Die Schrebergärten müssen weichen
Die Schweiz will unbebaute Flächen schützen und die Zersiedelung stoppen. Im Gegenzug soll es in den Städten enger werden. Am ETH-Raumplanungsgespräch 2013 wurden interdisziplinäre Lösungen für eine nachhaltige Raumentwicklung skizziert.
Die Moderatoren des Raumplanungsgesprächs hatten dem Publikum zu Beginn eine «scharfe Debatte» versprochen. Und auch Marc Angélil, ETH-Professor für Architektur und Design, beschrieb in seiner Zwischenbilanz die harte Front zwischen raumplanerischer Utopie und baulicher Realität. Er verglich die «Baustelle Schweiz» mit dem Turmbau zu Babel: Die schweizerische Raumplanung sei eher ein Kriegsschauplatz denn ein Gestaltungsprozess, weil die an der Raumplanung beteiligten Akteure allesamt verschiedene Sprachen sprächen.
Doch so kriegerisch wie angekündigt ging es am ETH-Raumplanungsgespräch dann gar nicht zu und her. Ganz im Gegenteil, die Diskutierenden waren sich in vielen Belangen ziemlich einig, beispielsweise bezüglich der Zersiedelung, die unbedingt gestoppt werden müsse. Und auch bei den Lösungsansätzen hiess es unisono: Es brauche allem voran Verdichtung, das heisst Wachstum in bestehenden Siedlungsräumen und innerhalb bestehender Verkehrsinfrastrukturen.
Das Ende der «halb-urbanisierten» Räume
Vittorio Magnago Lampugnani, Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich, warf im ersten von drei Inputreferaten die Frage auf: «Wie dicht ist eigentlich dicht?» Obwohl die Wissenschaft Massstäbe und Messmethoden für die Dichte im Lebensraum entwickelt hat, hängt die Beurteilung der Lebensqualität laut Lampugnani letztendlich immer von den Ansprüchen der Bewohner ab. Denn wenn neben dem Autobahnkreuz am Stadtrand eine Wohnsiedlung gebaut werde, fühle sich der eine dort «gut erschlossen», während sein Nachbar «vom Verkehr umspült» in der Dichte beinahe untergehe.
«Halb-urbanisiert» nennt Lampugnani diese Räume in der Stadt, in denen noch einige letzte Schrebergärten zwischen Wohnhochhäusern der Verdichtung trotzen. Doch ihre Tage scheinen gezählt. «Wir müssen Prioritäten setzen», sagte Adrienne Grêt-Regamey, Professorin für Planung von Landschaft und Urbanen Systemen an der ETH Zürich. Und um diese Prioritäten politisch durchzusetzen, das heisst, «um die Vision einer nachhaltigen Landschaftsentwicklung breit abzustützen», brauche es eine interdisziplinäre und überkommunale Zusammenarbeit, so Grêt-Regamey.
Umsetzbare Modelle statt futuristische Visionen
Die Raumplanungs-Praxis wurde in der ersten Diskussionsrunde vertreten durch Wilhelm Natrup, Chef des Amts für Raumentwicklung des Kantons Zürich, und Daniel Müller-Jentsch von Avenir Suisse. Müller-Jentsch kritisierte, die Wissenschaft generiere «zu viel Innovation» in Form von kreativen Zukunftsvisionen, während die Raumplanungsbüros derzeit eher Best-Practice-Analysen aus dem Ausland und entsprechende Studien zur Übertragbarkeit auf die Schweiz brauchen. Der oberste Zürcher Raumplaner Wilhelm Natrup sprach seinerseits die Frustration in der Branche an, die daher rühre, dass die Handlungsspielräume nicht nur vom Raumplanungsgesetz definiert werden, sondern auch von den Interessen der Grundeigentümer sowie von Verordnungen zu Gewässer- oder Waldschutz abhängen. Kay Axhausen, Professor für Verkehrsplanung an der ETH Zürich, fasste zusammen: «Die Raumplanung betreibt heute vor allem bürokratischen Interessensausgleich und muss in Zukunft unbedingt eine aktivere Rolle einnehmen.»
Impressionen vom ETH-Raumplanungsgespräch
Basel ganz anders als das Wallis
Den politischen Teil des ETH-Raumplanungsgesprächs eröffneten der Walliser Staatsrat Jean-Michel Cina und der Basel-Städtische Regierungsrat Hans-Peter Wessels. Sie referierten über die Relevanz der Raumplanung in den jeweiligen Kantonen, die sich nicht nur in der Fläche voneinander unterscheiden: Während das Wallis im vergangenen Frühling die Revision des Raumplanungsgesetzes als einziger Kanton ablehnte, erfuhr die Vorlage in Basel-Stadt die schweizweit höchste Zustimmung. «Das klare Ja ist auf das Desinteresse der Basler Bevölkerung am Thema Raumplanung zurückzuführen», sagte Hans-Peter Wessels nicht ohne Schalk. Der Kanton Basel-Stadt erfülle nämlich in der Tat – aufgrund der engen Platzverhältnisse – bereits seit Jahrzehnten die Bedingungen des revidierten Raumplanungsgesetzes.
Was den Kanton Wallis von der restlichen Schweiz unterscheidet – insbesondere von den anderen Bergkantonen, die das neue Raumplanungsgesetz angenommen haben – wusste Staatsrat Jean-Michel Cina nicht auf Anhieb zu beantworten. Es sei aber wichtig, dass die Raumplanung auch mit dem neuen Raumplanungsgesetz den Kantonen überlassen bleibt: «Wir wollen nicht, dass der Bund unsere Raumplanung bestimmt, und damit das auch so bleibt, müssen wir unsere Aufgabe jetzt eben richtig gut machen», so der Walliser.
Das Nachhaltigkeitsforum der ETH Zürich
Das Raumplanungsgespräch 2013 bildete die vierte Ausgabe des «ETH-Gesprächs», einer Veranstaltungsreihe von ETH Sustainability, der Koordinationsstelle für Nachhaltigkeit der ETH Zürich. Das alle ein bis zwei Jahre stattfindende ETH-Gespräch hat zum Ziel, Diskussionen zum Thema Nachhaltigkeit zu versachlichen und eine Plattform für pragmatische Lösungsansätze zu bieten. Das Raumplanungsgespräch 2013 wurde in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Stadt Land der ETH Zürich organisiert. Die Vortragsfolien und weitere Informationen zu den Rednerinnen und Rednern sind hier zu finden.