Herkulesaufgabe ohne Patentlösungen

Das Energy Science Center der ETH Zürich und die «Energy Initiative» des Massachusetts Institute of Technology (MIT) luden am Montag zu einem gemeinsamen Symposium in Zürich zur Zukunft der globalen Energieversorgung. Die Steigerung der Energieeffizienz, leistungsfähigere Batterien und die Digitalisierung von Energiesystemen sollen wichtige Beiträge leisten. 

Podiumsdiskussion
Ahmed Ghoniem, Robert Armstrong (beide vom MIT) und Reza Abhari (ETH Zürich; von rechts nach links) an der Podiumsdiskussion. (Bild: ETH Zürich / Pino Covino)

Noch nie stand die Menschheit vor dermassen grossen Herausforderungen, was ihre Versorgung mit billiger Energie angeht: 195 Staaten haben vergangenen Dezember am Klimagipfel in Paris beschlossen, die globale Erwärmung auf unter 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Dies bedeutet, dass wir auf das Verbrennen von fossilen Energieträgern, wie Kohle, Gas und Erdöl – also auf diejenigen Energieträger, die bis heute den Hauptanteil unserer globalen Energieversorgung ausmachen – bis 2050 weitgehend verzichten müssen. Gleichzeitig steigt nicht nur der Energiebedarf von Industrieländern kontinuierlich an, sondern insbesondere derjenige von aufstrebenden Schwellenländern, wie Indien und China.

Wie könnte unter diesen schwierigen Vorzeichen unsere zukünftige Energieversorgung ausschauen? Energieexperten und -expertinnen des Massachusets Institute of Technology (MIT) und der ETH Zürich trafen sich am 6. Juni gemeinsam mit Vertretern aus der Industrie an der ETH, um diese Frage während eines halbtägigen Symposiums zu diskutieren.

Mehr Effizienz dank informierten Konsumenten

Die Experten waren sich einig: Die Steigerung der Energieeffizienz ist die Basis für die Sicherung der künftigen Energieversorgung. Darauf zählen heute auch viele Regierungen, wie ihre Vorschläge zur Reduktion von Treibhausgasen im Vorlauf der Pariser Klimakonferenz gezeigt hatten. Doch Christopher Knittel von der MIT Sloan School of Management warnte vor zu grossen Erwartungen: Mithilfe von randomisierten kontrollierten Studien, wie man sie aus der Medizin kennt, konnte er zeigen, dass die tatsächlich erreichten Einsparungen aufgrund von Effizienzmassnahmen (zum Beispiel  Subventionen für energieeffiziente Geräte), oft weit unter den Annahmen liegen.

Sein Kollege Massimo Filippini vom D-MTEC der ETH Zürich bestätigte dies, indem er aufzeigte, dass Konsumenten oft weit weniger rational handeln als erwartet. Denn selbst wenn wir mit energieeffizienten Geräten sowohl unser Portemonnaie als auch die Umwelt schonen könnten, entscheiden wir nicht immer rational. Information und konsumentenfreundliche Angaben der möglichen finanziellen und energetischen Ersparnisse auf den Produkten sind für Filippini deshalb Schlüsselfaktoren zum besseren Ausnützen von Energieeinsparungs-Potentialen.

Digitale Transformation

Energieeffizienz ist auch für die Industrie das Thema der Stunde, wie Oliver Johner erläuterte, Programmmanager Energieeinsparung bei der SBB. Bis 2025 will das energieintensive Unternehmen 20 Prozent ihres Energieverbrauchs einsparen. Dies nicht nur der Umwelt zuliebe, sondern auch um Kosten zu senken. Jedes Energieeffizienzprogramm der SBB rechne sich auch finanziell, versicherte Johner. Eine Schlüsselrolle komme dabei aktuell der Digitalisierung des Energiemanagements zu.

Auch Steven Hartman, CTO der Abteilung Power Services bei GE Power, erkennt in der digitalen Transformation einen Kernbereich der zukünftigen Energieversorgung. Sein Unternehmen hat deshalb mehrere Kompetenzzentren eröffnet, in welchen sich rund 1500 Ingenieure mit der Digitalisierung beschäftigen. Dies unter anderem, indem sie Daten cleverer nutzen, um Energiesysteme optimaler miteinander zu verbinden und aufeinander abzustimmen.

Ebenfalls ein Thema der Stunde ist die Energiespeicherung. Wer neue erneuerbare Energien wie Wind und Sonne, die oft ausserhalb der Hauptlastzeiten anfallen, ins Stromnetz einbinden will, braucht Speichermöglichkeiten. Donald Sadoway vom Departement Materialwissenschaften und Engineering des MIT betonte die Notwendigkeit, bei der Entwicklung von neuartigen Batterien von Beginn weg auf ausreichend verfügbare chemische Elemente, wie zum Beispiel Silizium anstelle von Platin, zu setzen. Seine Kollegin Vanessa Wood vom D-ITET der ETH Zürich sprach sich für eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie aus, da dort sehr viel Batterie-Know-How konzentriert sei und eine rasche Markteinführung von technologischen Durchbrüchen nur über die grossen Konzerne möglich sei.

Fusionsreaktoren und Bewusstseinsbildung

Erwartungsgemäss waren sich an der abschliessenden Podiumsdiskussion alle Beteiligten einig, dass die universitäre Grundlagenforschung im Energiebereich dringlicher denn je sei. Entsprechend wünschten sie sich auch eine umfassendere Finanzierung durch die öffentliche Hand. Andreas Ulbig, Mitgründer des ETH-Start-ups externe SeiteAdaptricity, das Energieversorger beim Einsatz von intelligenten Smart-Grid-Technologien berät, vermisst Risikofreudigkeit von Seiten der Industrie und den Willen, bestehende Innovationen in der Praxis einzusetzen. Hier sei auch die Politik gefragt, die Planungssicherheit gewähren müsse und einen gewissen Spielraum im Umgang mit bestehenden Regulierungen.

Robert Armstrong, Direktor der MIT Energy Initiative, brachte schliesslich noch eine unorthodoxe Energiequelle in die Diskussion ein: Fusionsreaktoren. Am MIT forschen gleich mehrere Gruppen an auf Plasma und starken Magnetfeldern basierenden Technologien, die Armstrong als mittelfristig vielversprechend einstuft. Für Armstrongs MIT-Kollege Ahmed Ghoniem vom Departement for Mechanical Engineering war jedoch klar, dass alleine technologische Innovationen den aktuellen Herausforderungen im Energiebereich nicht gerecht werden. Er zählt auch auf Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit, um Bürger für die eigene Verantwortung bezüglich Klimawandel und des steigenden Energieverbrauchs zu sensibilisieren. Dafür wünscht er sich auch eine engere Zusammenarbeit von Ingenieuren mit Sozial- und Wirtschaftwissenschaftlern.

Marco Mazzotti vom Energy Science Center der ETH schloss die Konferenz trotz Herkulesaufgabe in Anbetracht der Prognosen von Klimawissenschaftlern und vielen offenen Fragen mit hoffnungsvollen Worten: Er erlebe in der Lehre täglich die Leidenschaft und den Innovationsgeist seiner Studierenden. Auf sie zähle er, wenn es darum ginge, den Wandel in eine nachhaltigere Zukunft zu beschleunigen.

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