Alles grösser
Schon ist die Zeit für das erste Experiment um und die vier Studierenden gehen weiter zu Lucien Biolley, Mitarbeiter am Institut für Umweltingenieurwissenschaften. Gemeinsam mit Marius Floriancic hält er die Feldtechnik das ganze Jahr über auf Vordermann und bereitet das Material für das Modul vor – nicht weniger als zwei Transporter und zwei vollgepackte Anhänger werden jedes Jahr vom Hönggerberg nach Kappelen gefahren. Lucien Biolley erklärt nun, wie der Grundwasserspiegel mit einem Drucksensor kontinuierlich gemessen werden kann. Die blauen Schläuche in den Bohrlochdeckeln beherbergen die Kabel, die die Messwerte zur Datenbox leiten. Dort werden die Daten gesammelt und können sogar in Zürich abgerufen werden. Später werden die Studierenden die Daten der letzten fünf Jahre bekommen und am Computer auswerten. Jetzt heisst es aber zuerst anpacken!
Carole, Gianna, Raffaele und Robyn müssen mit einer Schubkarre einen 1000-Liter-Wassertank holen. Zum Glück ist er leer – noch. Denn kaum haben sie ihn in der Nähe eines Bohrlochs abgeladen, installieren sie dort eine Pumpe und beginnen, den Tank mit Grundwasser zu füllen. Das Wasser wird am Abend eingefärbt und für einen Markierversuch gebraucht. «Ich mag, dass hier im Feld alles so gross ist», sagt Lucien Biolley. «Die Geräte sind zum Anfassen. Das hilft beim Verstehen.»
Darin sind sich auch die vier Studierenden einig. Robyn und Carole haben ihren Bachelor in den Umweltnaturwissenschaften gemacht und für den Master zu den Umweltingenieurwissenschaften gewechselt. «Mich faszinieren die technischen Lösungen bei Umweltfragen. Ich mag die praktische Herangehensweise», sagt Carole. Und Robyn ergänzt: «Wir lernen hier nicht nur inhaltlich viel, mir gibt dieses Modul auch einen wichtigen Einblick, wie der Beruf der Umweltingenieurin aussehen kann.»
Wald oder Wiese?
Bevor der Markierversuch startet, treffen die vier Marius Floriancic beim Hornusserhaus. Bei ihm geht es um die Feuchtigkeit im Boden. Um zu messen, wie viel Wasser ein Boden aufnehmen kann, müssen Tensiometer zusammengebaut werden. Das sind kleine wassergefüllte Röhren mit einem Keramikteil am Ende. Je trockener der Boden, desto einfacher gelangt das Wasser aus der Keramik in die Umgebung. Deshalb stecken die Studierenden die Röhrchen unterschiedlich tief in den Waldboden und lesen die jeweilige Saugspannung ab, ein Mass für die Wasseraufnahmefähigkeit des Bodens.
Dann kommt das zweite Messgerät zum Einsatz. Eine grosse Gabel, die schlicht die Bodenfeuchte misst. Marius Floriancic will wissen, wo der Boden prinzipiell feuchter ist: im Wald oder auf der offenen Wiese? Studierende, Autorin, Fotografin, alle sind sich einig: «Wald!» Zur Überraschung aller zeigen die gemessenen Werte das Gegenteil. Gemeinsam suchen die Studierenden und der Dozent nach Gründen: Bei Regen halten die Baumkronen und die Streu am Waldboden Wasser zurück. Bäume entziehen dem Boden mehr Wasser als Gras. Und schliesslich ist Waldboden durchlässiger und es versickert mehr Wasser als beim dichten Wiesenboden.
«Rechnen und Modellieren, das haben ETH-Studierende wirklich im Griff. Aber die Arbeit hier im Feld hilft ihnen, ihr Grundlagenwissen auch praktisch anzuwenden», sagt Marius Floriancic und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dann wird er ernst: «Dieses Modul ist teuer, aber die Investition lohnt sich.» Und dann müssen alle los zurück in den Wald zum Wassertank, wo Lucien Biolley den farbigen Markierstoff hineingiesst. Vom Tank strömt das gefärbte Wasser durch einen dicken Schlauch in eines der Bohrlöcher ins Grundwasser. Etwa 30 Meter entfernt wird bei einem anderen Bohrloch Grundwasser hochgepumpt und durch einen Farbdetektor geleitet. Es wird noch dauern, bis das gefärbte Wasser ankommt.
Für heute haben die Studierenden genug praktisch gearbeitet. Sie werden später noch am Computer Daten auswerten. Genau dies gefällt Raffaele: «Die Kombination aus Feld und Computer finde ich spannend.» Auch Gianna gefällt die Abwechslung. Die Stipendiatin des Excellence Scholarship & Opportunity Programme der ETH bringt es auf den Punkt: «Die Mischung aus Technik und Natur macht für mich den Reiz der Umweltingenieurwissenschaften aus.»
Kommentare
Noch keine Kommentare