Ein guter Match für Neues

KMU spielen für die Schweizer Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Wie KMU und die ETH Zürich Innovationen für den Markt schaffen und wie Partnerschaften gelingen, zeigen die folgenden Beispiele.

Industry Day
Industrievertreter und ETH-Forschende treffen sich am Industry Day. (Bild: Oliver Bartenschlager)

Woran denken Sie, wenn der Name «ETH Zürich» fällt? An Ihr eigenes Studium? An einen brillanten jungen Menschen, der da studiert? Vielleicht an Grundlagenforschung auf Weltniveau. Doch wie sieht es mit Industriekooperationen aus? «Die ETH hat viele Industriepartner, nur wissen leider noch viel zu wenige, dass die ETH sehr gute Forschungsprojekte mit KMU durchführt», sagt Detlef Günther, Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen.

Offene Türen für KMU

Eine zentrale Aufgabe öffentlich finanzierter Hochschulen ist es, ihr Wissen aus der Grundlagenforschung an Wirtschaft und Gesellschaft weiterzugeben. Nur wenn Firmen die Chancen nutzen, die neue Technologien und Verfahren, wie zum Beispiel die Additive Fertigung, eröffnen, bleiben sie wettbewerbsfähig und schaffen Arbeitsplätze. «Da in der Schweiz 99 Prozent der Firmen KMU mit weniger als 250 Mitarbeitenden sind, versteht es sich von selbst, dass die ETH auch mit kleinen und mittleren Unternehmen Kooperationen sucht», sagt Günther. Nur sei das noch nicht so richtig im kollektiven Bewusstsein verankert.

«Die Chance für eine Zusammenarbeit sind dann besonders gross, wenn sich neues Wissen aus der Grundlagenforschung mit einer konkreten Anwendung verbinden lässt»Urs Zuber, Head Industry Relations

Vor rund drei Jahren hat die ETH das Team Industry Relations als Eintrittstor für Unternehmen verstärkt. Eine Website richtet sich speziell an KMU und zeigt anhand von Beispielen, wie die ETH mit der Industrie zusammenarbeitet. Diese Anstrengungen tragen laut Günther erste Früchte: «Wir sehen, dass inzwischen wesentlich mehr KMU den Weg an die ETH finden.» Rund ein Viertel der Anfragen bei Industry Relations stammen von KMU, und bei den Verträgen, die zwischen der Technologietransferstelle ETH Transfer und Unternehmen abgeschlossen werden, beträgt der Anteil Projekte mit KMU-Beteiligung ein Drittel. «Da hat die ETH in den letzten Jahren stark zugelegt», sagt Günther.

Eintrittstor Industry Relations

Allein im vergangenen Jahr verzeichnete Industry Relations über 300 Anfragen. «Wir finden die richtigen Ansprechpartner und organisieren Treffen, vermitteln den Firmen aber auch, wie die ETH funktioniert, welche Gefässe es für Kooperationen gibt und mit welchen Kosten Projekte verbunden sind», erklärt Teamleiter Urs Zuber. Im weiteren Verlauf evaluiert das Team mögliche Koopera­tionspartner in der ETH, macht Laborbesichtigungen mit Firmenvertretern oder organisiert Workshops, in denen Professuren ihr Forschungsgebiet und Firmen ihre Anliegen präsentieren. «Die Chance für eine Zusammenarbeit sind dann besonders gross, wenn sich neues Wissen aus der Grundlagenforschung mit einer konkreten Anwendung verbinden lässt», sagt Zuber. Bei Fragestellungen, die mit herkömmlichen Technologien und Methoden gelöst werden können, verweist das Team an andere Stellen. «Doch auch hier versuchen wir zu helfen», ergänzt er.  

Inspire: Wissen für die MEM-Industrie  

Laser-Inspire
Lasertechnik mit Inspire: Herstellung 
eines Mikrowerkzeugs mit einem 
ultrakurz gepulsten Laser. (Bild: Maximilian Warhanek, IWF / ETH Zürich)

Einen besonders hohen Stellenwert geniesst die Anwendung von Wissen aus der Grundlagenforschung im Ma­schinenbau. Um dies zu fördern, ist bereits vor 14 Jahren aus einer gemeinsamen Initiative der ETH Zürich mit der MEM-Industrie die Inspire AG hervorgegangen. Ziel von Inspire ist es, die Innovationskraft der Schweizer Industrie zu stärken. «Wir wollen die Lücke zwischen Grundlagenforschung von Hochschulen und der Produkteentwicklung in der Industrie schliessen», erklärt Martin Stöckli, Operativer Leiter von Inspire. Das Angebot richtet sich insbesondere an KMU, die oft nicht über eine eigene Forschungs­abteilung verfügen.

80 Forschende arbeiten bei Inspire in zehn Forschungsgruppen, die von sechs ETH-Professoren fachlich betreut werden. Sie decken alle Wissensgebiete ab, die für Design, Entwicklung und industrielle Herstellung hochwertiger technischer Produkte von Bedeutung sind. Laufend sind rund 70 Projekte in Bearbeitung, an denen mehrere Firmen und Hochschulen beteiligt sein können.

Als Beispiel nennt Stöckli ein Kooperationsprojekt, bei dem es darum ging, mit einer Ultrakurzpulslasermaschine Kleinstwerkzeuge aus Hartmetall, in diesem Fall Mikrofräser, mit einem Durchmesser von weniger als einem halben Millimeter herzustellen. Die Projektpartnerin Fraisa SA mit Sitz in Bellach bei Solothurn produziert solche Mikrowerkzeuge, die bei der Herstellung medizinischer und elektronischer Geräte, aber auch bei Uhren zum Einsatz kommen. Produziert werden die Fräser unter anderem mit hochpräzisen Werkzeugmaschinen der Ewag AG, die weltweit unterschiedlichste Industrien beliefert und sich als zweite Partnerin am Projekt beteiligte.

Mikrofräser sind aus sehr hartem Material, das bei herkömmlichen Methoden oft mit Diamantenwerkzeugen geschliffen wird. «In diesem Prozess wird aber auch das Diamantwerkzeug abgenutzt, und entsprechend teuer ist das Verfahren», erklärt Stöckli. Zudem können Kräfte, Vibrationen und Hitze beim mechanischen Prozess das Werkzeug schädigen. Anders sieht es aus, wenn das Material mit einem ultrakurz gepulsten Laserstrahl bearbeitet wird: «Die getroffenen Atome werden vom hochenergetischen Laserstrahl quasi weggesprengt, und zwar so, dass das benachbarte Material kaum etwas abbekommt, dass es also praktisch keinen Wärmeeintrag ins Werkstück gibt», erklärt Stöckli das Prinzip.

Das Material wird also gleichsam verdampft. Verblüffend dabei ist die Präzision. Im Kooperationsprojekt konnten die Forschenden zeigen, dass der Werkzeugrohling nicht beschädigt wird, wenn geeignete Strahlquellen verwendet werden. Erste Versuche mit den erzeugten Mikrofräsern haben zudem demonstriert, dass ihre Leistungsfähigkeit mit derjenigen geschliffener Werkzeuge mindestens vergleichbar ist. Grosser Vorteil: Sie sind deutlich günstiger in der Herstellung.

Realisiert wurde das Projekt mit Unterstützung der KTI, heute Innosuisse, bei der Inspire als Forschungsstätte akkreditiert ist. Wie aber kommt es zu solchen Kooperationen? «Viele Ideen entstehen an Fachveranstaltungen, an Fachgruppentreffen von Swissmem oder an ETH-Anlässen wie dem Industry Day, an denen sich ETH-Professoren und Gruppenleiter von ­Inspire mit Firmenvertretern austauschen», weiss Stöckli. Auch Weiterbildungsprogramme dienen solchen Kontakten. Bis aus einem ersten Kontakt ein konkretes Projekt wird, kann auch mal etwas dauern. «Das ist keine verlorene Zeit, weil so das notwendige Vertrauen in die jeweiligen Fähigkeiten des Partners aufgebaut wird», sagt Stöckli.

Die direkte Kontaktaufnahme

Mirko Meboldt ist ETH-Professor für Produktentwicklung und Konstruktion und einer der sechs Leitprofessoren bei Inspire. Er pflegt aber auch direkte Kontakte zu Firmen. Vor drei Jahren gab der Experte für Additive Fertigung ein Radiointerview und erhielt darauf einen Anruf von Thomas Weber: der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Weber ist Inhaber von Alpa, einem Kamerahersteller im Premiumbereich am Fuss des Zürichbergs. Die Firma mit zwölf Mitarbeitenden fertigt Systemkameras für Profifotografen, in die sich zahlreiche Objektive und Backs integrieren lassen.

«Zunächst haben wir eine Pilotstudie im Rahmen einer Semesterarbeit realisiert, um die Technologie kennenzulernen», erzählt Meboldt. Im Zentrum standen die Fragen, was Additive Fertigung für die Konstruktion und die Produktion bedeutet und wie der Kunde die Technologie akzeptiert. Dann ging es darum, bei Alpa über zwei Jahre inkrementell Wissen aufzubauen. Am Anfang druckten die Partner Kleinteile, etwa einen Hebel für die Kameraeinstellung. «Keine wirkliche Herausforderung», lacht Meboldt. Doch der erste Schritt für die Umsetzung der Implementierungsstrategie. «Erfahrungen in Kleinprojekten zu sammeln, ist essenziell, denn die Mitarbeitenden müssen sich die Technologie zu eigen machen», erklärt Meboldt. So wird bei Partnerfirmen die Expertise im Umgang mit der Technologie aufgebaut und das Risiko eines finanziellen Verlusts minimiert.  

Alpa
Mit Additiver Fertigung kann die Firma Alpa Kamerateile in grosser Formenvielfalt herstellen, die beispielsweise Makrofotografie in höchster Vollendung ermöglichen. (Bild: www.schurian.com)

Mit der Streulichtblende folgte ein Musterbeispiel der Additiven Fertigung: Bisher wurden die Blenden – angepasst an die unterschiedlichen Objektive – in verschiedenen Grössen aus Hartkunststoffen oder Metall gefertigt. Sie waren schwer, und wenn man damit anstiess, gab es einen Schlag aufs Objektiv. Im Austausch mit verschiedenen Partnern kam die Idee auf, dieses Teil aus einem «Gummi», konkret aus thermoplastischem Polyurethan, zu drucken. Die Blenden lassen sich jeweils optimal für eine spezielle Kombination aus Objektiv und Sensorbrennweite abstimmen. Diese Formenvielfalt wäre mit traditionellen Fertigungstechniken nie umzusetzen gewesen.

«Alpa kann so den Bestandteil günstiger herstellen, weil Konstruktions- und Logistikaufwand wegfallen. Zudem hat das Teil einen höheren Kundennutzen, weil es leichter ist und man es zusammengefaltet in eine Tasche stecken kann», berichtet Meboldt. Für die Zukunft planen die Partner einen Konfigurator, in dem die Kunden ihre Streulichtblende individuell bestimmen können. Ziel ist eine nahtlose digitale Kette vom Kunden in die Produktion.

Als Nächstes nahmen sich die Partner der Additiven Fertigung eines ganzen Systems an, einer Kamera für die Photogrammetrie, mit der man hochauflösende 3D-Scans mit der Textur von Objekten machen kann. Nach rund zwei Jahren kam von Alpa die Mitteilung, dass sie die Additive Fertigung als Zukunftstechnologie einschätzen, die für die Firma substanziell sei: der Startschuss für einen Antrag an die KTI (heute Innosuisse).

Im Projekt namens PLATON wollen die Partner die Grundlagen für Produkte im Videosegment mit einem höchstmöglichen Grad an Individualisierung und kurzen Innovationszyklen erarbeiten. Der Gedanke dahinter: Durch das zunehmende Zusammenwachsen von Fotografie und Bewegtbild, gerade im Online-Bereich, entstehen vollkommen neue Marktsegmente, in denen die Kundenbedürfnisse noch wenig bekannt sind. Um darauf schnell und flexibel mit neuen Produkten reagieren zu können, bietet sich der 3D-Druck an.

«Das ist eine exemplarische Roadmap, wie wir sie mit Unternehmen anstreben», sagt Meboldt. Die Zusammenarbeit mit KMU schätzt er nicht zuletzt deshalb, weil bei ihnen Entscheidungsprozesse gewöhnlich schlank ablaufen und sie so Produkte relativ schnell auf den Markt bringen können. Denn darum geht es ihm: «Erst wenn sich Produkte verkaufen, generieren wir mit unserer Forschung einen gesellschaftlichen Nutzen», ist Meboldt überzeugt. Und dafür wünscht er sich noch viele weitere Firmen, die offen sind für Neues.

Globe - KMU & ETH

KMU spielen für die Schweizer Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Wie KMU und die ETH Zürich Innovationen für den Markt schaffen und wie Partnerschaften gelingen, zeigen die Beispiele in der aktuellen Ausgabe von Globe.

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