Geologische Tiefenlager: Leitfaden für auszuhandelnde Abgeltungen
Die künftigen Standortregionen von geologischen Tiefenlagern für radioaktive Abfälle sollen dereinst abgegolten werden. Solche Zahlungen sind gesetzlich nicht geregelt und daher Verhandlungssache. Für diesen Prozess gibt es nun einen breit abgestützten Leitfaden, schreibt Michael Ambühl.
Wo sollen radioaktive Abfälle sicher entsorgt werden? Weltweit ist dieses Problem noch nicht gelöst. Auch wir in der Schweiz produzieren Abfälle, die sehr lange strahlen. Diese müssen laut Kernenergiegesetz grundsätzlich bei uns im Inland entsorgt werden, und zwar so, dass ein dauernder Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist.
Da geologische Tiefenlager nach jetzigem Wissenstand als sicherste Lösung für radioaktive Abfälle gelten, ist diese Art der Entsorgung gesetzlich vorgeschrieben. Für deren Kosten müssen zum grössten Teil die Betreiber von Kernanlagen aufkommen, aber auch der Bund, der zuständig für Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung ist.
Tiefenlager sind unbeliebt – man muss verhandeln
Radioaktive Abfälle wecken Ängste, weshalb es auch Widerstand in den möglichen Standortregionen solcher Tiefenlager gibt. Es handelt sich um ein Dilemma: Einerseits schreibt der Gesetzgeber Tiefenlager vor, andererseits will niemand diese auf dem eigenen Grund und Boden haben.
Die Standorte sollen ausschliesslich nach dem Aspekt der Sicherheit ausgewählt werden. Politisch und gesellschaftlich ist aber der Wille vorhanden, die Standortregionen für ihren Beitrag zu dieser wichtigen Aufgabe auch finanziell abzugelten. Aus verschiedenen Gründen gibt es dafür aber keine gesetzliche Grundlage – die Bezahlungen müssen also auf freiwilliger Basis erfolgen. Der Bundesrat setzt deshalb auf Verhandlungen zwischen den Kernkraftwerkbetreibern, den Standortkantonen und Standortregionen.
Um diese Verhandlungen zu ermöglichen und vorzubereiten hat das Bundesamt für Energie unseren Lehrstuhl für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement (NECOM) beauftragt, einen Rahmen für diesen zukünftigen Verhandlungsprozess zu erarbeiten.
Einfache Fragen können zu Problemen werden
Wir verstehen eine Verhandlung als einen freien Austausch zwischen zwei oder mehr Parteien, mit dem Ziel, eine gemeinsame Vereinbarung zu treffen. Es besteht keine rechtliche Verpflichtung zu verhandeln, und es existiert auch keine übergeordnete Instanz, welche bei Uneinigkeit entscheiden könnte. Mit Blick auf die Gesamtsituation ist es in solch einem Fall für alle Parteien besser, eine Lösung zu finden als bei den Verhandlungen zu scheitern.
Um den Rahmen für erfolgreiche Verhandlungen zu setzen, müssen die wichtigsten Fragen geklärt werden: Was ist der Verhandlungsgegenstand? Wer sind die Verhandlungsparteien? Wann soll mit den Verhandlungen begonnen und wie sollen diese organisiert werden? Wann ist eine Einigung erzielt? Diese Punkte mögen einfach daherkommen, stellten uns im vorliegenden Fall aber doch vor grosse Schwierigkeiten.
Verhandeln übers Verhandeln
Weil die zukünftigen Verhandlungen freiwillig sind, ist auch der nun vorliegende Verhandlungsrahmen nur dann etwas wert, wenn er von allen Parteien getragen und akzeptiert wird. Dies machte die Ausarbeitung des Verhandlungsrahmens selbst zu einer Verhandlung. Unsere Rolle bestand also nicht darin, losgelöst von den Befindlichkeiten der Parteien einen möglichst guten Vorschlag zu unterbreiten. Stattdessen mussten wir, gestützt auf die Verhandlungstheorie, Spielregeln erarbeiten, denen am Ende alle Parteien zustimmen.
Dieser Prozess entsprach dem, was wir «multilaterale Verhandlung» nennen – mit all ihren Herausforderungen und Schwierigkeiten. Es war wichtig, einen engen Kontakt zu allen Beteiligten während des gesamten Prozesses zu halten, aus einer neutralen Position heraus zu vermitteln und immer aktiv neue Ideen bereit zu haben. Oft kann eine gute neue Idee eine scheinbar verfahrene Situation wieder auflösen.
Ein Beispiel dafür ist die Rolle der deutschen Regionen am Verhandlungsprozess, deren Mitwirkung anfänglich umstritten war. Wir haben den Einbezug der deutschen Nachbargemeinden durch einen zusätzlichen Sitz in der Delegation der Schweizer Gemeinden vorgeschlagen. Dadurch wurde die Sitzzahl der Schweizer Gemeinden nicht reduziert. Ein Vorschlag, den schliesslich alle Beteiligten akzeptierten.
Den Weg ebenen
Am Ende ist es gelungen, einen Verhandlungsrahmen von allen beteiligten Parteien verabschieden zu lassen. Am 22. September haben 20 Personen ihre Unterschrift unter das Dokument gesetzt. Dadurch können die Verhandlungen zum gegeben Zeitpunkt gut aufgenommen werden. Zudem hat der Prozess eine Basis des Dialogs gelegt und Vertrauen zwischen den betroffenen Parteien geschaffen. Eine essentielle Voraussetzung für die Lösung solch einer Aufgabe von nationaler Bedeutung.
Michael Ambühl hat diesen Beitrag zusammen mit Tobias Langenegger verfasst.
Weiterführende Informationen
Medienmitteilung externe Seite BFE
Zu den Autoren
Michael Ambühl
Professor für Verhandlungsführung und Konfliktmanagement,
ETH Zürich
Weitere Informationen zur Person
Zukunftsblog reloaded
Seit 2013 schreiben ETH-Expertinnen und Experten im Zukunftsblog zum Thema Nachhaltigkeit. Nun öffnet sich die Meinungsplattform für weitere Schwerpunktthemen der Hochschule: Ab Januar 2018 bloggen ETH-Fachleute neu in den Rubriken Digitalisierung und Gesundheit. Das Thema Nachhaltigkeit bleibt als dritte Rubrik bestehen.