Labor für nachhaltiges Bauen
Das House of Natural Resources ist ein Leuchtturmprojekt für das Bauen mit Laubholz. Das Bürogebäude auf dem Campus Hönggerberg wird heute nach eineinhalb Jahren Bauzeit feierlich eingeweiht. Der ETH Zürich dient es auch als Forschungslabor für nachhaltiges Bauen. Deshalb wird es für die Forschenden jetzt erst richtig spannend.
Selten erregen Bürogebäude viel Aufsehen. Ganz anders beim House of Natural Resources (HoNR): Ein einfacher Skelettbau ermöglicht es, den Grundriss flexibel zu gestalten, bei dem die Innen- und Aussenwände beliebig angeordnet werden können. Transparente Fassaden und seine fugenlose Aussenhülle machen es zusätzlich zu einem angenehmen Arbeitsort. Doch das HoNR ist nicht nur ein innovatives Bürogebäude, sondern dient der ETH Zürich zugleich als Forschungslabor für nachhaltiges Bauen mit Laubholz.
Sechs Professorinnen und Professoren aus den Instituten für Baustatik und Konstruktion, für Baustoffe sowie für Technologie in der Architektur waren mit ihren Forschungsgruppen am Bau des Hauses beteiligt und haben ihre Forschungsprojekte direkt am Bau realisiert. Doch mit der Einweihung ist ihre Arbeit noch lange nicht abgeschlossen. Gemeinsam wollen sie nun die von ihnen entwickelten Technologien über einen längeren Zeitraum testen und so herausfinden, wo die Vorteile und Schwachstellen liegen. ETH-Präsident Lino Guzzella zum speziellen Neubau: «Das House of Natural Resources ist ein schönes Beispiel für gelebte Interdisziplinarität. Es zeigt, wie der einheimische Rohstoff Holz nachhaltig und technisch raffiniert eingesetzt werden kann.»
Solarmodule bewegen sich
Ein Versuchsfeld ist die Fassade des Gebäudes. An einem Teil der Gebäudehülle haben die Wissenschaftler eine adaptive Solarfassade montiert, die Strom gewinnt und hilft, den Energiebedarf für das Heizen und Kühlen des Gebäudes zu regulieren. Die Fassade besteht aus beweglichen Modulen aus Dünnschicht-Solarzellen, die sich mittels druckluftgesteuerten Antrieben bewegen lassen. Dank diesen Aktuatoren richten sich die Solarzellen am Sonnenstand aus, passen sich aber auch an den Wärme- und Lichtbedarf des Hauses und insbesondere dem Verhalten der Nutzer an.
Zusätzlich stellen die Wissenschaftler ein System vor, mit dem Solarmodule auf Dächern dem Sonnenstand nachgeführt werden können. Dieses Nachführungssystem wird mit speziellen zweiteiligen Holzlamellen angetrieben. Die Wissenschaftler nutzen dabei die Eigenschaft des Holzes, dass es bei Änderung der relativen Luftfeuchte quillt oder schwindet. Dazu werden zwei Holzschichten mit unterschiedlicher Faserorientierung aufeinander geklebt. Verändert sich die Luftfeuchte, verbiegen sich die Schichten entsprechend und es entsteht ein bewegliches Holzelement. Da die relative Luftfeuchte an sonnigen Tagen abnimmt und am späteren Nachmittag und nachts ansteigt, können die Holz-Doppelschichten als eine Art natürlicher Motor zur Solarmodulnachführung eingesetzt werden.
House of Natural Resources
Weltneuheiten aus Schweizer Holz
Nicht nur die neuen Technologien, auch die Bauweise des HoNR ist einzigartig. So kam beim Bau eine Weltneuheit zum Einsatz: eine Holz-Beton-Verbunddecke mit Buchenholz aus Schweizer Wäldern. Eine rund vier Zentimeter starke Buchenholz-Furnierplatte dient sowohl als Schalungselement als auch als Armierung und ist gleichzeitig eine attraktive Oberfläche. Diese neue Verbunddecke hat ähnlich gute Trageigenschaften wie Stahlbetondecken, die meistverbauten Tragelemente in der Schweiz. Einzigartig ist auch die Dachkonstruktion mit einer Buchenholzdecke, bei der Holzlamellen kreuzweise angeordnet wurden. So werden die Lasten wie bei einer Betondecke in zwei Richtungen verteilt.
Auch die Rahmenkonstruktion im HoNR besteht aus Schweizer Holz. Die Stützen bestehen zu 100 Prozent aus Eschenholz, die Träger sind aus Esche und Fichte zusammengesetzt, um die Festigkeit zu erhöhen. Zudem sind alle Träger mit einem Kabel, das im Innern durch das Holz verläuft, vorgespannt. Die Träger zentrieren sich dadurch selber, und die gesamte Tragkonstruktion ist besonders verformbar, was sie deutlich erdbebensicherer macht.
Überwachen wie das Holz arbeitet
Die ETH-Wissenschaftler haben im HoNR ein umfangreiches Monitoringsystem installiert, mit dem sie erfassen, wie sich das Gebäude über die Jahre verändert: Sie messen regelmässig die Feuchtigkeit in der Holz-Rahmen-Konstruktion und zeichnen Verformungen mit mithilfe eines Tachymeters auf. Spezielle Sensoren messen die relative Verschiebung zwischen Holz und Beton in der Verbunddecke. Bereits während des Baus haben die Wissenschaftler mit einem dichten Sensornetzwerk überwacht, wie sich die Tragstruktur verhält. Mit 16 Kraftmessdosen haben sie zudem die Vorspannkraft in jedem einzelnen Spannkabel gemessen.
Wie sich die neuen Technologien bewähren, soll auch der Alltag zeigen. «Wir werden genau dokumentieren, wie die Nutzer mit dem Gebäude zufrieden sind», erklärt Projektleiter Andrea Frangi, Professor für Holzbau am Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich. Er erhofft sich von den Erkenntnissen des Projekts auch Impulse für die Schweizer Holzverarbeitungsindustrie. Frangi sieht im Holzbau grosses Potenzial für die Schweiz. Der Anteil an Laubbäumen nimmt im Schweizer Wald als Folge der Klimaerwärmung zu. «Schweizer Holz hat viel Potenzial. Wir hoffen, dass Unternehmen dies erkennen und unsere Ansätze weiterverfolgen.»
«Nachhaltiges Bauen» als strategisches Schwerpunktthema
Die ETH Zürich hat «Nachhaltiges Bauen» als strategisches Schwerpunktthema definiert. Das House of Natural Resources ist ein Forschungs-, Lehr- und Demonstrationsobjekt, mit dem die ETH Zürich die Umsetzbarkeit ihrer Forschung auf diesem Gebiet unter Beweis stellt und interdisziplinäre Forschung ermöglicht.
Nebst dem House of Natural Resources hat die ETH Zürich auch mehrere neue Professuren geschaffen, welche die bestehenden Kompetenzen in Forschung und Lehre auf dem Gebiet des nachhaltigen Bauens verstärken. Zudem sollen die interdisziplinäre Forschungstätigkeit in dem Schwerpunktthema intensiviert, der Wissenstransfer begünstigt und die Ausbildung von Nachwuchskräften für die Bauindustrie gestärkt werden.
Die Planungs- und Baukosten des HoNR betragen rund 7 Millionen Schweizer Franken. Ein Teil der Finanzierung wurde durch die ETH Zürich Foundation mittels Donationen bereitgestellt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) unterstützt den Bau des HoNR finanziell mit 500‘000 Schweizer Franken aus der Umwelttechnologieförderung. Mit dem Aktionsplan Holz setzt sich das BAFU dafür ein, dass Laubholz vermehrt stofflich, beispielsweise im Bauwesen, eingesetzt wird. Neben dem BAFU ist auch die EU-Initiative Climate-KIC ein wichtiger Partner des HoNR. Das Climate-KIC-Projekt «Building Technologies Accelerator» (BTA), bei dem die ETH Zürich Leading Partner ist, konzentriert sich auf die Entwicklung und Markteinführung von Technologien, die zu messbaren CO2-Reduktionen führen. Climate-KIC beteiligt sich über die nächsten sechs Jahre mit mehreren Millionen an der ETH-Technologieentwicklung im Bereich nachhaltiges Bauen. Das HoNR, das eines von sechs europäischen Living Labs im BTA-Projekt ist, soll helfen, klimafreundliche Bautechnologien schneller am Markt zu etablieren. Die Forschungsprojekte wurden auch durch die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und das Nationale Forschungsprogramm «Ressource Holz» (NFP 66) unterstützt.
Das Tragwerk des HoNR besteht zu 80% aus hiesigem Holz und wird deshalb von der Lignum (Holzwirtschaft Schweiz) mit dem «Herkunftszeichen Schweizer Holz» ausgezeichnet.