Mit dem Reha-Roboter nach Hause

Hände sind unser wichtigstes Werkzeug. Bei vielen Schlaganfall-Überlebenden ist die Funktion der Hand stark eingeschränkt. ETH-Forschende entwickeln neuartige Lösungen, die Betroffenen bei der Therapie helfen – und im Alltag.

Reha-Hand
Ein möglichst alltagstaugliches Hand-Exoskelett muss leicht und unkompliziert sein. (Bild: Yves Bachmann / ETH Zürich)

Hände sind unser wichtigstes Werkzeug. Bei vielen Schlaganfallüberlebenden ist die Funktion der betroffenen Hand stark eingeschränkt. Trotz intensiver Physio- und Ergotherapie in den ersten Wochen können zwei Drittel der Betroffenen später ihre betroffene Hand nur eingeschränkt nutzen. Für die Selbstständigkeit im Alltag ist das eine schwere Einschränkung.  Roger Gassert, Professor für Rehabilitationstechnik an der ETH Zürich, möchte das ändern.

«In der Therapie in Kliniken und Rehabilita­tionszentren wird Robotik inzwischen schon recht breit eingesetzt», sagt Gassert. Handlungsbedarf sieht er jedoch vor allem in der Phase, wenn Patientinnen und Patienten aus den Kliniken und Rehazentren wieder in ihre heimische Umgebung kommen. «Der Übertritt in den Alltag ist heikel», erklärt Gassert. Denn in dem Moment, wo ein Patient auf sich gestellt sei, tendiere er dazu, seine gesunde Hand vermehrt einzusetzen und die weniger funktionsfähige Hand zu entlasten. Mit fatalen Folgen: Die geschwächte Hand bleibt nicht nur untrainiert, sondern in der Reha mühsam erworbene Fähigkeiten gehen wieder verloren, Einschränkungen und Lähmungsfolgen werden schlimmer.

Nutzen oder verlieren

Ein kontinuierliches Training der Handfunktionen könnte dem entgegenwirken. Weitere Vorteile: Beim Training der Handfunktionen wird immer auch gleich der Arm mitbewegt und gestärkt. «Beim Greifen sind zudem nicht nur Muskelkraft, sondern auch Sensorik und die dynamische Interaktion mit der Umgebung wichtig, was auch kognitiv fördert», sagt Gassert. Nur: Wie motiviert man Betroffene dazu, ihre eingeschränkte Hand auch zuhause weiter zu trainieren und zu nutzen?

Gassert und sein Team verfolgen zwei Wege: Zum einen wollen sie einen von ihnen entwickelten Roboter zur Therapie von Handfunktionen in der Klinik so weiterentwickeln, dass er auch im Heimbereich eingesetzt werden kann. Zum andern soll dort, wo mit diesem Ansatz wenig Aussicht auf ausreichenden Erfolg besteht, ein Hand-Exoskelett Betroffene beim Greifen von Gegenständen unterstützen. Beide Techniken werden bereits mit Klinikpartnern erprobt. Doch was im geschützten Setting einer Rehabilitationsumgebung funktioniert, muss noch längst nicht für den Einsatz im heimischen Alltag geeignet sein. 

Beim Therapieroboter ReHapticKnob inter­agiert der Patient mit zwei Fingermodulen, die sich relativ zueinander verschieben und so eine Greifbewegung ermöglichen oder sich auch gemeinsam drehen lassen. Verschiedene Sensoren erlauben eine detaillierte Erfassung der motorischen und der sensorischen Handfunktion. Der Apparat kann so eine breite Palette virtueller Objekte mit verschiedenen Eigenschaften darstellen, die der Patient fühlen kann. Mittels virtueller Realität kann er die Greifaufgabe auch visuell überprüfen. Basierend auf einem neurokognitiven Therapieansatz wurden in Zusammenarbeit mit der Klinik Hildebrand in Brissago spezielle neurokognitive Therapieübungen entwickelt und auf dem Roboter implementiert. Der Schwierigkeitsgrad wird je nach ermitteltem Therapiefortschritt automatisch angepasst. 

Im klinischen Therapiesetting wird der Roboter mit gutem Erfolg eingesetzt, wie eine Studie belegen konnte. Ob dieser Ansatz auch für den Heimgebrauch funktioniert, muss sich noch zeigen. «Man kann die Patienten nicht einfach mit so einem Gerät ausstatten und sagen: Nun mach mal», gibt Gassert zu bedenken. Eine Folgestudie soll zunächst erproben, wie die Patienten zurechtkommen, wenn sie die Geräte nach einer Einführung selbstständig in der Klinik ausserhalb der Therapiestunden nutzen dürfen.

Maximale Reduktion

Wenn Technologien zuhause eingesetzt werden sollen, müssen sie vor allem handlich, einfach zu bedienen, unfall- und möglichst wartungsfrei sein, weiss Gassert. Reduce to the max müsse die Devise lauten. Einen grossen Teil des Reduktionsprozesses hat das Hand-Exo­skelett Tenoexo bereits durchlaufen. Es soll unterstützend im Alltag zum Einsatz kommen, um reale Gegenstände zu greifen. «Heute sieht man ziemlich komplexe, schwere Geräte, die vielleicht viel können, aber kaum zu tragen und schwer allein anzuziehen sind», sagt Gassert. Dagegen ist das Exo­skelett aus Gasserts Labor extrem einfach gehalten. So fanden die Forschenden heraus, dass vier Griff­arten genügen, um 80 Prozent aller Objekte zu halten.

Reha-Hand
Das Hand-Exoskelett Tenoexo (Bild: Yves Bachmann / ETH Zürich)

Deshalb kann das Exoskelett nur alle Finger gleichzeitig schliessen. Federn sorgen dafür, dass sie sich elastisch dem Objekt anpassen. Der «Motor» ist in einem kleinen Rucksack untergebracht. Alles in allem wiegt das Exoskelett weniger als 150 Gramm. Den Befehl zur Bewegung erteilt der Träger mittels eines einfachen Knopfdrucks. Auf Sensortechnik oder gar Steuerung über Verbindungen zu Nerven oder Gehirn (sogenannte BCI-Technik) hat Gasserts Team bewusst verzichtet. «Klar ist das spannend – aber derzeit ist das noch viel zu störungs- und fehleranfällig im Alltag», winkt Gassert ab.

Seine Vision, robotergestützte Rehabilitation und Assistenz in den Alltag zu bringen, verfolgt er konsequent. In Zukunft wird er nicht nur mit Kliniken und Partnern aus der Schweiz und Nachbarländern zusammenarbeiten, sondern seine Vision im neuen Forschungsmodul «Future Health Technologies» am Singapore-ETH Centre weiterentwickeln können. Das Umfeld in Singapur ist in seinen Augen ideal: kompetente Forschungspartner, eine technikaffine Gesellschaft und ein engmaschiges Gesundheitssystem, das Patienten bis in den Heimbereich hinein begleitet. «So erhoffen wir uns leichteren Zugang zu den Patienten daheim.» 

Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.

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Rehabilitation Engineering Laboratory

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