Lasst uns raus!

Smartphone statt Bestimmungsschlüssel, Biodiversität statt Artenkenntnis: Die neuen Exkursionen der Umweltnaturwissenschaftler sind praxisnaher. Dass es Exkursionen überhaupt noch gibt, ist auch dem Engagement der Studierenden zu verdanken.

Exkursion
Unverzichtbare Exkursionen: Mit dem Tessiner Wald kann ein Vorlesungssaal nicht mithalten. (Bild: Urs Brändle)

Ein bisschen stolz ist er schon auf seine Studierenden, wenn Urs Brändle, Lehrspezialist am Departement Umweltsystemwissenschaften, davon erzählt, wie sie für die Exkursionen gekämpft haben: «Es ist ein gutes Beispiel für studentische Mitwirkung an unserem Departement.» Stein des Anstosses waren bei der Überarbeitung des Curriculums die Systematik-Exkursionen. Im ersten Entwurf waren sie nur noch für bestimmte Fachrichtungen vorgesehen. «Der Aufwand ist riesig», begründet Brändle den Entscheid. Doch das wollten die Studierenden nicht hinnehmen. «Sie haben sich dafür eingesetzt, dass sie weiterhin den Stoff vor Ort lernen können», blickt er zurück. Heute gibt es die Exkursionen immer noch – allerdings mit einem anderen Ziel.

Biodiversität statt Artenkenntnis

Bisher stand die Systematik im Zentrum. Die Studierenden haben auf den Exkursionen eine grosse Anzahl an Arten bestimmt. Nun steht die Biodiversität im Fokus. «Diese ist für Umweltnaturwissenschaftler ein enorm wichtiges Thema», sagt Brändle. «Und nicht nur für die, die später in einem Ökobüro arbeiten.» Von Insekten über Wasservögel bis hin zu Gräsern und Flechten soll anhand verschiedener Organismengruppen die Biodiversität auf Exkursionen erfahren werden. Nach den Exkursionen sollen die Studierenden mit einer geschärften Wahrnehmung durch die Natur gehen.

Andrea Funk, die selber an der ETH Umweltnaturwissenschaften studiert hat und die Exkursionen heute koordiniert, betont aber: «Artenkenntnis ist durchaus wichtig, aber wir verfolgen einen exemplarischen Einstieg ins Thema.» Deshalb müssen die Studierenden nur ein bis zwei Dutzend Arten pro Organismenbereich kennen – natürlich im Bewusstsein, dass dies nur ein kleiner Teil ist. «Wer sein Wissen weiter vertiefen will, findet in den Folgesemestern dafür eine breite Palette an Lehrangeboten», sagt sie.

Gut vorbereitet ins Feld

Die Exkursionen finden als halbtägige Module statt. Von den 14 verschiedenen Angeboten wählen die Bachelorstudierenden sechs aus. In der ersten Semesterwoche treffen sich Experten und die rund 140 Studierenden zu einer Einführung. Neben Fachvorträgen zum Biodiversitätsmonitoring üben sie die mobile Datenerfassung mit ihren eigenen Smartphones. Doch bevor es im Feld losgeht, müssen die Studierenden einen Onlinetest zu den Arten der jeweiligen Exkursion bestehen, auf den sie sich mittels Bildmaterial und Videos vorbereiten können.

Die Exkursion beginnt mit einer Repetition der Arten. «Die Praxis sieht ganz anders aus als die Übungen am Computer», sagt Funk. «Den Knopf drücken und dann singt der Vogel, das funktioniert in der Natur nicht.» Auch sehen Pflanzen im Feld weit individueller aus als das Musterbeispiel auf einem Lehrbild. Doch sobald der Unterrichtsstoff sitzt, beginnen die Studierenden im Feld die Arten zu finden und zu erfassen. Je nach Modul laufen sie eine Strecke ab und machen zum Beispiel eine Kartierung oder eine Bestandszählung – ob von Pflanzen, Flechten, Vogelstimmen oder Spinnennetzen. Der Standort wird jeweils mit Hilfe des Smartphones eruiert. Schliesslich werten die Studierenden gemeinsam mit den Experten die ersten Daten bereits vor Ort aus.

Am Ende des Semesters bei der Auswertung im Plenum geht es dann allerdings nicht nur um die Biodiversität. «Genauso wichtig wie die ökologische Fragestellung ist für mich das kritische Hinterfragen der Datenqualität», betont Brändle und gibt ein Beispiel: Beim Modul Spinnentiere müssen die Studierenden auch anhand der Netze die Art bestimmen. Da passieren leicht Fehler. Deshalb diskutieren die Experten mit den Studierenden, wie viele Datensätze es braucht, damit die Fehlbestimmungen nicht mehr ins Gewicht fallen. «Der Datenaspekt geht im Zeitalter von Big Data weit über die Ökologie hinaus», ergänzt Funk.

Mehr Köpfe, mehr Fachwissen

Dass diese Exkursion viel Aufwand mit sich bringt, überrascht nicht. Deshalb ist Brändle froh, dass die Exkursionslast neu auf verschiedene Professuren und Institute verteilt ist. Die 46 Exkursionshalbtage werden von einem Dutzend Expertinnen und Experten und zusätzlichen Hilfsassistierenden betreut. Dies bringt ein grösseres fachliches Spektrum mit sich und damit ein breiteres Angebot.

Es bedeutet aber auch mehr Koordinationsarbeit und einen grossen Initialaufwand für die erstmalige Vorbereitung und Durchführung: Neben den Onlinematerialien für die Vorbereitung und die Datenerfassung wurde auch der Algorithmus für die optimale Zuteilung der Studierenden zu den Exkursionshalbtagen von Grund auf neu entwickelt. Um diesen Aufwand zu stemmen, hat Brändle ein Innovedum- Projekt lanciert, mit dem zwei Teilzeitstellen für ein Jahr finanziert werden konnten. «Das ist sehr wertvoll», sagt Brändle. «Innovedum erlaubt es, etwas Ausserplanmässiges, wie das Etablieren dieser Exkursionen, zu finanzieren.» Nach den erfolgreichen Pilotexkursionen im letzten Jahr freut er sich nun, im diesem Semester mit der neuen Lehrveranstaltung zu starten.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von «Globe» erschienen.

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