Ein Bild der Erdoberfläche zeichnen
Jan Dirk Wegner erforscht mithilfe von künstlicher Intelligenz verschiedene Parameter der Erdoberfläche. Er möchte so die Lebensqualität verbessern und die Umwelt schützen. Nun wird er in die Young Scientists Community des WEF aufgenommen.
Wie verändert sich weltweit die Artenvielfalt? Wie kann die Produktion von Schokolade nachhaltiger werden? Und wie steht es um die Äcker der Schweizer Bauern? Diesen und ähnlichen Fragen geht Jan Dirk Wegner auf den Grund. Sein Ziel: Die Lebensqualität der Menschen auf der ganzen Welt verbessern und gleichzeitig die Umwelt schützen. Das klingt nach einem hoch gegriffenen Ziel, doch Wegner verfolgt es nicht allein. Um es zu erreichen, hat er vor drei Jahren das EcoVision Lab an der ETH Zürich gegründet.
Das zehnköpfige Team entwickelt Computeranwendungen, die ökologische Daten automatisiert analysieren. Damit können die Forschenden beispielsweise die Biodiversität auf der ganzen Erde messen. Für ihre Analysen nutzen sie Methoden der Fernerkundung (die berührungsfreie Erkundung der Erdoberfläche) und der Photogrammetrie (die räumliche Darstellung von Objekten). Die Daten beziehen sie aus diversen Quellen – von Satellitenbildern über Radar- und Wetterdaten bis hin zu Daten aus dem Feld. «Ziel ist es, verschiedene Perspektiven auf die Erde zu erhalten», erklärt Wegner. Künstliche Intelligenz wertet das Gesamtpaket an verschiedenen Daten schliesslich aus und zeichnet automatisiert globale Karten, etwa von der biologischen Vielfalt, der landwirtschaftlichen Nutzung oder der Abholzung.
Mit Software gegen Hungersnöte
«Ich möchte mit meiner Forschung etwas bewegen und die Welt ein Stück weiterbringen», sagt Wegner. Weil dies aus einem Labor in Zürich kaum möglich ist, gehen er und sein Team einen Schritt weiter: Die Software, die das EcoVision Lab entwickelt, mit all ihren Funktionen und Algorithmen, kann weltweit von öffentlich zugänglichen Plattformen heruntergeladen und angewendet werden. «Diese Programme funktionieren hochautomatisiert. Die Ergebnisse sind deshalb objektiv und somit vergleichbar», sagt Wegner. In der Frage nach der Artenvielfalt beispielsweise können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dadurch aussagekräftige Erkenntnisse auf globaler Ebene gewinnen.
«Die Forschung in und mit Entwicklungsländern bietet eine Reihe spannender Forschungsfragen, die das Potenzial haben, das Leben der dort lebenden Menschen positiv zu beeinflussen.»Jan Dirk Wegner
Neben der Vergleichbarkeit der Daten hat die Bereitstellung der Software noch einen anderen Zweck, sagt Wegner: «Ich bin überzeugt, dass Fernerkundung und maschinelles Lernen grosses Potenzial haben, die Entwicklung in ärmeren Regionen voranzutreiben. Mithilfe von Satellitenbildern und künstlicher Intelligenz könnten beispielsweise Agrarflächen beurteilt werden, um Ernten abzuschätzen und Hungersnöten entgegenzuwirken.»
Inspiriert vom Dalai Lama
Eigentlich wollte Jan Dirk Wegner Physik und Philosophie studieren. Da diese Kombination jedoch nicht möglich war, musste er über die Bücher. Durch seinen Vater, einen Geomatiker mit eigenem Vermessungsbüro, kam er auf Geodäsie und Geoinformatik. Nach dem Studium an der Leibniz Universität Hannover war für den Deutschen klar, dass er in die Forschung gehen möchte. «Während des Studiums habe ich mir mehr Freiheit für eigene Ideen gewünscht, es war oft ein Abarbeiten von Aufgaben und Prüfungen und dieses Abarbeiten gefiel mir nicht. Viel lieber wollte ich innovativ sein und Dinge entwickeln, die den Menschen etwas nützen», sagt Wegner.
Inspiriert dazu wurde er unterem anderem vom Dalai Lama. Dieser besuchte Wegners Heimatstadt Oldenburg im Jahr 1998 und der damals 16-jährige Schüler hatte die Möglichkeit, ihn kennenzulernen und seinen Vortrag anzuhören. «Er hat mich mit seiner ausgleichenden aber gleichzeitig enthusiastischen Art und seinem sozialen Engagement sehr beeindruckt», erinnert sich Wegner.
Nach seiner Doktorarbeit und einer Rucksackreise durch Südamerika entschied er sich, an die ETH zu kommen. Hier erhielt er ein Stipendium für Postdoktorierende, mit welchem die Hochschule vielversprechende Nachwuchsforschende fördert. Seither treibt er in der Gruppe Photogrammetrie und Fernerkundung von Konrad Schindler jene Themen voran, die ihm am Herzen liegen.
Keine illegale Schokolade
Eine Sache, die Jan Dirk Wegner besonders wichtig ist, ist die Unterstützung von weniger privilegierten Regionen. Deshalb ist das EcoVision Lab Teil der ETH+-Initiative «ETH for Development». Diese entwickelt alternative Ansätze zur Bekämpfung von Armut und bildet zukünftige Führungskräfte aus, die sich für eine nachhaltige globale Entwicklung einsetzen.
Im Rahmen dieser Initiative arbeiten das EcoVision Lab und der Schokoladenproduzent Barry Callebaut – einer der grössten Schokoladenproduzenten der Welt mit Sitz in Zürich – zusammen, um mithilfe von künstlicher Intelligenz und Satellitendaten die Abholzung zu stoppen. Anhand von Satellitenbildern erkennt die von Wegners Team entwickelte Software, wo illegal in Naturschutzgebieten Kakao angebaut wird, und Schokoladenfabrikanten beziehen in der Folge keine Kakaobohnen aus diesen Regionen. Gleichzeitig versuchen die Produzenten, den betroffenen Bauern Alternativen zum illegalen Kakaoanbau aufzuzeigen. «ETH for Development» bietet das Netzwerk dafür.
«Mir ist bewusst, dass künstliche Intelligenz auf den ersten Blick nicht viel mit der Umwelt zu tun hat – dabei hat diese Kombination riesiges Potenzial.»Jan Dirk Wegner
«Die Forschung in und mit Entwicklungsländern bietet eine Reihe spannender Forschungsfragen, die das Potenzial haben, das Leben der dort lebenden Menschen positiv zu beeinflussen», sagt Wegner. Die Zusammenarbeit mit kreativen Köpfen ausserhalb der westlichen Welt eröffne ihm neue Denkweisen und Ideen. Deshalb bezieht der Wissenschaftler Menschen aus Entwicklungsländern aktiv in seine Forschung ein und stellt ihnen die nötige Software zur Datenanalyse zur Verfügung.
Erfolg dank Diversität
Nun wird Jan Dirk Wegner in die Young Scientists Community des Weltwirtschaftsforums WEF aufgenommen. Zu dieser Community gehören jährlich 25 aussergewöhnliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt und diversen akademischen Disziplinen für einen Zeitraum von drei Jahren. Die Community bietet ein Netzwerk aus zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.
Dieses Netzwerk ist für Wegner, das EcoVision Lab und dessen Forschung zentral. «Wenn der illegale Kakaoanbau in Ghana gestoppt werden soll, kann ich das nicht im Alleingang tun. Ich bin angewiesen auf die Regierung oder NGOs, die dieses Bestreben unterstützen», erklärt Wegner.
Ausserdem erweitere der Austausch mit Forschenden aus anderen Disziplinen sowie mit Personen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Horizont. «Je mehr kreative Köpfe einbezogen werden, desto mehr verschiedene Perspektiven erhält man.» Wie in Wegners Forschung, wo diverse Datensätze kombiniert werden, um ein Gesamtbild der Erdoberfläche zu erhalten, ist für Wegner auch im Forschungsalltag Diversität und Interdisziplinarität der Schlüssel zum Erfolg.
«Mir ist bewusst, dass künstliche Intelligenz auf den ersten Blick nicht viel mit der Umwelt zu tun hat – dabei hat diese Kombination riesiges Potenzial», sagt er. Jan Dirk Wegner ist überzeugt, dass durch die Zusammenarbeit von verschiedenen Disziplinen Synergien entstehen, die für globale Lösungsansätze genutzt werden können – um so die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und gleichzeitig die Umwelt zu schützen.