissen zur Verfügung stellen. Ich finde, dass wir Wissenschaftler dazu verpflichtet sind.» Dass die ETH den Wissenstransfer umfassend fördert, freut den Grundlagenforscher.
Sein Knowhow und der Einblick in die Impfstoffherstellung hat jüngst dazu geführt, dass Mitarbeitende von Aebi gemeinsam mit seiner Kollegin Emma Wetter Slack einen Corona-Impfstoff entwickeln. «Inhaltlich bin ich nur am Rand beteiligt. Ich überlasse das den jungen Forschenden. Ich stelle technische und räumliche Ressourcen zur Verfügung, am Ende der Karriere bietet sich diese Art der Unterstützung an.»
Auch wenn seine Karriere als aktiver Forscher zu Ende ist, seine Faszination für die Biologie besteht weiter. Auch, weil Biologie sich oft an der Schnittstelle zu anderen Fachrichtungen bewegt. «Viele biologische Probleme brauchen zur Lösung den Input von anderen Fachgebieten. Erst jetzt, am Ende meiner aktiven Karriere, habe ich beispielsweise Interaktionen mit dem Ingenieurwesen entdeckt. Mit den Methoden des Ingenieurs die biologischen Systeme analysieren - das ist sehr spannend.» Aebi war immer offen für neue Ansätze. Hat er irgendwo etwas aufgeschnappt, was für seine Forschung spannend sein könnte, hat er eine Zusammenarbeit gestartet. «Und schon entstand wieder etwas Neues. Das hat Spass gemacht.»
Ein Herz für Studierende
Während seiner Zeit als Professor an der ETH lag ihm die Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses besonders am Herzen. «Mein primäres Engagement galt den Studierenden und den Doktorierenden.» Am liebsten hat Aebi Vorlesungen im ersten Semester gegeben, weil sich der Professor gerne auf die jungen Leute einliess, von ihren grossen Erwartungen und Zielen hören wollte, aber auch von ihren Ängsten. Und es hat ihn stets daran erinnert, dass er in denselben Hörsälen schon auf der anderen Seite des Dozentenpults sass. «Ich war ein aufsässiger Student. Ich habe gemotzt, wenn die Vorlesungen nicht gut waren. Als ich dann als Professor zurückkehrte, bekam ich zu hören: ‹so, jetzt kannst du zeigen, wie man gute Vorlesungen macht›.»
Es war ein Lernprozess. Aber einer, der von Erfolg gekrönt war. Mit dem CS Teaching Award und dem ETH-Lehrpreis Goldene Eule bekam er von den Studierenden mehrfach Anerkennung für seine Lehre. «Es ist toll, wenn die Studierenden den Unterricht schätzen und finden, dass ich gute Arbeit leiste.»
Die Anerkennung ist gegenseitig: Aebi ist gleichermassen von den Studierenden begeistert. Er schwärmt vom Schweizerischen Bildungssystem, das hervorragende Maturanden hervorbringt. Und überhaupt von den jungen Menschen, Doktorierende und Postdocs aus aller Welt in seinem Labor. «Aus verschiedenen Kulturen kommen sie hierher, um zusammenzuarbeiten. Teil eines solchen Teams zu sein war eine grossartige Erfahrung.»
Über den Tellerrand
Seine Begeisterung für Lehre und Forschung spiegelt sich auch in seinem institutionellen Engagement nieder: Institutsvorsitz, Verantwortlicher für den Studiengang Biologie, Vorsteher des Departements Biologie, Direktor von Life Science Zurich, Mitglied der Forschungskommission oder Delegierter des Präsidenten für die Professorenwahlen stehen auf der langen Liste der Ehrenämter. «Die Chancen und Möglichkeiten, die einem an der ETH gegeben werden, sind hervorragend. Gerne habe ich dazu beigetragen, dass die Rahmenbedingungen erhalten bleiben. Man kann nicht erwarten, dass einem die ETH permanent etwas bietet, sondern man muss auch etwas liefern.» Das sei dann eben mehr als eine Vorlesung oder eine Publikation.
Eine neue Phase
Aebi wird sich über seine Emeritierung hinaus im Rahmen des Projekts rETHink zur Weiterentwicklung der ETH-Organisationsstruktur engagieren. In seinem Arbeitspaket geht es um die Ausgestaltung der Professuren. «Ich fühle mich sehr geehrt, dass meine Meinung gefragt ist.» Gleichzeitig betont er aber, wie wichtig neben langjähriger Erfahrung der frische Blick von jungen Kolleginnen und Kollegen sei.
Alle anderen Ämter hat er niedergelegt, sein Labor leert sich, die Hörsäle betreten andere Dozierende. Aebi tritt von der Bühne ab. «Die Wissenschaft interessiert mich natürlich noch immer, aber ich muss sie nicht mehr selber machen. Ich freue mich, wenn etwas Neues herauskommt, aber es muss nicht von mir sein. Und jetzt fühle ich mich noch jung genug, um andere Sachen anzupacken.»
Der Corona-Lockdown war sozusagen die Probezeit für die Pensionierung. Über Jahrzehnte ging der Familienvater und Professor morgens aus dem Haus zur Arbeit nach Zürich oder war für Tage an wissenschaftlichen Kongressen. «Ich wusste vorher ja gar nicht, wie das ist, immer daheim zu sein.» Die Probezeit ist bestanden. Seine Frau lässt sich nun auch pensionieren und schliesst die Türen ihrer Arztpraxis. «Wir freuen uns jetzt richtig darauf. Jetzt beginnt ein neuer Lebensabschnitt.»