Materialdesign im Kleinen
Dank der besonderen Gesetze im Nanokosmos können Wissenschaftler Materialien massschneidern und ihnen völlig neue Eigenschaften entlocken. Zum Beispiel für schnellere Mikroprozessoren oder natürlicher wirkende Zahnimplantate.
Ralph Spolenak räumt gleich zu Beginn mit einem Missverständnis auf: Kleiner ist nicht immer besser in der Nanowelt der Materialien. Ab einer gewissen Winzigkeit können negative Effekte überwiegen. Der Leiter des Laboratoriums für Nanometallurgie der ETH Zürich sucht mit seinem Team daher die optimale Längenskala für Materialien, bei der sich deren Eigenschaften verbessern, bevor sie sich wieder verschlechtern. Da diese Längenskala zwar häufig, aber eben nicht immer im Nanobereich, also unter 100 Nanometern liegt, bevorzugt der Professor den Begriff «klein» statt «nano». Sein Ziel: «Im Kleinen einen Vorteil erzielen.»
Dabei widerspricht der Effekt, der eintritt, wenn man Materialien verkleinert, zunächst einmal dem gesunden Menschenverstand. Stellen Sie sich vor, man dünne eine dicke Kupferschicht auf 20 Nanometer aus, dann wird sie zehnmal fester. Wie kann das sein?
Im dicken Kupferklotz, erklärt Ralph Spolenak, können sich Materialdefekte wie Falten in einem Teppich fortbewegen. Sie wandern quasi durch die Kupferschicht hindurch und machen sie dadurch weicher. In der nur nanometerdünnen Schicht dagegen liegen die Begrenzungsflächen so eng beieinander, dass Defekte nicht mehr «wandern» können und die Festigkeit steigt. Je nachdem, welche Eigenschaften ein Material haben soll, können die Forscher also Defekte bewusst ausnutzen oder aber sie daran hindern, sich auszubreiten – also ein Material entsprechend weicher oder fester machen. Aber eben nur bis zu einer gewissen Grenze: Irgendwann wird zum Beispiel aus fest spröde und das Material versagt.
Germanium wird lasertauglich
Wie Spolenak und sein Team mit Materialdefekten und Grenzen im Nanobereich «experimentieren», zeigt ein Beispiel aus deren aktueller Forschung. Gemeinsam mit weiteren ETH-Wissenschaftlern sowie Forschern des Paul Scherrer Instituts PSI und des Politecnico di Milano haben sie es geschafft, den an sich für Laser ungeeigneten Halbleiter Germanium lasertauglich zu machen. Dadurch könnten künftig Teile eines Mikroprozessors mit Licht kommunizieren – wodurch Computer schneller und leistungsfähiger würden.
Im Gegensatz zu Strom und Kupferkabel kann Licht Signale wesentlich rascher übertragen. Da sich Silizium, das Grundmaterial aller Computerchips, nicht für den Bau von Lasern eignet, setzen die Wissenschaftler auf Germanium; zumal dies bestens mit Silizium kompatibel ist. «Wenn man Metalle kleiner macht, geht der spezifische Widerstand hoch, und damit reduziert sich die Geschwindigkeit, mit der sich Informationen über elektrische Signale übertragen lassen. Dieser Effekt stellt ein Limit der Miniaturisierung dar, das sich durch optische Signalübertrag lösen lässt», erklärt Ralph Spolenak.
Damit Germanium zum Einsatz kommen kann, bedarf es einer speziellen Konfiguration von Elektronen. Diese wird erreicht, indem die Forscher es einer Zugspannung aussetzen, es also dehnen, um dem Halbleiter Photonen (Lichtteilchen) zu entlocken. Durch die Dehnung rücken die Atome, aus denen das Metall besteht, aus einander. Infolge dessen können sich die Elektronen, die Träger der elektrischen Ladung, ungestörter bewegen und gelangen auf Energieniveaus, die für die Entstehung von Photonen günstig sind.
Schon bei einer Dehnung von 3 Prozent gibt Germanium rund 25mal mehr Photonen ab als im entspannten Zustand. «Das reicht nahezu aus, um einen Laser zu bauen», sagt Spolenak. Drei Prozent hört sich nach wenig an. Doch überträgt man die Nanodimensionen auf die Makrowelt, entspricht diese Zugspannung der Kraft, die auf einen Bleistift wirkt, wenn zwei Lastwagen in entgegengesetzter Richtung daran ziehen. Die notwendigen hohen elastischen Dehnungen sind in diesem Fall nur bei fast defektfreien Materialien möglich.
Material für strahlendes Lächeln
Der ETH-Materialforscher forscht aber auch auf ganz anderen Gebieten, etwa im Bereich Zahnimplantate. Es geht darum, eine Beschichtung für den metallischen Unterbau zu entwickeln, der zwischen Titanschraube und Krone sitzt. Dieser ist sehr dunkel, scheint bei niedriger Knochendichte oder dünnem Zahnfleisch durch oder bildet einen schwarzen Rand, wenn sich das Zahnfleisch zurückzieht.
Um dieses ästhetische Problem zu lösen, haben Spolenak und sein Team mehrere Lagen aus speziellen keramischen Materialien kombiniert, die dick genug sind, um das Dunkle zu überdecken, aber gleichzeitig dünn genug, um den oben erwähnten Skaleneffekt ausnutzen zu können – das heisst: Die Tatsache, dass Material, indem man es kleiner macht, fester wird.
Beim Designen neuer Materialien orientieren sich die Forscher häufig an der Natur. Ein Vorbild ist zum Beispiel das Perlmutt. Es besteht zwar zu 97 Prozent aus sehr spröden, steifen Materialien, doch die Muschelschalen selbst sind rund 3000mal bruchfester als das in ihnen eingebettete Mineral Kalziumkarbonat.
Dafür verantwortlich ist eine spezielle Kombination aus Grösse und Form. So haben die Mineralblättchen nicht nur eine ganz bestimmte Dicke von wenigen zehn Nanometern, sie sind auch in einer ganz bestimmten Struktur ausgerichtet. Beides zusammen macht die Schalen so enorm fest und führt zu attraktiven optischen Eigenschaften, wie sie auch beim «weissen» Implantat zum Einsatz kommen.
Genau nach solchen idealen Kombinationen aus Grösse und Form suchen Spolenak und sein Team auch in der technischen Welt. Doch im Vergleich zur Natur bestehen technische Materialien in der Regel aus einer Vielzahl von Komponenten, was die Suche erschwert. Hinzu kommt, dass Materialien in der Natur genau dort am festesten sind, wo die Belastungen am grössten sind.
Um Materialien derart effizient nutzen zu können, tüfteln die ETH-Forscher daher auch an deren individueller Zusammensetzung. Zum Beispiel, wenn es darum geht, die richtige Materialkombination für einen Automotor zu entwickeln.
Elemente gezielt einsetzen
«Wenn ich dafür eine Legierung machen möchte, brauche ich Elemente, die vielleicht selten auf unserem Planeten vorkommen und die sehr teuer sind. Wenn ich diese Elemente nur dort einsetzen müsste, wo die höchsten Belastungen sind, könnte ich eine Menge Geld und Material sparen und überdies auch Ressourcen und damit
unsere Umwelt schonen.»
Für Ralph Spolenak ist klar: Die Grenzen zwischen verschiedenen Materialien werden in Zukunft zunehmend verschwinden. Die Materialien von morgen werden aus verschiedensten Komponenten bestehen und lokal unterschiedliche Eigenschaften in sich vereinen – etwa mechanische und elektronische, wie im Fall der Halbleiter, oder mechanische und optische, wie im Fall der Implantate.
«Das Potenzial im Materialsektor ist enorm und eng verknüpft mit den Fortschritten in den Nanotechnologien», ist der Professor überzeugt. Und so wird «das Kleine» Ralph Spolenak wohl so schnell nicht loslassen.