Integrierender Regler für Zellen

ETH-Forscher entwickeln mit einer bewährten Ingenieurstrategie einen integrierenden Regelkreis für lebende Zellen. Dies könnte dazu beitragen, dass Zellen von einem Produkt genau geregelte Mengen herstellen können.

Vergrösserte Ansicht: cell integral feedback control
Schema des integrierenden Regelkreises in einer lebenden Zelle. (Grafik: ETH Zürich / Christine Khammash)

Viele heutige technische Anwendungen kommen nicht mehr ohne sie aus: integrierende Regelkreise (engl. integral feedback control). Solche Regelungssysteme halten Flugzeuge auf einer bestimmten Flughöhe, ein Fahrzeug bei konstanter Geschwindigkeit auf der Autobahn oder einen Industrieofen bei gleicher Temperatur. Durch ein solches Regelungssystem wird in der Regel eine «perfekte, robuste Adaptation» gegenüber Störungen erreicht.

Mit robuster perfekter Anpassung ist gemeint, dass sich das Regelungssystem stets auf den voreingestellten Soll-Wert einpendelt, und zwar unabhängig von externen Störungen oder von Parametern des Systems, das man regulieren möchte. Ein Regelkreis erreicht dies, in dem die Reaktion des zu regulierenden Systems über die Zeit integriert wird. Das daraus resultierende Signal dient wiederum dazu, das zu regulierende System zu korrigieren.

Biologie hat sie erfunden

Auch in der Biologie sind solche Regelkreise zu finden. Sie regeln die Körpertemperatur eines Warmblüters oder den Kalzium-Haushaltes bei Säugetieren. Auf Zellebene sind sie verantwortlich für das Aufrechterhalten des Zellgleichgewichts, der sogenannten Homöostase.

Ein synthetisch biologischer Regelkreis, der die Rückmeldungen des Systems über die Zeit integrieren kann, gab es aber bislang nicht. Die grosse Herausforderung besteht darin, dass in lebenden Zellen ständig ein starkes Hintergrundrauschen herrscht. Dieses Rauschen stammt von zufällig miteinander reagierenden Molekülen, die nur in sehr geringen Mengen vorkommen. Auch können diese Moleküle plötzlich häufiger werden, aber auch während längerer Zeit komplett verschwinden – dabei spielt der Zufall eine grosse Rolle.

Künstlicher Regelkreis in Zelle

Mustafa Khammash, Professor für Regelungstheorie und Systembiologie am Department Biosysteme in Basel und seine Mitarbeiter Corentin Briat und Ankit Gupta präsentieren nun für dieses Problem einen neuen Ansatz. In einer der jüngsten Ausgaben von «Cell Reports» stellen sie vor, wie ein solcher integrierender Regelkreis in einer Zelle funktionieren kann, damit von einem Molekül trotz starkem Rauschen bestimmte, genau regulierte Mengen hergestellt werden können. Die Forscher nennen ihre Regulation «antithetische integrierende Feedback-Regelung» (antithetic integrated feedback control, AIFC).

Die AIFC besteht aus zwei Netzwerken: einem Netzwerk, das reguliert werden soll, und einem weiteren Netzwerk, welches als Kontrolleinheit funktioniert und das erste reguliert. Die Verknüpfung der beiden Netzwerke erlaubt die angestrebte perfekte Adaptation.

«Wir haben den Regelkreis so ausgelegt, dass damit drei wichtige Punkte der Mess- und Regelungstechnik in vom Zufall geprägten Systemen erfüllt werden: Es muss stabil sein, der Soll-Wert muss einstellbar sein und es muss eine robuste perfekte Adaption ermöglichen», sagt Khammash. Dieses System muss zudem fehlerlos in einem rauschenden Meer funktionieren.

Rauschen stabilisiert System

Die Forscher haben dazu eine neue Regelungstheorie sowie ein Computermodell für die Regelungstechnik auf molekularer Ebene erstellt. Damit widerlegen sie die falsche Annahme, dass Rauschen für ein Regelungssystem immer nachteilig ist. Mit ihrer neuen System zeigen sie im Gegenteil sogar auf, dass das Grundrauschen in der Zelle ein Vorteil ist, um die angestrebte perfekte robuste Adaptation zu erreichen. «Ohne das molekulare Rauschen, beginnt die Systemantwort zu schwanken», sagt der ETH-Professor. Füge man das Rauschen wieder hinzu, gleiche sich die Systemantwort dem gewünschten Soll-Wert perfekt an.

Um ihren theoretischen Ansatz zu untermauern, suchten die Forscher nach einem natürlichen AIFC  – und wurden fündig. Im Bakterium Escherichia coli gibt es eine Signal- und Proteinproduktionskette, die tatsächlich gemäss den Theorien der Wissenschaftler aufgebaut ist.

Genkontrolle dank integrierender Regelung

In diesem integrierenden Regelkreis ist der Soll-Wert die durchschnittliche Menge eines Molekül-Komplexes, der aus einem so genannten Sigma-Faktor (s70) und einer RNA-Polymerase (RNAP) besteht. Der Komplex startet die Transkription, also das Ablesen von Genen zur Herstellung von RNA, der Bauanleitung eines Proteins. Die betreffenden Proteine dieser Signalkette braucht das Bakterium für sein Wachstum.

Damit nun die Proteinherstellung nicht ausser Kontrolle gerät, wird als «Nebenprodukt» auch ein Protein gebaut, das als Anti-s70 den s70-Faktor fest bindet und aus dem Verkehr zieht. Als Folge davon bilden sich weniger RNAP-s70-Komplexe. Dadurch sinkt die Transkriptionsrate und auch der Anti-s70-Pegel in der Zelle nimmt ab, sodass neu produzierte s70-Moleküle sich wieder zu RNAP-s70-Komplexen verbinden können. Die Proteinproduktion steigt wieder an.

Die Forscher zeigen mit ihren Berechnungen auf, dass dieses System, das ihr AIFC-Motif enthält, auf einen stabilen Wert des Komplexes hinsteuert. Dabei wird die durchschnittliche Konzentration des Komplexes gerade richtig sein, um seinerseits die richtige Anti-s70-Konzentration erzeugen zu können.

Paradox aufgelöst

Den Berechnungen der Wissenschaftler zufolge liegt die freie Form von s70 in nur sehr geringen Mengen vor. Wie kann dieses überhaupt als Regulator agieren, wenn es fast nie vorhanden ist? «Hier kommt das Rauschen in der Zelle ins Spiel», sagt Khammash. Die Häufigkeit eines Regulationsproteins wie s70 schwanke zufällig. Dennoch wirke ein statistisches Mass seiner Zufälligkeit, etwa die durchschnittliche Häufigkeit über die Zeit, als sogenannt deterministisches Regulationssignal. «Um einen integrierenden Regelkreis mithilfe von äusserst seltenen Molekülen zu realisieren, ist es essenziell, die sich über die Zeit verändernde durchschnittliche Verfügbarkeit dieser Moleküle zu berücksichtigen», betont der ETH-Professor.

Mit ihrer Studie lösen Khammash und seine Mitarbeiter ein Paradox. In der Biologie gebe es zahlreiche wunderschöne Beispiele für robuste Homöostase und Adaptation. Diese legen nahe, dass es integrierende Regelkreise gebe. Wie die Biologie diese Regelkreise jedoch implementiert habe, sei nicht verstanden, schreibt dazu Caltech-Professor John Doyle in einem Kommentar zur Publikation der ETH-Forscher. Dieses Rätsel sei umso verwirrender, wenn man bedenke, dass die in kleiner Zahl vorliegenden Moleküle eine Garantie für starkes Rauschen seien, die Adaptation aber dennoch auftrete. Die Arbeit der Basler Forscher löse das Paradox auf. Denn wenn Bakterien ihr Verhalten über eine kleine Zahl von Komponenten steuern wollten, dann sei das Rauschen ein grosser Vorteil.

Mit dieser Studie haben Khammash und seine Mitarbeiter ein Fundament gelegt, um künftige synthetische Regulationsnetzwerke, die wie integrierende Regelkreise operieren, zu optimieren. Solche Netzwerke könnten beispielsweise zur stabilen und robusten Produktion von gewünschten Mengen medizinischer Wirkstoffe, bestimmter Hormone wie Insulin oder biologisch erzeugter Treibstoffe ausgelegt werden.

Literaturhinweis

Briat C, Gupta A, Khammash M: Antithetic Integral Feedback Ensures Robust Perfect Adaptation in Noisy Biomolecular Networks. Cell Systems 2016, 2: 15-26, doi: externe Seite 10.1016/j.cels.2016.01.004

Doyle J. Even noisy responses can be perfect if integrated properly. Cell Systems 2016, 2: 73-75, doi: externe Seite 10.1016/j.cels.2016.02.012

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