Der Traum vom Brückenschlag

Der Geologe Matthieu Galvez ist einer der Branco-Weiss-Stipendiaten 2016. Wie der Franzose dieses Stipendium nutzt und weshalb er den Beruf des Forschers wählte. Ein Porträt.

Matthieu Galvez ist Branco-Weiss-Stipendiat und erforscht die Stoffflüsse zwischen Erdinnerem und Erdoberfläche. (Bild: ETH Zürich / Florian Bachmann)
Matthieu Galvez ist Branco-Weiss-Stipendiat und erforscht die Stoffflüsse zwischen Erdinnerem und Erdoberfläche. (Bild: ETH Zürich / Florian Bachmann)

Matthieu Galvez bittet um ein Treffen im «Hot Pasta», einem italienischen Restaurant an der Universitätsstrasse in Zürich. Er verbringe viel Zeit an der Hochschule und müsse deshalb auch mal raus, um seinen Kopf zu lüften. Denn der Kopf des externe SeiteBranco-Weiss-Stipendiaten steckt voller Ideen und Gedanken. Diese beziehen sich zwar mehrheitlich auf sein Fach, die Erdwissenschaften, aber nicht nur. «Mich fasziniert es, Brücken zwischen Disziplinen zu finden, die noch niemand ausgelotet hat. Denn diese zeigen uns auf, dass wir alle verbunden sind in unserer Suche nach Erkenntnis», sagt er, nippt an seinem Kaffee und stellt die Tasse auf den hellbraunen Birkenholztisch.

Den Materialhaushalt der Erde erforscht

Auf sich aufmerksam gemacht hat Galvez mit einer Publikation in der renommierten Fachzeitschrift «Nature». Ermöglicht hat ihm diese Forschungsarbeit ein Branco-Weiss-Stipendium. Diese Stipendien werden alljährlich an exzellente Forscherinnen und Forscher vergeben. Der 32-jährige Franzose erhielt eine von neun Auszeichnungen, die 2016 vergeben wurden.

Galvez befasst sich mit den physikalischen Prozessen, welche die Erdgeschichte und die Entwicklung des Lebens auf unserem Planten verbinden. «Die biologische Evolution hat das Gesicht der Erde geformt», sagt er, «aber bis heute kennen wir die Mechanismen, mit denen die Lebewelt die Erde modelliert hat, nicht. Wir wissen auch nicht, wie weit ins Erdinnere der Einfluss des Lebens nachzuweisen ist, und ob diese Bedingungen für die Erde einmalig sind.»

Ein Weg, wie sich die Wechselwirkung zwischen Erde und Leben offenbare, sei der Austausch von Metallen und leichten Elementen zwischen dem Erdinnern, den Ozeanen und der Atmosphäre. Spuren dieser Wechselwirkungen würden in Gesteinen aufgezeichnet. Geringste Unterschiede ihrer Zusammensetzung erzählen uns viel darüber, wie sich der Planet über die Zeit verändert hat. In seiner Forschung will Galvez mithilfe von Experimenten und Computermodellen die Botschaft der Gesteine messen und entschlüsseln.

Empfindliche Reaktion

In seiner «Nature»-Publikation befasste er sich insbesondere mit den Eigenschaften und der Rolle von wässrigen Lösungen in den Materialkreisläufen der Erde. Der chemische Austausch zwischen der Oberfläche und dem Erdinnern findet an den Subduktionszonen statt, also den Stellen, wo eine ozeanische Platte unter eine Kontinentalplatte abtaucht und in den Erdmantel absinkt. Dabei gelangen Wasser und andere flüchtige Stoffe ins Erdinnere, wo sie freigesetzt werden.

In dieser Studie untersuchte Galvez zusammen mit zwei Kollegen das chemische Verhalten dieser Fluide, etwa wie ihre chemische Zusammensetzung auf Druck und Temperatur reagiert. Dazu entwickelte er ein neues Computermodell. Damit fand er heraus, dass die Ionenzusammensetzung von tiefen Fluiden sehr sensibel auf die chemische Zusammensetzung von ozeanischen Gesteinen reagiert, die ihrerseits empfindlich ist gegenüber dem chemischen Zustand von Atmosphäre und Ozean zur Zeit der Gesteinsbildung.

Diese Zusammenhänge lassen vermuten, dass die chemischen Rückkopplungen zwischen der Oberfläche und dem Inneren der Erde stark veränderbar sind. «Das müssen wir weiter erforschen», sagt der Erdwissenschaftler. Er hofft, dass seine «Nature»-Publikation neue Möglichkeiten eröffnet, wie die Wechselwirkungen zwischen Erde und der Lebewelt der Erde erforscht werden können, auch um herauszufinden, was unseren Planeten einzigartig macht.

Fokussiert mit breitem Horizont

Ehe Galvez damit begonnen hat, die Chemie des Wassers im Inneren der Erde zu untersuchen, schrieb er eine Dissertation über das Verhalten von kohlenstoffhaltigen Materialien bei hohem Druck und hoher Temperatur. «Der an die Plattentektonik gekoppelte Kohlenstoffkreislauf der Erde ist komplex. Er verbindet das Leben mit unserem Planeten.»

Für seine Doktorarbeit habe er sich auf dieses Thema konzentriert. «Viele Leute zögern, sich auf eine Doktorarbeit einzulassen, weil sie davor Angst haben, nur auf ein Detail eingeschränkt zu werden. Ich habe genau das Gegenteil erlebt», sagt der Postdoktorand vom ETH-Institut für Geochemie und Petrologie.

«Genau dadurch, dass ich mich auf ein Fachgebiet konzentrierte, entdeckte ich zahlreiche neue Brücken zu anderen Gebieten.» Wer neugierig sei, für den könne dies eine tolle Erfahrung werden. Er denkt aber, dass man tatsächlich in eine Sackgasse geraten könne, wenn man dem, was um das eigene Thema herum geschehe, keine Aufmerksamkeit schenke.

  «Genau dadurch, dass ich mich auf ein Fachgebiet konzentrierte, entdeckte ich zahlreiche neue Brücken zu anderen Gebieten.»Matthieu Galvez, Branco-Weiss-Stipendiat

Der Forscher betrachtet es denn auch als Teil der akademischen Pflicht, über wissenschaftliche Praxis im gesellschaftlichen Kontext nachzudenken. Diese Perspektive auf die Wissenschaft, die den Horizont von Studierenden erweitern würde, fehle in vielen Curricula. «In der Wissenschaft geht es nicht nur um das präzise Messen, das Programmieren von Algorithmen oder das Auffinden von Gesetzmässigkeiten in geordneten oder ungeordneten Zuständen», betont Galvez.

Eine Reise durch die Erde

Die Weichen für seine Laufbahn in der Forschung stellte der Geologe früh. «Meine Faszination für die Schönheit dieser Erde geht in meine Kindheit zurück», sagt er. Sein Vater, ein naturbegeisterter Fahrlehrer ohne universitäres Diplom, unternahm mit ihm zahllose Ausflüge in die Natur. Dabei beobachteten sie Ameisen bei der Arbeit und ihren sozialen Wechselwirkungen. «Das hatte nichts Wissenschaftliches an sich. Für uns war es eine Form von Kontemplation», erinnert er sich. Seine Eltern hätten ihn gelehrt, die Welt zu schätzen und zu hinterfragen – ein einfacher aber wertvoller Rat.

Aus diesem Grund fiel es ihm auch nicht leicht, sich für ein Geologie-Studium zu entscheiden. Während seiner Gymnasialzeit war er von Geisteswissenschaften genauso angetan wie von Naturwissenschaften. Der entscheidende Funke ging möglicherweise von einem Geschenk seiner Eltern aus: «Sie schenkten mir einst einen Globus, einen mit Licht – ein wunderschönes Objekt», sagt er. Das habe bei ihm die Faszination für die Erde geweckt, und erst später im Leben habe ihn der Begriff «Geologie» zu interessieren begonnen. «Die Etymologie dieses Wortes liess in mir sofort etwas anklingen. Ich war so begeistert darüber, dass es dafür sogar einen Beruf gab, den Spezialisten für den Planeten Erde, dass ich unbedingt Geologe werden wollte.»

Inspiriert von neuem Leben

Obwohl er seine romantischen Vorstellungen aus seiner Kindheit und Jugend ablegen musste, ist er nach wie vor von seiner Berufswahl überzeugt. «Es war und ist das Richtige für mich. Ich bin gerne ein Forscher – ich fühle mich frei dabei, und meine tägliche Arbeit ist stets bereichernd und lohnend.»

Vor 19 Monaten wurde er zum ersten Mal Vater. Ein Ereignis, das sein bisheriges Leben auf den Kopf gestellt hat. «Ich habe einige schlaflose Nächte», sagt er. «Das Leben ist anders als zuvor. Ich will vor allem viel Zeit mit meiner Familie verbringen.» Mit der gleichen Begeisterung, wie er die Erde und das Leben betrachtet, verfolgt er nun wie sich sein Kind entwickelt und wächst. «Das ist mit Abstand das Schönste, was ich bisher erlebt habe.» Bei der Geburt dabei zu sein und den Beginn des neuen Lebens zu beobachten, habe ihn durchgeschüttelt. «Das war so faszinierend, irgendwie „geologisch“, sodass mich auch die Medizin richtig gepackt hat. Denn schliesslich vereinen metabolische Reaktionen die Erde und das Leben», sagt Galvez.

Konstant ist nur der Wandel

Der Kaffee in der Tasse ist längst kalt. Unmerklich hat sich das Lokal gefüllt. An Nebentischen sind lebhafte Unterhaltungen im Gang. Der Erdwissenschaftler nimmt den letzten Schluck. «Mein Weg hatte einige Wendungen und Ecken», sagt er dann. «Ich bin nie einer geraden Linie gefolgt, ich bleibe oft von meinen verändernden Fragen getrieben. Es ist zwar ziemlich schwer vorauszusehen, was dabei herauskommt, aber genau das ist faszinierend.»

Literaturhinweis

Galvez ME, Connolly JAD, Manning CE. Implications for metal and volatile cycles from the pH of subduction zone fluids. Nature 539, 420–424 (2016). DOI: externe Seite10.1038/nature20103

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