«Je komplexer eine Technologie, umso wichtiger das Feedback der Nutzer»

Um die globalen Klimaziele zu erreichen, braucht es klimafreundliche, CO2-arme Energietechnologien. Tobias Schmidt untersucht, wie das Zusammenspiel von Energiepolitik und CO2-reduzierenden Innovationen in der Energiewirtschaft funktioniert. Im Februar wird er seine Erkenntnisse an der weltgrössten Wissenschaftskonferenz AAAS vorstellen.

Tobias Schmidt
Klimafreundliche Technologien wie Wind und Solarzellen haben unterschiedliche Innovationsmuster. Dies hat Implikationen für und Auswirkungen auf die Energiepolitik. (Bild: Colourbox.de)

Tobias Schmidt, Sie untersuchen das Zusammenspiel von Innovationen im Energiesektor mit der Politik. Worauf legen Sie dabei Ihr Augenmerk?
Tobias Schmidt: Der Ausgangspunkt ist das Klimaschutzziel aus dem Pariser Abkommen von 2015. Um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, bedarf es eines Umbaus der Energieversorgung. Damit dieser Umbau möglichst kostengünstig erfolgen kann, braucht es Innovationen im Energiesektor und neue, CO2-arme Technologien. Zugleich bildet der Energiesektor eine Basis für alle anderen ökonomischen Aktivitäten – denn ohne Strom keine Produktion. Unter anderem deswegen ist der Energiesektor politisch stark reguliert. Dabei beeinflussen sich die Energiepolitik und der technologische Wandel im Energiesektor wechselseitig. Das interessiert mich.

Stichwort CO2-arme Energietechnologien. Sie haben besonders Sonnen- und Windenergie untersucht sowie Lithium-Ionen-Batterien. Warum diese drei?
Weil sie exemplarisch sind für die drei Innovationsarten, die den technologischen Wandel im Energiesektor vorantreiben. Man kann nicht sagen, dass es ein typisches Innovationsmuster für klimafreundliche Technologien gäbe. Vielmehr hängt es von der jeweiligen Technologie ab, ob Produkt- oder Prozessinnovationen entscheidend sind. In Zusammenarbeit mit Kollegen des ETH-Departements für Management, Technologie und Ökonomie zeigen wir, dass Photovoltaik ein Beispiel ist für eine Technologie, die in Massenproduktion hergestellt wird, und die sich vor allem dank Innovationen im Produktionsprozess und Kostenreduktionen in der Herstellung sehr stark entwickelt hat. Bei der Windenergie hingegen sind Produktinnovationen sehr wichtig. Windturbinen sind komplexe Anlagen, bei denen das Design über den Erfolg im Markt entscheiden. Und dann gibt es als drittes die «doppelt komplexen Produkte», für die man sowohl Produkt- als auch Prozessinnovationen braucht, um sie weiterzuentwickeln.

Lithium-Ionen-Batterien sind ein Beispiel für solche «doppelt komplexen Produkte»?
Genau. Wenn man eine Komponente einer Ionen-Lithium-Batterie ändert, muss man typischerweise auch andere Komponenten ändern sowie das Design und den Herstellungsprozess anpassen. Unsere neuste Analyse zeigt, dass sich Produkt- und Prozessinnovation häufig nicht voneinander trennen lassen.

Tobias Schmidt
(Bild: Blaz Murer / D-GESS)
«Man kann nicht alles mit Computermodellen vorausberechnen, sondern muss auch austesten und flexibel sein, wenn in der Produktion oder beim Nutzer Unerwartetes passiert.» Tobias Schmidt

Komplexität bedeutet doch auch, dass wenn man eine Komponente ändert, also einen Teil eines grösseren Ganzen, nicht genau weiss, was sich sonst noch ändert?
Genau, und das ist das Spannende, weil das heisst, dass die Erfahrung eines Unternehmens oder einer Branche und ihre Lernkultur – das «learning by doing» – wichtig sind. Man kann nicht alles mit Computermodellen vorausberechnen, sondern muss auch austesten und flexibel sein, wenn in der Produktion oder beim Nutzer Unerwartetes passiert. Da hat man als Hersteller einen Wettbewerbsvorteil, wenn man eine neue Entwicklung frühzeitig und selber mitgeprägt hat.

Welchen Vorteil?
Je komplexer ein Produkt ist, umso wichtiger ist es für den Hersteller, frühzeitig ein Feedback vom Nutzer zu erhalten. Pionierunternehmen erhalten früher als andere die ersten Feedbacks zu ihren Produkten und können somit rascher eine nächste Produktgeneration herstellen. Dänische Windenergieproduzenten zum Beispiel haben oft Tochterfirmen, die die Windparks betreiben. So können sie die Nutzerfeedbacks verwenden, um ihre Windturbinen zu verbessern.

Das war ein Beispiel aus dem Bereich der Produktinnovationen, wie sieht das für Prozessinnovationen aus?
Je höher die Prozesskomplexität einer Technologie oder eines Produkts ist, umso wichtiger wird ein Marktwachstum für Innovationen. Wenn nämlich ein Markt wächst, wird mehr in neue Produktionsanlagen investiert und die Hersteller lernen schneller und mehr über ihre Anlagen – das fördert die Innovationswahrscheinlichkeit. Wenn der Markt stagniert, produziert man weiter mit bestehenden Anlagen und lernt weniger. Eine Innovation wird dann unwahrscheinlicher.

Was heisst das für die Energiepolitik?
Idealerweise baut eine Energiepolitik auf einer Technologiestrategie auf und setzt in der Wertschöpfungskette dort an, wo die Innovation stattfindet. Dabei spielt – neben volkswirtschaftlichen Faktoren – die Innovationsart eine Schlüsselrolle: Will man Produkt- oder Prozess-Wissen stärken? Mit meiner Forschung kann ich die grundlegenden Wechselwirkungen für die energierelevanten Industrien aufzeigen und stelle dafür ein Interesse der Politik fest. Weltweit gibt es etliche Länder die ihre Politik der Emissionsminderung mit einer Technologiepolitik verbinden.

Was heisst das für die Schweiz?
Die Schweizer Industrie hat einen Wettbewerbsvorteil, wenn die Produkte und Prozesse komplex sind und Präzision gefragt ist. Die Maschinenbauindustrie zum Beispiel managt Komplexität sehr gut und ihre Erfahrung ist ein Vorteil für Prozessinnovationstechnologien.

Zum Abschluss: Lässt sich das Klimaziel des Pariser Abkommens energiepolitisch erreichen?
Es wird nicht einfach, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Ich bin aber Optimist. In der Regel unterschätzt man die Chancen von Innovationen und Kostensenkungen. Die Kosten neuer Technologien reduzieren sich mit der Zeit stärker als erwartet. Die Photovoltaik zum Beispiel ist heute an bestimmten Standorten die günstigste Art, Strom zu erzeugen. Das kann eine positive politische Dynamik auslösen, wie man in Paris gesehen hat.

Inwiefern?
Das Prinzip des Kyoto-Protokolls von 1997 war der Emissionshandel und wie man die Kosten des Klimaschutzes gerecht verteilen kann. Das Prinzip des Pariser Abkommens beruht auf einer Chancendynamik und der Einsicht, dass man mit klimafreundlichen, CO2-armen Technologien Arbeitsplätze schaffen und Geld verdienen kann.

Zur Person

Tobias Schmidt ist Assistenzprofessor für Energiepolitik am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften der ETH Zürich. Er verfügt sowohl über technisches als auch ökonomisches Know-how. Mit seinem interdisziplinären Hintergrund erforscht er Wechselwirkungen zwischen Energiewirtschaft und Energiepolitik mit quantitativen und qualitativen Methoden aus den Sozial- und Ingenieurwissenschaften.

Am 18. Februar 2017 tritt Tobias Schmidt an der weltgrössten Wissenschaftskonferenz, der Jahreskonferenz der externe Seite American Association for the Advancement of Science (AAAS), auf. Diese hat das Motto «Serving Society through Science Policy» (Wissenschaftspolitik im Dienste der Gesellschaft).

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