«Erfahrungen sind mir wichtiger als Sachen»
Der ETH-Alumnus und Firmengründer Cédric Waldburger besitzt nicht viele Dinge, hat dafür aber umso mehr Ideen im Kopf. Eine davon sind Praktika, die er ETH-Studierenden anbieten möchte.
Er trinkt nur Wasser, duscht ausschliesslich kalt. Er besitzt nur 64 Dinge, alle schwarz. Dass er einen «Spleen» habe, musste sich Cédric Waldburger schon oft anhören. Der Digitalunternehmer hielt sich in den letzten Jahren nie länger als vier Tage an einem Ort auf. Kalifornien, Berlin, Hongkong. Eine Wohnung machte keinen Sinn mehr, also gab er sie auf. Er übernachtete mal im Hotel, mal auf der Couch bei Freunden, den Rucksack mit all seinen Sachen gleich einem Schneckenhaus immer dabei.
So wenig er an Materiellem hat, so zahlreich sind die Ideen und Projekte des 30-Jährigen: Er gründete mehrere Software-Startups, investiert in ausgewählte junge Firmen anderer – immer mit dem Ziel, möglichst viel zu lernen. «Ich liebe es zu experimentieren, und Erfahrungen sind mir so viel wichtiger als Sachen», fasst Waldburger zusammen.
Wenig zu besitzen, empfindet er nicht als Einschränkung, sondern als Freiheit. Lieber als von einem Minimalisten spricht er von sich als einem «Essenzialisten»: Nicht die Anzahl Dinge ist entscheidend, sondern der Fokus auf das, was wichtig ist und glücklich macht. Pünktlich alle 90 Tage reflektiert er sein Leben. Er analysiert zwölf Bereiche wie Geschäft, Beziehung oder Fitness und will sich auf diese Weise konstant optimieren.
Fasziniert von der komplexen Materie
Sein ausgeprägtes logisches Denken fiel den Eltern – beide Nicht-Akademiker – schon früh auf, mit sechs Jahren schrieb er mit dem älteren Cousin erste Computerprogramme. Er sei ein «Kellerkind» gewesen, sagt Waldburger, introvertiert und am liebsten am Tüfteln. Ab der 3. Klasse nahm er nicht mehr am regulären Mathematikunterricht teil, sondern hielt Vorträge und besuchte Begabtenförderungskurse. Die 6. Primarklasse übersprang er kurzerhand.
Mit den Mitschülern verband ihn wenig; lieber gab er sich mit älteren Jungs ab. Einer davon studierte Elektrotechnik an der ETH und nahm Waldburger mit in eine Vorlesung. Ein prägender Moment: Waldburger war fasziniert von der komplexen Materie und spürte, wie viel er hier lernen könnte. Die Studienwahl stand fest. Betriebswirtschaft hätte ihn zwar auch interessiert, aber im Gegensatz zur Elektrotechnik, dachte Waldburger, könne er sich diese auch selbst beibringen.
«Ich habe an der ETH gelernt, keine Angst vor grossen Problemen zu haben.»Cédric Waldburger
Den ersten Tag an der ETH verpasste er prompt, da er genau dann beim Notar die Gründung seiner ersten Firma Mediasign abwickelte, eine Web-Agentur, die er mit einem Pfadifreund ins Leben rief. Es gibt sie noch heute. Im Studium traf er Kollegen, die ihm mathematisch um ein paar Nasenlängen voraus waren, und er musste sich zum ersten Mal in seinem Leben reinknien. Die Professoren prophezeiten schon in der ersten Woche, nur jeder zweite werde die Basisprüfung bestehen. Waldburger nahm es sportlich, hätte sich jedoch mehr Wohlwollen gewünscht.
Ausgleich zum teilweise als zu theoretisch empfundenen Studium bot ihm seine Firma, wo er nach Vorlesungsschluss bis Mitternacht arbeitete. «Wie ich das geschafft habe, weiss ich selber nicht mehr, es war unglaublich intensiv, aber ging irgendwie auf», erinnert sich Waldburger, nicht ohne Stolz.
Enge Verbindung zur ETH
Das Wertvollste, das er an der ETH gelernt hat: Sich selber komplexe Dinge beizubringen und keine Angst vor grossen Problemen zu haben – eine Kompetenz, die ihm heute als Unternehmer enorm hilft. Eine weitere Qualität des ETH-Studiums wurde ihm später als Arbeitgeber bewusst: «ETH-Absolventen gehen ruhig und selbständig an Aufgaben heran und kommen dann mit sehr klaren Fragen. Diese Eigenschaft treffe ich bei Abgängern von amerikanischen oder asiatischen Schulen nicht im selben Mass an.»
Waldburgers Verbindung zur ETH ist nie abgebrochen und dürfte künftig noch enger werden: Letzten Herbst eröffnete er für das Start-up DFINITY eine Niederlassung in Zürich und widmet den Grossteil seiner Zeit diesem Projekt, welches mittels Blockchain-Technologie eine neue Infrastruktur für Applikationen entwickelt. Er prüft bereits Kooperationen mit Professoren und möchte bald Praktika für ETH-Studierende anbieten.
Auch privat ist Cédric Waldburger sesshafter geworden: Vor kurzem hat er mit seiner Verlobten eine Wohnung nahe Zürich bezogen. Er reist nun deutlich weniger. Selbst wenn die Liste seiner Besitztümer nun etwas länger wird, Überflüssiges wird man in der Wohnung vergeblich suchen. Ganz wichtig ist ihm das Gästezimmer: So wie er selber oft dankbar war für ein Bett bei Freunden, soll auch sein Heim jederzeit Platz für digitale Nomaden aus dem Bekanntenkreis bieten.