Der Antikörper-Ingenieur
Für seine Doktorarbeit hat Jonathan Kiefer Antikörper hergestellt, die dem körpereigenen Abwehrsystem helfen, gegen Leukämiezellen vorzugehen. Mit dem Pioneer-Fellowship der ETH Zürich möchte er nun seinen Traum verwirklichen: die Moleküle weiterentwickeln und als Therapie zur Marktreife bringen.
Die Akute Myeloische Leukämie (AML) ist eine bösartige Blutkrebserkrankung, bei welcher die Blutstammzellen im Knochenmark entarten – und statt gesunder Blutzellen nur noch eine massive Zahl von unreifen Blutkörperchen produzieren. «Die erfolgreichste Heilungsmethode zurzeit ist die Blutstammzelltransplantation», sagt Jonathan Kiefer, seit anfangs Jahr Pioneer-Fellow an der ETH Zürich.
Behandlung älteren Patienten zugänglich machen
Bevor einer Person neue Stammzellen transplantiert werden können, muss ihr gesamtes blutbildendes System eliminiert werden. Normalerweise geschieht dies mit einer intensiven Chemotherapie. «Doch diese Chemotherapie ist sehr toxisch und hat starke Nebenwirkungen», sagt Kiefer. Deswegen komme die Stammzelltransplantation nur für eine Minderheit von jungen und gesundheitlich robusten Patienten in Frage.
«Mit unseren Antikörpern wollen wir die Stammzelltransplantation auch der Mehrheit von älteren Patienten zugänglich machen», sagt Kiefer. Mit designten Molekülen – Kiefer spricht von «Antikörper bauen» – wollen die Forschenden das Immunsystem anleiten, gegen die Leukämiezellen vorzugehen.
«Wir nennen unsere Antikörper bispezifisch, weil sie sich an zwei Sachen auf einmal heften können», erklärt Kiefer. Die Antikörper erkennen Oberflächenproteine auf den durch die Leukämie befallenen Blutstammzellen und Eiweisse auf der Oberfläche von bestimmten Immunzellen, den zytotoxischen T-Zellen. Diese schützen den menschlichen Körper, indem sie kranke Zellen abtöten und eliminieren. Wenn die bispezifischen Antikörper ihre beiden Bindungsstellen besetzen, formen sie eine Brücke zwischen den Leukämie- und den Abwehrzellen – und zeigen so den Abwehrzellen, welche Zellen sie bekämpfen sollen.
«Immer den Bezug zur Anwendung gesucht»
«Unser immuntherapeutischer Ansatz ist viel zielgerichteter als die intensive Chemotherapie», sagt Kiefer. «Wenn er sich auch in der Klinik bewährt, könnten in Zukunft weltweit etwa 150'000 statt aktuell 50'000 Stammzelltransplantationen durchgeführt werden – also dreimal so viele Patientinnen und Patienten wie heute die Chance auf eine Heilung erhalten.» Allerdings liegt dieses Ziel noch in weiter Ferne. «Es dauert wohl noch ein paar Jahre, bevor wir die Antikörper erstmals bei Menschen testen können», meint Kiefer.
Der 31-jährige Biotechnologe ist in München geboren und aufgewachsen. Während seines Bachelor-Studiums in Heidelberg hat er am Deutschen Krebsforschungszentrum seine ersten praktischen Erfahrungen im Labor gemacht, schon damals ging es um Antikörper. «Ich habe immer den Bezug zur Anwendung gesucht», sagt Kiefer.
Für sein Master-Studium hat sich Kiefer für die ETH Zürich entschieden, ihres guten Rufes wegen. Nach einem kurzen Forschungsaufenthalt am MIT in Boston ist er für seine Doktorarbeit wieder an die ETH Zürich zurückgekehrt, wo er in der Forschungsgruppe von ETH-Professor Dario Neri am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften die bispezifischen Antikörper entwickelt hat.
Arbeiten im Labor ruhten
Schon während seiner Doktorarbeit hat Kiefer eng mit dem Team um Markus Manz vom Universitätsspital Zürich zusammengearbeitet. An dieser erfolgreichen Kollaboration will Kiefer nun mit einem Pioneer-Fellow-Stipendium anknüpfen. Es sichert Personen, die ein Spin-Off-Unternehmen gründen wollen, während 18 Monaten nicht nur einen Lohn und einen gut eingerichteten Arbeitsplatz, das Programm beinhaltet auch Trainings und Business-Kurse sowie ein Coaching von erfahrenen Unternehmensgründern.
Das Fellowship hat Kiefer in diesem Februar begonnen. Aufgrund der Corona-Massnahmen musste er jedoch schon bald die Arbeiten im Labor ruhen lassen. «Ich nutze die Zeit, um am Business Case zu feilen und mit Risikokapital-Beteiligungsgesellschaften wegen einer Anschlussfinanzierung in Kontakt zu treten», sagt Kiefer.
Für Kiefer war es «schon immer ein Traum, ein neues Medikament zu entwickeln». Er ist sich bewusst, dass die Chancen auf einen Erfolg dünn gesät sind: Es gibt viele Biotech-Startups, aber nur wenige, die tatsächlich ein neues Heilmittel auf den Markt bringen. Doch er weiss, dass er auf die Unterstützung seiner Mentoren Neri und Manz zählen kann. «Damit habe ich eine starke Ausgangslage für die Gründung eines Unternehmens», sagt Kiefer.
Es braucht Mut, um sich den vielen Ungewissheiten auf dem Weg zum wirtschaftlichen Erfolg zu stellen. Für Kiefer ist allerdings klar: «Das Molekül hat eine Chance verdient, weiterentwickelt zu werden. Denn die Antikörper haben das Potenzial, den Therapiestandard bei der Akuten Myeloischen Leukämie zu revolutionieren. Und sie kommen darüber hinaus auch für den Einsatz in anderen Bereichen der regenerativen Medizin in Frage», sagt Kiefer.